() Gunter Thielen
"Wir wollen Einfluss nehmen"
Mächtigster Medienmanager Deutschlands, Aufsichtsratschef des Bertelsmann-Konzerns, Chef der einflussreichen Bertelsmann Stiftung: Gunter Thielen spricht mit Cicero erstmals über Macht, Demokratie in China, den Fall Stefan Aust und sein nächstes Kioskprodukt.
Schon Entzugserscheinungen vom Mediengeschäft, Herr Thielen?
Die unternehmerische Challenge fehlt mir manchmal ein bisschen. Ich war mit großer Freude da drüben bei der AG (zeigt auf das Bertelsmann Verwaltungsgebäude, das man von seinem Büro aus sehen kann) tätig. Wir sind gut vorangekommen in den vergangenen Jahren. Aber man hat auch jeden Tag die Verantwortung für 100000 Mitarbeiter – und sehr viele Reisen. Aber ich bin der Firma ja weiterhin als Aufsichtsrat verbunden.
Wie ist das Verhältnis zwischen Stiftung und Unternehmen?
Bertelsmann ist das Lebenswerk von Reinhard Mohn. Und er hat gesagt: Ich will etwas zurückgeben an die Gesellschaft. Und gab drei Viertel des Unternehmens an die Stiftung, allerdings ohne die entsprechenden Stimmrechte. Eine ziemlich einmalige Tat.
Allein altruistische Motive wird Herr Mohn nicht im Sinn gehabt haben, oder?
Sicher gab es auch erbschaftssteuerliche Vorteile dieser Lösung. Aber wenn Sie Mohn kennen, wissen Sie, dass das nicht der alleinige Grund war. Er sicherte vor allem das Unternehmen ab, denn die Stiftung könnte die Firma Bertelsmann zwar theoretisch verkaufen, aber davor stehen ziemliche Barrieren. Vielleicht hätte man die Stiftung damals nach Reinhard Mohn benennen sollen. Das würde es aus heutiger Sicht einfacher machen, sich von der Firma abzugrenzen. Wir sind im Übrigen gerade dabei, alle Schnittstellen zwischen Stiftung und AG zu hinterfragen und gegebenenfalls noch schärfer zu trennen.
Das hören die Kritiker der Stiftung sicher gerne. Sie könnten AG und Stiftung allerdings auch gleich ganz entflechten – sowohl Liz Mohn als auch Sie haben Funktionen in beiden Organisationen.
Das ist kein Thema. Die Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung sind von denen des Unternehmens getrennt. Die Stiftung berät zum Beispiel Kommunen, und auch die AG-Tochter Arvato arbeitet am Outsourcing kommunaler Leistungen. Aber da besteht nur insofern ein Zusammenhang, als dass es sich einfach um einen Trend handelt, dass Kommunen effektiver arbeiten müssen. Mehr ist da nicht.
Im vergangenen Jahr kam die Stiftung ins Gerede, nicht zuletzt wegen einiger großzügiger Spesenabrechnungen des Vorstandsmitglieds Werner Weidenfeld, der seinen Posten daraufhin niederlegen musste.
Weidenfeld ist ein von mir geschätzter Kollege. Wie er seine Spesenabrechnung gehandhabt hat, war aber nicht zu tolerieren.
War diese Affäre auch ein Indiz für eine tiefer gehende Krise der Stiftung?
Eine Krise war das nicht. Die Stiftung ist an Größe und Bedeutung gewachsen und arbeitet an immer mehr Themen. Das ruft Kritiker auf den Plan und erfordert eine klare Führung und eine klare Positionierung. Das haben wir mit dem Gesamtvorstand jetzt gut gelöst. "Menschen bewegen – Zukunft gestalten" steht nun im Mittelpunkt. Wir fragen uns: Wie muss eine Gesellschaft aussehen, damit die Menschen sich wohlfühlen, Bildung genießen und an politischen und wirtschaftlichen Prozessen teilhaben können?
Trotzdem: Ist eine politische Neuverortung nötig, heraus aus der Ecke des Neoliberalismus, in der die Stiftung steht?
Wir stehen nicht rechts, nicht in der Mitte und nicht links – wir sind unpolitisch. Wir sind ein Thinktank, der überlegt, was das Richtige für dieses Land ist. Und was heißt neoliberal? Wir sind Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, kein Verfechter des Kapitalismus, überhaupt nicht. Turbokapitalismus ist nicht zielführend. Wir müssen zurück zu Ludwig Erhard. Nach dem Krieg hat eine gut ausgebildete Mittelschicht das Land wieder erfolgreich gemacht. Im Moment ist zu beobachten, dass der Mittelstand kleiner wird und mehr Menschen in die Armut rutschen.
Die Stiftung vollzieht einen Linksruck?
Nein, mit links hat das nichts zu tun. Es muss einen Ruck zu mehr Teilhabe von mehr Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung geben.
Sie wollen, dass die Stiftung Europas größter Thinktank wird.
Ja. Wir haben hier eine großartige Mannschaft, eine Menge Gehirn, mit dem wir viel bewegen können, wenn wir uns fokussieren. Und wir müssen den internationalen Aspekt stärken, uns mit Stiftungen zum Beispiel in den USA vernetzen. Unser Büro in Brüssel wird stark ausgebaut, und wir können uns vorstellen, nach China und in die Arabischen Emirate zu gehen.
Was will die Stiftung in China?
Wir stellen fest, dass die Chinesen ähnliche Probleme wie wir haben. Es gibt Alterungsprobleme wegen der Politik der Ein-Kind-Familie, Bildungsprobleme auf dem Land und weitere. Gerade entstehen viele Stiftungen in China, mit denen wir zusammenarbeiten können. Und je weiter man über die Grenzen schaut, umso mehr kann man im eigenen Land profitieren.
Nachhilfe in Sachen Demokratie wollen Sie den Chinesen ja wohl nicht geben.
Die Demokratie ist für uns natürlich nach wie vor die beste aller Staatsformen. Aber es muss erlaubt sein, über ihren heutigen Zustand nachzudenken und Schritte zur Weiterentwicklung vorzuschlagen.
Sollten wir die Demokratie gleich infrage stellen?
Man kann sie ja fortschreiben.
Früher galt immer, dass Demokratie und Marktwirtschaft perfekte Zwillinge sind. Nun sehen wir: Marktwirtschaft funktioniert auch mit einer guten Diktatur.
Ja. Was die Chinesen in den vergangenen 20 Jahren gemacht haben, wäre in einer Demokratie nach westlichem Muster in diesem kurzen Zeitraum nicht möglich gewesen…
Aber das können Sie doch nicht gut finden.
Wir finden das gut für China. Wir müssen unsere Form der Demokratie nicht überallhin exportieren. Man sieht doch im Irak, wohin das führt. Aber für uns gilt: Wenn wir schneller werden wollen, muss unsere Demokratie schneller werden.
Macht die Stiftung Politik?
Nein, wir machen keine Politik, wollen aber Einfluss nehmen. Die Politik kann unsere Ideen – die wir jedem anbieten – aufnehmen.
Gibt es den vor Jahren initiierten "Kanzlerdialog" noch, bei dem Stiftung und Politiker vertraulich miteinander debattierten?
Nein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass wir diese Tradition wieder aufnehmen. Frau Merkel interessiert sich sehr für einige unserer Projekte, auch Frau von der Leyen und andere Minister sind interessiert oder arbeiten bereits mit uns zusammen. Wir müssen aber mit allen Stakeholdern der Gesellschaft in engem Kontakt sein.
Welche Absicht steht hinter diesem Engagement? Soll ein positiver Effekt für den Gesamtkonzern erzielt werden? Soll die Familie Mohn in einem guten Licht stehen?
Nein. Die Stiftung ist ein Instrument, das helfen kann, unser Land weiterzubringen. Ich kenne die Welt ganz gut, wir haben aufzuholen.
Was meinen Sie damit?
Deutschland ist in seinen Reformen zu langsam und zu zögerlich, macht zu kleine Schritte. Wir sind nicht schlechter geworden, aber die anderen sind in den vergangenen 20 Jahren viel besser geworden. Und: Wir leben seit 15, 20 Jahren über unsere Verhältnisse.
Was heißt das?
Wir haben einen Wohlstand, den wir heute eigentlich nicht mehr verdienen. Wir haben nicht mehr das optimale Bildungssystem, bilden nicht mehr die besten Leute aus. Aber wenn Deutschland in der Bildung nicht mehr Spitze ist, fallen wir zurück, denn Rohstoffe haben wir leider keine. Viele der besten Leute gehen aus Deutschland weg, jedes Jahr gehen 170000 hoch qualifizierte Leute und nur ein Drittel kommt zurück. Kinder kriegen wir nicht genügend, und die Migrantenkinder behandeln wir oft nicht richtig. Wir sollten an diesem Verhalten mal etwas verändern. Wenn sich die Völker vermischen, werden sie ja meistens besser, nicht schlechter. Viele Menschen wissen nicht, was Globalisierung eigentlich bedeutet, sie haben Angst vor ihr und sehen die Chancen nicht.
Als Medienkonzern könnte Bertelsmann – ähnlich wie Springer – diese Positionen viel unmittelbarer als über die Stiftung verbreiten.
Ich sehe nicht, dass die Bertelsmann AG Einfluss auf die Inhalte ihrer Medien nimmt.
Aber wenn konzerneigene TV-Sender oder Zeitschriften das Gegenteil dessen kommunizieren, was die Stiftung vertritt, ist das doch ein Widerspruch.
Das tun sie nach meinem Eindruck ja nicht. Sie werden doch nicht sagen wollen, dass der Stern die Linkspartei fördert, oder?
Nein?
Sicher nicht. Der Stern muss Auflage machen. Der schreibt darüber, was die Leute interessiert und bewegt.
Ach so. Und wenn der Spiegel schreibt, was die Leute lesen wollen, dann wird sein Chefredakteur gefeuert…
Trotz aller Friktionen kann man zwei Dinge festhalten: Der Spiegel steht gut da, und Stefan Aust war ein guter Chefredakteur. Vor seiner Lebensleistung muss man Respekt haben.
Warum macht die Stiftung nicht ihr eigenes Medium?
Das machen wir jetzt. Als intellektuelle Einrichtung hatten wir immer ein Problem: Die Lösungen, die wir entwickelt haben, waren oft zu kompliziert beschrieben. Wir müssen die Dinge so ausdrücken, dass die Menschen sie auch verstehen. Wir machen darum zwar nicht ein zweites Cicero, aber ein Magazin, das unsere Projekte besser erklärt und vielleicht auch einmal am Kiosk erscheinen wird.
Tragen die Medien keine Mitschuld daran, dass wir seit 15 Jahren in unserer Entwicklung etwas langsam sind?
Da haben die Medien keine Schuld. Dazu hat die deutsche Mentalität beigetragen. Sicher tragen auch die Politik, die Verbände und die Gewerkschaften eine Mitschuld. Sie haben sich nicht genügend weiterentwickelt. Die Gewerkschaften sind heute immer noch so wichtig wie früher, aber sie müssen sich andere Dinge auf die Fahnen schreiben als Klassenkampf. Sie müssen sich überlegen, wie sie den Menschen wirklich zu einem Mehreinkommen verhelfen können, statt mit ihren Lohnforderungen in den Himmel zu schießen. Es stimmt schon, dass die Löhne in den vergangenen fünf Jahren zu wenig gestiegen sind. Das hat uns zwar wieder wettbewerbsfähig gemacht. Jetzt muss rückverteilt werden, aber anders, als die Gewerkschaften das wollen. Bei Bertelsmann arbeiten wir mit Gewinnbeteiligungen.
Die deutsche Medienindustrie stagniert, ihre internationale Position ist geringer als noch vor einigen Jahren. Unternehmen wie Google, Ebay oder Facebook gehen aus Deutschland nicht hervor.
In einem Großunternehmen hätte ein Google nach unserer Erfahrung auch gar nicht entstehen können. Das funktioniert nur aus kleinen Garagenfirmen heraus. Sie können Erfolgsmodelle wie Amazon oder MySpace nicht aus Konzernen heraus entwickeln. Zudem haben wir es in Deutschland schwer, weil unser Sprachraum zu klein ist.
Was müssen deutsche Medienunternehmen tun, um nicht noch weiter hinter die Amerikaner zurückzufallen?
Ich kann nicht erkennen, dass die deutsche Medienindustrie zurückfällt. Und wer Erfolg in Asien haben wird, bleibt abzuwarten.
Aber Google, Microsoft und Co…
…das sind keine Medienkonzerne, sondern Kommunikationsunternehmen, die sich in Richtung Medien entwickeln.
Wenn Sie auf Ihre Zeit an der Spitze der Bertelsmann AG blicken – worauf sind Sie stolz?
Wir haben die wichtigen Probleme erledigt – die Eigentümerstruktur bereinigt, den Börsengang vermieden, die Napster-Klagen beendet.
Ziemlich defensive Bilanz…
Wir konnten in der Zeit wegen des Rückkaufs unserer Aktien nicht viel nach außen investieren und große Aquisitionen tätigen, das ist klar.
War das eigentlich eine kluge Entscheidung?
Ja! Wir haben die Firma unglaublich stabil gemacht. Für mich ist Bertelsmann nun wieder auf dem Sprung.
Und wie geht es mit Ihnen und der Stiftung weiter?
Ich mache die Aufgabe noch bis 2012. Das ist so verabredet.
Was wollen Sie bis dahin geschafft haben?
Bis dahin hat die Stiftung ein noch geschärfteres Profil, wir werden eine ganze Menge bewegt haben.
Übernimmt Brigitte Mohn nach Ihrem Ausscheiden den Vorsitz der Stiftung?
Das müssen Sie die Stifter fragen. Sie entscheiden über meine Nachfolge.
Was sollen die Leute einmal von Ihnen sagen?
Dass ich mich um die Mitarbeiter gekümmert habe. Ich glaube sehr daran, dass motivierte Mitarbeiter besser arbeiten.
Da spricht auch der Unternehmer Thielen. Ihrer Familie gehört eine Fleischfabrik im Saarland.
Ich möchte gern noch 1000 Arbeitsplätze schaffen. Gerade habe ich in Ascaron Entertainment investiert, eine Firma für Videospiele. Im Herbst erscheint unser Spiel Sacred II, das wird hoffentlich ein großer Erfolg.
Das Gespräch führte Christian Meier
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