- Warum wir die Vermögenssteuer brauchen
Nicht nur in den südeuropäischen Krisenstaaten hat die Staatsverschuldung enorme Ausmaße angenommen. Auch in Deutschland liegt sie deutlich über den Maastricht-Kriterien. Höchste Zeit, über höhere Abgaben für Vermögende nachzudenken, findet Wirtschaftswissenschaftler Gert G. Wagner
Denkt man an Staatsverschuldung, erscheinen in erster Linie Bilder aus Madrid, Athen oder Rom vor dem inneren Auge. Doch nicht nur in den südeuropäischen Krisenländern macht es Sinn, über einen Abbau der Schulden nachzudenken. Auch in Deutschland sind die Staatsschulden im Zuge von Bankenrettungen und damit verbundener Konjunkturstimuli enorm angestiegen. Der staatliche Schuldenstand macht aktuell etwa 80 Prozent des BIP aus, womit er auf jeden Fall deutlich über den in den Maastricht-Kriterien festgelegten 60 Prozent liegt. Die Gesamtverschuldung in Europa hat den Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung veranlasst, einen „Schuldentilgungspakt“ vorzuschlagen.
Beim Abbau von Staatsschulden denken die meisten an Kürzungen der Staatsausgaben, denn eine Erhöhung der Steuereinnahmen ist ganz und gar nicht populär. Warum eigentlich? Denn die Kehrseite einer zunehmenden Staatsverschuldung sind gewachsene private Vermögen. Denn nur, wenn Vermögende in der Lage und Willens sind, dem Staat Geld zu leihen, kann die Staatsschuld anwachsen. Man kann auch argumentieren: viele Staaten sind hoch verschuldet, weil sie sich in den letzten Jahrzehnten nicht getraut haben, ausreichend Steuern zu erheben. Insofern ist es keineswegs von vornherein absurd, an höhere Vermögenssteuern oder eine einmalige Vermögensabgabe zu denken, wenn die Staatsschulden reduziert werden sollen. Zumal in Deutschland in den letzten Jahren hohe Vermögen nicht zuletzt auch durch die verminderte Besteuerung von hohen Einkommen gewachsen sind.
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Zudem sollte man bedenken: Kürzungen der Staatsausgaben sind in Festreden und Talkshows ganz einfach machbar. In der Realität sind in demokratischen Gesellschaften Kürzungen der Staatsausgaben – sieht man von Katastrophen ab – kaum machbar. Denn der sogenannte Staats“konsum“ wird ja nicht von den Staatsdienern „verfrühstückt“, sondern er dient dem Erhalt und dem Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, dem Rechtsstaat, Bildung und Forschung und der sozialen Sicherung im weitesten Sinne. Verschwendung von Steuermitteln, auch durch unnötigerweise vom Staat übernommene Aufgaben, gibt es gewiss auch; die Beseitigung jeglicher Verschwendung wäre effizient. Leider ist die Verschwendung aber im Vorhinein nicht so einfach zu identifizieren wie im Nachhinein, wenn Steuerzahlerbund und Rechnungshöfe sie – zu Recht – anprangern. Wenn man ehrlich ist: in allen großen Organisationen ist Verschwendung schwer vermeidbar: seien es staatliche Behörden oder private Konzerne.
In realistischer Betrachtung ist es für Deutschland ziemlich klar, dass ein Schuldenabbau auf 60 Prozent des BIP nicht durch drastische Ausgabenkürzungen oder phantastische Wachstumsraten des BIP zu erreichen ist. Für einen spürbaren Schuldenabbau werden auch die Steuern erhöht werden müssen. Zumal hohe Investitionen in unser Bildungssystem und die öffentliche Infrastruktur anstehen und die Alterung der Bevölkerung die Sozial- und Gesundheitsausgaben steigen lassen wird. Deutschland hat im letzten Jahrzehnt unterdurchschnittlich in seine (öffentliche) Infrastruktur investiert. Mit Hilfe von Steuerhöhungen könnte hier rasch gegensteuert werden. Wenn die demographische Alterung in zehn Jahren die Sozialkassen richtig belasten wird und nach steuerfinanzierten Zuschüssen gerufen werden wird, wird – so meine persönliche Prognose – dazu kein Spielraum mehr sein.
Vor dem Hintergrund der absehbaren demographischen Entwicklung und (Schein-) Alternativen wie der Privatisierung öffentlicher Leistungen sollten Steuererhöhungen auf hohe Einkommen und Vermögen zumindest nicht tabu sein. Wie gesagt: es gibt Alternativen, aber ich persönlich halte sie für nicht sinnvoll. Deswegen wäre auch eine einmalige Vermögensabgabe, deren Zahlung wie beim Lastenausgleich nach dem 2. Weltkrieg über drei Jahrzehnte gestreckt würde, keineswegs absurd. Man kann sogar argumentieren, dass von der Rettung des Finanzsystems nach der Lehman-Krise und der Stabilisierung des Euros die Vermögenden besonders profitiert haben. Warum sollen sie nicht auch aus ihrem Vermögen heraus einen größeren Teil der Kosten für die Rettungsaktionen aufbringen?
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Klar ist auch: ob der Gesetzgeber eine Vermögensabgabe oder eine Vermögensteuer will oder nicht, ist eine reine politische Mehrheitsentscheidung. Als Wissenschaftler kann man nur Ideen ins Spiel bringen und deren Konsequenzen durchrechnen – irgendwelche „Forderungen“ im Namen der Wissenschaft oder eines Instituts aufzustellen, wäre unredlich.
Eine Simulationsstudie des DIW Berlin zeigt, dass in Deutschland eine Abgabe von 10 Prozent auf alle Vermögen, die pro Kopf mehr als eine halbe Million Euro betragen (pro Ehepaar also mehr als 1 Million Euro), dabei aber kleine und mittlere Betriebe freistellt, insgesamt etwa 170 Milliarden Euro bringen könnte. Betroffen wären nur etwa die reichsten 2,5 Prozent der Bevölkerung. Wie gesagt: darüber muss politisch entschieden werden.
Steuern und Abgaben auf Vermögen führen natürlich dazu, dass Vermögende versuchen, ihr Geld so anzulegen, dass es vom deutschen Fiskus nicht erreicht wird. Dadurch entstehen sicherlich Mindereinnahmen, eventuell konjunkturelle Probleme und längerfristig sicher auch gewisse Wachstumsverluste. Da es aber nicht darum geht, schlagartig 10 Prozent der Vermögen einzuziehen, sondern über Jahre hinweg eine Abgabe (oder auch eine Vermögensteuer) aus dem Ertrag des Vermögens gezahlt werden könnte, würden sich die Ausweicheffekte in Grenzen halten. Und die einmalige Abgabe hat gegenüber der Steuer den Vorteil, dass die Besteuerungsgrundlage nicht ständig minimiert werden würde, weil sie nach dem vorhandenen Vermögensbestand erhoben wird, der zu einem Stichtag in der Vergangenheit ermittelt und nicht mehr angepasst wird.
Rechtlich ist eine Vermögensteuer unstrittig möglich. Die alte Vermögensteuer wurde ab 1997 ausgesetzt, weil die steuerliche Vermögensbewertung nicht mehr zeitgemäß war. Hierfür stehen seit der jüngsten Erbschaftsteuerreform hinreichend verkehrswertnahe Bewertungsverfahren zur Verfügung. Eine einmalige Vermögensabgabe ist rechtlich deutlich umstrittener. Aber die Nachkriegszeit hat gezeigt, dass sie juristisch und politisch machbar und wirtschaftlich verkraftbar ist.
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Gert G. Wagner ist Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags.
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