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Die Rückkehr des Nationalismus - Der Preis der Globalisierung

Kolumne Grauzone. Unter dem Eindruck von Eurokrise, Griechenlanddesaster und Massenmigration entdecken die Völker Europas die Nation wieder. Das neue Interesse an der Nation ist ebenso das Produkt der Globalisierung. Man könnte auch sagen: ihr Preis. Wir sollten es aber nicht vorschnell verteufeln. Denn ohne Nationen wird eine friedliche Globalisierung auf Dauer nicht zu haben sein

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Totgeglaubte leben länger: Es ist noch gar nicht so lange her, da gehörte es zum politischen und wissenschaftlichen Allgemeingut, dass sich die Idee der Nation überlebt habe. Und nicht nur das: Angesichts der Abermillionen von Toten, die im 19. und 20. Jahrhundert im Namen hysterischer Nationalismen weltweit zu verantworten waren, verwundert es nicht, dass das Konzept der Nation nicht nur als historisch überholt, sondern vor allem als moralisch diskreditiert galt.

Für die modernen Gesellschaften des Westens, so der über Jahrzehnte etablierte Glaube bei Intellektuellen, Wissenschaftlern und Regierenden, gebe es nur eine historische Richtung: weg vom Nationalstaat und hin zur Schaffung transnationaler Organisationen.

Die Idee der EU droht zu scheitern
                                                                                                                                       

So kann man sich irren. Denn der Nationalstaat ist alles andere als tot und die Idee der Nation erweist sich als überaus zählebig. Europaweit sind national gesonnene Parteien auf dem Vormarsch. Das ambitionierteste transnationale Projekt der Weltgeschichte, die Europäische Union, droht zu scheitern.

Schlimmer noch: Sogar traditionelle Nationalstaaten sind in der Krise. Katalanen oder Schotten pochen darauf, eigenständige Nationen zu sein und streben einen eigenen Staat an. Manchmal hat man den Eindruck, man habe es mit einem historischen Rollback zu tun.

Nationen sind nicht beliebig austauschbar
 

Viele Vertreter nicht nur der politischen Eliten hat diese Entwicklung kalt erwischt. Der Grund: Ihr Weltbild basiert zumeist auf der Annahme, „Nationen“ seien kulturelle oder soziale Konstruktionen und daher beliebig und austauschbar. Also könne man sie auch dekonstruieren und durch neue, politisch genehmere Konstrukte ersetzen.

Moralisch legitimiert erschien diese Sicht der Dinge angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts ohnehin – zumal aus deutscher Sicht.

Doch Konstruktionen, auch historisch zufällige Konstruktionen sind nicht vollkommen beliebig. Auch sie folgen Parametern. Im Falle der Nation etwa Sprache, Brauchtum und Tradition. Und nur aus der Tatsache, dass Nationen nicht exakt definiert werden können, folgt nicht gleichzeitig ihre Beliebigkeit oder Irrationalität. Geschichte ist keine Ingenieurswissenschaft.

Globalisierung befeuert neuen Nationalismus
 

Wenn man aus der Geschichte des Nationenbegriffs etwas lernen sollte, dann, dass Nationen nicht in Stein gemeißelt sind. Wie alle historischen Konfigurationen sind sie dynamisch und in permanenter Bewegung. Deshalb ist auch das Konzept der Nation nicht zwangsläufig und von Natur aus aggressiv, verbrecherisch und auf Überlegenheit angelegt. Ohne Probleme lässt sich ein liberales und kooperatives Konzept von Nation denken, dass einen offenen Nationenpluralismus ermöglicht, der nationale Eigenständigkeit ebenso umfasst wie friedliches und konstruktives internationales Miteinander.

Man muss nicht meterweise Hegel oder Marx gelesen haben, um zu wissen, dass auf jede historische Aktion eine Reaktion erfolgt. Das neue Interesse an der Nation ist das Produkt der Globalisierung. Ohne Nationen wird eine friedliche Globalisierung auf Dauer aber nicht zu haben sein.

Nationen stiften Identität
 

Menschen brauchen ein Identitätsbewusstsein. Andernfalls haben sie das Gefühl in einem anonymen Meer globaler Austauschbarkeit zu versinken. Den dafür notwendigen Identifikations- und Zugehörigkeitsraum bietet das Konzept der Nation, da es auf Sprache, Traditionen, Landschaften und Erinnerungsorten basiert. Hier fühlen sich Menschen geborgen, zugehörig und beheimatet. Durch einen blutleeren Verfassungspatriotismus etwa ist das kaum zu ersetzen.

Das Problem am Nationenbegriff ist nicht so sehr die Nation selbst, sondern die im 19. und 20. Jahrhundert mit ihr verknüpfte Erzählung von Machtanspruch und Überlegenheit. Doch Nation und Superioritätsanspruch sind nicht notwendigerweise und untrennbar miteinander verbunden.

Wir brauchen einen pluralistischen Nationenbegriff
 

Im Gegenteil, gerade das Konzept der Nation scheint am ehesten geeignet, den Menschen jene emotionale Verortung zu bieten, ohne die das Zeitalter der Globalisierung gefährliche Zentrifugalkräfte entwickeln kann. Das Ergebnis wäre ein verhängnisvolles Erstarken von Chauvinismus und Separatismus.

Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir einen Begriff von Nation, der eng mit einem liberalen Nationenpluralismus verbunden ist und damit chauvinistische Überlegenheitsansprüche ebenso ausschließt wie einen ausufernden Superstaat. Sonst droht Europa, und alles, was in seinem Namen erreicht wurde, zu scheitern.

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