Nato-Übung Trident Juncture
Nato-Übung Trident Juncture 2018 / picture alliance (Bundeswehr)

Atomares Wettrüsten - Die Signale für Frieden stehen auf Rot

Nach der Aufkündigung des INF-Vertrags zwischen den USA und Russland nehmen wir die Drohungen vor einem neuen atomaren Wettrüsten einfach hin. Mehr noch, wir beteiligen uns sogar daran. Das alte Europa aber muss zwingend auf Entspannung setzen zwischen Russland und Nato

Autoreninfo

Hans Wallow ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD.

So erreichen Sie Hans Wallow:

Wer kürzlich ohne Ton im Fernsehen Szenen auf dem Nato-Gipfel in Brüssel beobachtete, sah Pulks von steifen Generälen mit dicken Affenschaukeln über der Schulter, die breiten Brüste geschmückt mit Orden. Goldverklebt vom Nabel bis zum Ohr. Bilder wie aus einer Operette. Die versammelten Männer sind vielleicht liebevolle Großväter, nette Ehemänner oder besorgte Väter, aber auch Spezialisten einer weltweiten Zerstörung. Nicht wenige von ihnen, allen voran die US-Generalität haben sich ihre Auszeichnungen bereits durch das legale Töten in vergangenen Kriegen bei der Verteidigung, „westlicher Werte“ erdient.

Geht in Europa nach der darauf folgenden Münchner Sicherheitskonferenz die Angst vor einem neuen Wettrüsten? Wer hat Furcht vor wem? Nachdem offensichtlich Russland den 1987 unterzeichneten INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen gebrochen hat und die USA darin nun eine gute Gelegenheit sahen, ihn dann zu kündigen. Es folgte das ewige langweilige Schauspiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen, unterfüttert mit den Drohungen eines neuen atomaren Wettrüsten zwischen Russland und der Nato. Die Sicherheitsgemeinde ist gespalten, die eine Seite angeführt von den USA setzt wie seit Jahrzehnten auf archaische Abschreckung, die andere Seite will zunächst verhandeln. Beide Seiten folgen der Logik von Steinzeitmenschen, die mit Keulen ihr Revier verteidigen. Heute sind das Raketen.

Angst verspüren die Sicherheitsexperten dabei nicht, denn sie wissen es gleicht einem gefährlichen Spiel, wie ein Artillerieschießen ohne scharfe Munition von der einen politischen Öffentlichkeit in die Andere. Die Steinzeitpraktiker bekommen Unterstützung von den Lobbyisten der Rüstungskonzerne, die neues Zerstörungspotential aus ihrer Rüstungskammer feilbieten und verkaufen wollen. Sie haben Angst vor Abrüstung und dem Frieden, denn das kostet Milliarden Profite für wenige und verursacht Arbeitslosigkeit. Mit dieser Strategie schüchtern sie Politiker und Öffentlichkeit wirksam ein. Jeder langgediente Abgeordnete kennt das makabre Spiel mit dem Gleichgewicht des Schreckens, an dem sich auch Wissenschaftler und Journalisten beteiligen.

Zerstörungspotential für die Welt

Die USA und Russland besitzen 92 Prozent aller Atomsprengköpfe auf der Welt. Mit diesem Zerstörungspotential können sie den Planeten 15 mal verwüsten. Auch die französische Force de Frappe oder die britischen Polaris-U-Boote können unseren Planeten zweimal in eine öde atomare Wüste verwandeln. Reicht nicht einmal? Gleichgültig wer zuerst den Einsatz von Atomwaffen befiehlt, muss damit rechnen in den nächsten 24 Stunden zu sterben. Wer will das schon? Selbst der großmäulige Lügner Präsident Donald Trump und Pokerface Wladimir Putin wollen wie Millionen Menschen in Russland, den USA und Europa arbeiten und sorglos ihren Vergnügungen nachgehen. Ganz so, wie auch die militärischen Oberbefehlshaber Golf oder Schach spielen.

Die gravierenden Unterschiede im Bewusstsein der Bevölkerung: Russland und fast ganz Europa haben Kriege im eigenen Land erlitten. Das Land ist vollständig von einem US-Raketengürtel eingekesselt. In den USA sind nur noch die Terrorakte von Fanatikern im kollektiven Unterbewusstsein gespeichert. Wer will also Aufrüstung und Krieg?

Für den Oberleutnant im 2. Weltkrieg und intellektuellen Bundeskanzler Helmut Schmidt war Krieg „Scheiße“. Trotzdem folgte auch er der Logik von Drohung und Gegendrohung. Aber es gab von ihm keine einzige Wahlkampfrede, ohne den Menschen in Deutschland und damit auch der Welt zu versichern: „Die Deutschen haben das Schießen satt“. Mit dieser Doppelstrategie konnte der Schachspieler Schmidt gegen den heftigen Widerstand der damaligen Opposition die Entspannungspolitik Willy Brandt's fortsetzen. Jetzt ist sie durch die Aufrüster, genannt „Eisenfresser“ in Gefahr geraten. Erleben wir jetzt das Ende der Entspannungsgeschichte? Die Signale für den Frieden stehen auf Rot. Ganz so als hätten die Friedenstauben Flugverbot.

Kalter Krieg als Handlungsmuster

Bei den Sicherheitspolitikern der USA, Russland und dem Westen ist bis auf die Bundeskanzlerin Angela Merkel kein Umdenken erkennbar. Sie folgen dem Handlungsmuster des Kalten Krieges. Russland ist als Feind ausgemacht. Die deutsche Bevölkerung ist aber gegen das ewige Feindbild Russland kaum mobilisierbar. Resignation macht sich breit. Dabei haben wir allen Grund zur Sorge. Da sind, durch die psychologische Brille betrachtet, die beiden schwachen Präsidenten mit ähnlichem Macho-Gehabe der USA und Russlands die allein auf militärische Stärke setzen. Sie glauben unbeirrt daran, sich keine vermeindliche Schwäche leisten zu können. Ihr Gehabe übertragen sie in die Politik. Wie dadurch die Welt an den Abgrund geraten kann, sind die Lehren aus der Kuba-Krise. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy rettete die Welt vor einem dritten Weltkrieg, der mit Atomwaffen ausgetragen worden wäre, indem er unter Umgehung des militärischen Befehlsstrangs den US-Piloten der Aufklärungsmaschinen über seinen Bruder Robert direkte Befehle erteilen ließ und damit die offene Konfrontation der Supermächte verhinderte. Er traute den eigenen Militärs nicht mehr.

Heute gibt es außer den hilflosen Friedensforschern nur noch wenige Journalisten, die als Sicherheitsexperten aus den Kriegen in Vietnam, Somalia, dem Irak oder Afghanistan die richtigen Lehren für die Zukunft ziehen. Die riesige Kriegsmaschinerie verursachte nur Tod und Zerstörung. Siege gab es nirgendwo, nur die Opfer leiden bis heute. Wie furchtbar auch konventionelle Kriege sind beweist das Beispiel des Irak-Krieges. In dieser von den USA geführten Intervention starben 4.000 US-Soldaten. 58.000 wurden verwundet. 7.300 junge Amerikaner starben in Afghanistan. Mehr als100.000 sind mit seelischen Störungen heimgekehrt.

Kein ernstzunehmender Ökonom hält Krief für sinnvoll

Der Lebensalltag der Iraker hat sich bis heute verschlimmert. Nach dem Krieg flohen 4,6 Millionen Menschen, also jeder siebte Iraker aus seiner Heimat, vor allem nach Europa. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Prof. Dr. Joseph Stiglitz rechnete gemeinsam mit der Wissenschaftlerin Linda Bilmes die katastrophalen Folgen des Irak-Krieges. Nach ihren exakten Berechnungen hat der Krieg die unvorstellbar gigantische Summe von 4 Billionen Dollar verschlungen. Diese staatlichen Kriegskosten, also Steuergelder, fehlten bei den Investitionen für Schulen, Universitäten, Gesundheitswesen und bei Forschungsprojekten. Heute behauptet kein ernstzunehmender Ökonom dass die Rüstungsgüter oder Kriege gut für die gesamte Wirtschaft seien. Sie sind eine riesige Belastung und sichern nur Wenigen risikolose Profite. Wer aus der Vergangenheit nichts lernt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.

Ein Panzer ist totes Kapital, dagegen wird auf einer Druckmaschine etwas produziert. Von dieser Einsicht unberührt verlangt die deutsche Verteidigungsministerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz trotz Steigerung der Militärausgaben in den letzten 5 Jahren um 36 Prozent eine weitere Erhöhung des Etats bis 2024 von 43,2 Milliarden auf 60 Milliarden. Ein Rückblick: Vom Schützenpanzer Hispano Suiza 30, über den Witwenmacher Starfighter (130 Abstürze) bis zum Airbus M400 (Militärversion) waren alle Waffensysteme nicht funktionstüchtig, auch die modernsten U-Boote sind heute nicht einsatzfähig. Eine riesige Verschwendung von Steuergeldern also Lebensenergien von Millionen Menschen auch in Deutschland. Vermutlich hat die deutsche Verteidigungsministerin weder die Analysen von Joseph Stiglitz noch die Texte von Willy Brandt oder gar von Carl von Clausewitz gelesen. Letzterer war nicht nur Militärstratege, er regte dazu an, Kriegsgeschichte zu studieren um bleibende Einsichten aus ihr zu gewinnen, auch zur Verhütung des Krieges wenn der Krieg sich seiner absoluten Gestalt nähert. Aus dem Vergangenen zieht er Lehren für das Verhalten in der Zukunft.

Sonst droht der Welt das atomare Chaos

Nur wer dagegen der inneren Logik der 600 Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz – Politiker, Militärs und Konzernchefs – folgt, hat bereits verloren. Sie vermitteln keine Hoffnung. Glaubwürdige Alternativen zum Wettrüsten können deshalb nur aus der Gesellschaft kommen. Zwar hat sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel klar gegen den US-Präsidenten Trump positioniert und ist mit seltener Eindeutigkeit für multilaterale Abkommen eingetreten. Aber kann sie noch liefern?

Auch wer kein Pazifist ist und die Verteidigung für legitim hält, muss zunächst die resignative Haltung des General a.D. und einstigen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower überwinden. Er glaubte dass der militärisch wirtschaftliche Komplex von der Politik nicht mehr beherrschbar sei. Jene, die behaupten weiter aufrüsten zu müssen um ein Gleichgewicht herzustellen das Kriege verhindern soll, irren. Denn das Gleichgewicht ist nicht messbar. Jeder ist immer irgendwo unterlegen und überlegen. In der Luft, auf dem Land über oder im Wasser. Die Diplomatie Europas steht vor der riesigen Aufgabe ein multilaterales Regelsystem zu entwickeln, dass die Atommächte China, Indien und Pakistan mit einbezieht, sonst droht der Welt das atomare Chaos. Daran kann die Bundeskanzlerin Angela Merkel auch über ihre Amtszeit hinaus im Rahmen der Uno mitwirken.

Eine neue Friedensordnung

Eine neue Friedensbewegung muss auf die Politik Druck ausüben um eine europäische Friedensordnung durchzusetzen. Den Ansatz lieferte dazu der ehemalige Uno-Botschafter Gorbatchow's Georgij Arbatow, indem er in einer Sitzung des Weltsicherheitsrates zu US-Kollegen sagte: „Wir werden ihnen etwas Schreckliches antun, indem wir ihnen das Feindbild nehmen.“ Allen Pessimisten zum Trotz: In diesem Geist ist menschlicher Fortschritt unterfüttert von nüchternem Realismus, durch die organisierte Zivilgesellschaft in Europa möglich. Der Visionär Willy Brandt forderte einst die Zwei-Säulen-Nato. Die eine Säule USA und Kanada, die andere Europa mit jeweils eigenem Oberbefehl. Das ermöglicht Deutschland und Europa souverän über unser Schicksal selbst zu bestimmen und befreit Europa von den Rüstungsinteressen Donald Trump's und den hinter ihm stehenden Konzernen. Das alte Europa muss sich in Richtung Entspannung bewegen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Romuald Veselic | Mi., 6. März 2019 - 18:32

dass im alten Europa, werden die ehemals Ostblockländer nicht mitmachen. Die dt. Sichtweise der atomaren Wettrüstung ist ihnen fremd bis gefährlich. Die Deutschen erscheinen bei dieser Diagnostik, als Einheimische des 19.Jh., als sie zu Kolonialzeit ihr Land für Glasperlen verkauften.
Lieber Hr. Wallow, Ihre Abneigung gg. die USA u. der US-Generalität, ist nicht zu übersehen. Wissen Sie den nicht, dass ohne die USA wäre damals u. heute umso mehr, Deutschland ein sowjetisches Protektorat? Und im gleichen Zustand, wie 1989 die DDR. Sie sollten sich auch die russische/sowjetische Generalität mal anschauen, wie die mit ihren Orden Kiloweise behaftet sind.
Die Attentate der letzten Jahren waren nicht v. USA, sondern von Terroristen mit Sprengstoffen oder Handwaffen verübt.
Im Land des großmäuligen Lügner Donald T., wurde bis Dato kein Reporter umgebracht.
Und Hr. Wallow, lassen sie die Ukrainer ihr Artikel lesen. Ich möchte dabei sein, was die Ihnen danach erzählen würden.

Helmut Bachmann | Mi., 6. März 2019 - 18:50

Nach der Einleitung schon keine Lust mehr zum Lesen verspürt. Moralismus kann ich überall lesen.

Ulrich Jarzina | Mi., 6. März 2019 - 18:55

... ist nicht totes Kapital sondern tötendes. Er zerstört (wie alle Kriegswaffen) Leben und Existenzen und bereichert jene, denen die Rüstungskonzerne gehören. Bereits ein Schuss aus einem G36 kostet rund 20 ct - die Kosten fürs Gewehr, Sold, Logistik usw. noch gar nicht eingerechnet. Krieg ist ein gigantisches Geschäft und er wird aus Geschäftsinteressen geführt.

Trump als Kriegstreiber dazustellen, verdreht jedoch die Fakten. So unsympatisch er sein mag, so ist Trump meines Wissens der erste PotUS, der

1. von bescheuerten Kriegen ("foolish wars") spricht, die es zu beenden gelte. (Rede vom 5.2.2019)

2. im Vorwahlkampf (gegen Jeb Bush) den Krieg im Irak als "big fat mistake" bezeichnete mit dem man den Nahen Osten destabilisiert habe - und das alles wegen einer Lüge.

3. am 28.4.18 bei Merkels Besuch öffentlich davon sprach, einen Friedensvertrag mit Nordkorea, Japan und der BRD auszuhandeln - sehr zum Entsetzen der Kanzlerin.

Die Kriegstreiber muss man woanders suchen.

Hans Jürgen Wienroth | Mi., 6. März 2019 - 19:31

Bei diesem Artikel frage ich mich: Gilt die Netiquette auch für Autoren oder dürfen diese jeden verunglimpfen?

Jürgen Lehmann | Do., 7. März 2019 - 13:11

Die Signale für Frieden stehen nicht erst seit der Kündigung des INF-Vertrages auf Rot, sondern durch die Aktivitäten der NATO in Richtung Russland schon seit längerer Zeit.

Herr Wallow, Sie sollten den Begriff ALTES EUROPA näher erklären. Bekannterweise war dieses das Wort des Jahres 2003, ausgelöst durch Donald Rumsfeld.

Welche Länder sollten Ihrer Meinung nach „zwingend auf Entspannung setzen zwischen Russland und Nato“ ?

Woher stammen Ihre Kenntnisse, dass Russland "offensichtlich" den 1987 unterzeichneten INF-Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen gebrochen hat ?

Weshalb sollte ausgerechnet Frau Merkel eine diplomatische Rolle zustehen – und dieses auch noch im Rahmen der UNO?
In Ihrer langen Zeit als Kanzlerin konnte ich keine Aktivitäten entdecken die zu einer Entspannung zwischen USA, EUROPA, NATO und Russland geführt hätten.

Es wurden Im Gegenteil alle WÜNSCHE der USA erfüllt, die Spannungen zu erhöhen.

Albert Schultheis | Sa., 9. März 2019 - 22:00

"Das oberste Ziel für die Gründung der EU ist die Erhaltung des Friedens in Europa!" - Eine glatte Lüge, und ein Super-Textbaustein für jeden hergelaufenen Sonntagsredner aus Berlin, Brüssel oder Paris!
Wie sehr sich diese EU für den Frieden in Europa engagiert, das haben wir im ehemaligen Jugoslawien beobachten können, das konnten wir bei der NATO-Osterweiterung sehen, das konnten wir auf dem Maidan-Platz in Kiew beobachten und das sehen wir jetzt bei der Aufkündigung des INF-Vertrags zwischen den USA und Russland. Der Friede in Europa ist der EU völlig egal. Man überlässt die Dinge einfach den USA oder sich selber, und oft genug schlimmer noch, man schüttet gemeinsam mit den Scharfmachern Öl ins Feuer, so als ginge es um einen Dummen-Jungen-Streich, mit dem man Putin Eins reinwürgen will, um sich hinterher ins Fäustchen zu lachen.
Man kann nur hoffen, dass uns diese verantwortungslose und fehlgeleitete EU bald um die Ohren fliegt - bevor uns der ganze Bettel um dieselben fliegt!