/aussenpolitik/eu-und-osteuropa-europa-andersrum/plus
Perspektivwechsel: Der Kulturpalast in Warschau / dpa

Polen und Ungarn gegen den Westen - Europa andersrum

In westlichen EU-Staaten gelten Länder wie Polen oder Ungarn als lästige Quertreiber, die aber nur allzu gern das Geld der Gemeinschaft in Anspruch nehmen. Doch das ist alles eine Frage der Perspektive. Eigentlich ist der Osten gar nicht so schwer zu verstehen.

Autoreninfo

Norbert Mappes-Niediek lebt in Graz und ist Korrespondent für Mitteleuropa. Dieser Tage erscheint sein neues Buch „Europas geteilter Himmel - Warum der Westen den Osten nicht versteht“ (Verlag Ch. Links).

So erreichen Sie Norbert Mappes-Niediek:

Selbstzufriedenen Blickes breitet Viktor Orbán die Arme über einen Stoß Geldscheine aus; eine einnehmende Geste. Im Hintergrund flattert eine zerreißende Europafahne. „First he ­takes our money“, steht auf dem Plakat neben der Montage mit dem raumgreifenden Orbán, und: „Now he wants to destroy Europe.“ Auf einen Tieflader gestellt, fuhr das Propaganda-Arrangement, begleitet von einigen Dutzend Presse­fotografen, einmal quer durch das Zentrum von Brüssel, vorbei an sämtlichen EU-Verwaltungsgebäuden. Natürlich mit Copyright: „Stop Orbán, #Values first“, stand darunter, und „alde“ – die Abkürzung für die Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa, die drittgrößte Fraktion im Straßburger Parlament.

In Budapest kam die Aktion erwartungsgemäß nicht gut an. „Was bildet der sich ein, dieser Verheugen?“, schimpfte etwa Mária Schmidt, Orbáns treue Ideologin. „Unser Geld! Ist das etwa seines?“ Sie erlag dabei einer Verwechslung: Natürlich hatte nicht der frühere Erweiterungskommissar Günter Verheugen, ein deutscher Sozialdemokrat, den Brüsseler Umzug organisiert, sondern der liberale Fraktionsführer Guy Verhofstadt aus Belgien. Aber was sollten die Feinheiten? Beide Westen, beide irgendwie liberal. Beide natürlich gegen Orbán, gegen Ungarn.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar
  • Ohne Abo lesen
    Mit tiun erhalten Sie uneingeschränkten Zugriff auf alle Cicero Plus Inhalte. Dabei zahlen Sie nur so lange Sie lesen – ganz ohne Abo.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Markus Michaelis | So., 7. Februar 2021 - 18:47

dafür sind die Beträge, die gen Osten gehen doch viel zu unbedeutend (ein paar Milliarfden?) gegen die Summen, die indirekt über den gemeinsamen Euro, Targetsalden und sonstiges etwa mit Italien, GR und anderen hin- und her gehen.

Es scheint mir klar um weltanschauliche Dinge zu gehen, also (Zitat) „values“ wie „Freiheit, Menschenwürde, Demokratie, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Toleranz und kulturelle Diversität“.

Einigen (Eliten?) geht es auch einfach um europäische Größe, um neben USA und China zu bestehen und nicht als Eliten 2. Klasse zu enden. Berechtigt, aber nicht notwendig das Anliegen des "Normalbürgers". Der will vielleicht seine Werte gegen Russland,China etc. verteidigen. Wenn das aber um den Preis ist, dass er seine Werte ohnehin schon aufgeben soll, welchen Nutzen hätte er dann? Geld? Dafür kann er auswandern - wie jetzt auch schon. Wo ist also der Nutzen?

Es geht wohl um Werte und der genannte Kanon ist erstmal hohles Begriffsbingo. Darüber muss man reden.

Wie glauben Sie denn, kann Europa seine Werte gegen aggressiv auftretende Großmächte verteidigen?
Glauben Sie etwa, ein Deutschland, Schweden oder Ungarn könnte in Verhandlungen oder Wettbewerbssituationen mit China oder Russland auch nur annähernd seine Stimme erheben? Letztlich geht es nicht um das von Ihnen vermutete Großmachtstreben irgendwelcher anonymer Eliten, sondern um das, was am Ende dabei herauskommt. Und das betrifft dann sehr wohl ganz besonders Herrn/Frau Otto Normalverbraucher*in.
Außerdem geht es bei den Störaktionen der Polen und Ungarn eher um Werte, für die die EU steht. Und da versuchen antiliberale Ungarn und erzkatholische Polen ihr eigenes, durchaus anti-europäisch zu nennendes Süppchen zu kochen.
Aber auch die Gründerväter der EU sind nicht unschuldig: Es gab nie einen klaren Fahrplan, nur ein höchst schwammig formuliertes Ziel, wie und was Europa eines Tages eines Tages sein sollte.
Sicher kein lediglich lose verbundenes Sammelsurium nörgelnder Nationalisten.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 7. Februar 2021 - 20:30

wie sehr mich diese Aktion abstößt, nicht weniger als die Plaktierung von Soros in Ungarn als Staatsfeind und dann halt Osteuropa auch das Recht auf ihre Entwicklung bestätigen.
Aber tue ich Osteuropa damit einen Gefallen, wenn sie doch Europäer sind, was man eben auch daran erkennt, wie gut sie in ganz Europa zurechtkommen und leben können?
Nein, ich tue Ihnen keinen Gefallen.
Es würde nicht funktionieren, sowenig wie ein weiterer eigener Nach-DDR-Weg sinnvoll war oder auch nur gewünscht wurde.
Wieviele Osteuropäer flohen vor der Roten Armee in den Westen?
Sie konnten Fuß fassen und wurden Teil der jeweiligen Gesellschaften.
Wir können jetzt nicht solange warten, bis die neuerlichen Migranten in den Osten zurückkehren und ihren Landsleuten bestätigen, dass die westeuropäischen Staaten offene Gesellschaften sind, aber doch Gesellschaften.
Deshalb mußte man nicht übereinstimmen mit einem evtl. Merkelplan über Europa, aber man kann darüber nachdenken, wie man sich einbringt und erweitert

Kurt Kuhn | Mo., 8. Februar 2021 - 12:10

Endlich findet sich mal ein kundiger Autor der der verlogenen Propaganda aus dem Westen den Spiegel vorhält. Diese hackt gerne auf Orban und den Ungarn herum, sieht aber nicht in welchem Maße die internationalen Konzerne in Osteuropa in billige Arbeitsplätze investieren. Die notwendige Infrastruktur kostet auch Geld, das die Länder noch nicht haben.
Der großartige Sieg bei den Kommunalwahlen in Budapest ist einem fiesen Trick (Erschleichung des Wahlrechtes durch temporären Umzug von "Guten" in großer Zahl) geschuldet.
In unserem „goldenen Westen“ wird den Oligarchen auch so manche Milliarde zugeschoben.

Die kulturelle Kapitulation ist in Osteuropa noch nicht so weit fortgeschritten wie im Westen. Die Menschen dort sind sich noch ihrer ethnischen Zugehörigkeit bewusst, gerade weil sie in Multikulti-Reichen ausharren sowie willkürliche Grenzverschiebungen und deren Folgen erdulden mussten.
Vielen Dank für den sehr guten Beitrag, Herr Mappes-Niediek!

Sven-Uwe Noever | Mo., 8. Februar 2021 - 21:26

Antwort auf von Kurt Kuhn

Ungarn ist schon oft von den Deutsch-Österreichischen Mittel€uropäern verraten worden;1848,dafür kam 1867 nach Königgrätz die Retourkutsche.1914,da wollte der Ungar Tisza entschieden keinen Krieg und wurde gezwungen von Deutschland und der österreichischen Reichshälfte.1944 durch späte Besetzung.1956 durch erzwungene Kriegshandlung mitten im Frieden durch das Sowjetimperium.Und nun die Anfeindungen ausgerechnet von der merkelistischen Kampfpresse.Die Ost-mitteleuropäer sollten sich ganz auf die deutsche Regierung und ihre Propaganda-Abteilungen konzentrieren.Die deutsche Anmaßung der hiesigen Doktrinäre spricht Bände.Glücklicherweise hassen sie ja auch ihre eigenen Streitkräfte und können kein militärisches Unheil anrichten,unsere Rot-grün-dunkelroten Alarmjünger.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 8. Februar 2021 - 12:39

Die Idee der vereinigten Staaten von Europa. Zu unterschiedlich sind die einzelnen staatlichen Biografien und das, was man den Menschenschlag nennt.
"Ihr Ziel ist ja, dass alle Nationen irgendwann auf gleich kommen."
Genau gegen diese Gleichschaltung wehren sich völlig zurecht die Osteuropäer. Gerade diese Völker haben geschichtlich betrachtet genügend Phasen erlebt, wo sie durch allerlei "Systeme" fremdbestimmt ihr Dasein fristeten und großen Blutzoll gaben. Ich lese hin- und wieder die deutschsprachige Budapester Zeitung. Da gibt es durchaus auch kritisches zu Orban. Dennoch steht eine große Mehrheit hinter Orban. Die Ungarn wollen nach dem letzten Desaster mit dem ehem. Ostblock, nicht nochmal in irgendeine Herrschaft wandeln. Auch nicht in eine EU-Herrschaft. Ungarn lässt sich nicht kaufen, so wie Polen auch nicht. Ja, sie nehmen EU-Gelder, wie der Autor aber völlig richtig beschreibt, geben sie letztlich mehr als sie nehmen. Der Osten schützt sich ganz einfach vor Gleichmachung.

Norbert Heyer | Mo., 8. Februar 2021 - 13:03

Als die Länder hinter dem ehemaligen „eisernen Vorhang“ die Lossprechung von der untergegangenen UdSSR erfuhren, haben sie Freiheit erlangt und in der Folge Demokratie gewählt. Sie waren offen für den Eintritt in die EU, mit der Aussicht auf Förder- und Aufbaugelder. Sie haben aber ziemlich naiv angenommen, dass sie - die gerade die Freiheit gewonnen hatten - wieder Zugeständnisse einem neuen „großen Bruder“ gegenüber vermeiden könnten. Länder wie Polen und Ungarn waren immer und zu jeder Zeit von Türken oder ihren Nachbarn unterdrückt. Sie wollten nicht wieder ihre Art des Lebens, ihre Religion und Eigenständigkeit aufgeben. Aber die EU - besonders forciert durch Deutschland - will auf Biegen und Brechen den EU-Staat errichten, einen riesigen Moloch, der jetzt schon zwei Regierungssitze unterhält und Probleme hat, für seine Bewohner genug Impfserum zu besorgen. Das brauchen die ehemaligen Ostblockstaaten nicht, diese Misswirtschaft kennen sie nämlich aus der Vergangenheit ziemlich gut

Aber auch lehne diesen aufgeblasenen Affenzirkus EU Staat in keinster Weise. Er ist nur noch Selbstzweck und unnötig wie ein Geschwür. Kann weggeschnitten werden. Je früher je besser. Zurück zur EU der Nationalstaaten.
Deshalb bin ich vielleicht doch ein bischen von beiden Staaten.

Walter Bühler | Mo., 8. Februar 2021 - 14:28

... ebenso Deformationen erlitten wie die nationalen Parlamente. Durch die Flucht der Normalbevölkerung aus den Parteien und durch die Vorherrschaft der Profi-Politiker, die sich nur noch am medialen Echo messen, haben sie ihre demokratische Funktionsfähigkeit vielfach verloren (z. B. Italien, Frankreich, Spanien und inzwischen auch Deutschland).

Ich kann mich an keine Krise in den letzten 20 Jahren erinnern, bei der sich das EU-Parlament erfolgreich bei der Lösung eingebracht hätte.

Die so larmoyant vorgetragene "westliche, demokratische" Arroganz gegenüber osteuropäischen Staaten ist schon aus diesem Grunde meist unberechtigt.

Die Argumente von Herrn Mappes-Niediek sind einleuchtend. Wir "westlichen" Staaten sollten Unterschiede erst einmal akzeptieren. Wir haben ja ohnehin nicht die Kraft, alle anderen Länder nach unserer Facon selig zu machen.

Mehr Toleranz, Respekt und Interesse, und keine geschwätzige pseudo-moralische Rechthaberei, das wäre gute Europa-Politik.