- Warum Altruisten den Wohlstand abwürgen
Selbstbescheidung ist in der Marktwirtschaft nicht per se ein wünschenswertes Verhalten. Die Philosophen Edith und Rolf W. Puster warnen sogar vor Altruismus. Sie antworten auf die Frage: Wie viel Ich verträgt das Wir?
Der Antagonismus von Alexander Kisslers Verteidigung einer freiheitsbetonenden Ich-Gesellschaft und Christoph Schwennickes Verteidigung einer Gemeinwohlideale erzwingenden Wir-Gesellschaft speist sich weniger aus Erkenntnissen als aus Bekenntnissen, und er munitioniert sich mit wechselseitigem Ideologieverdacht: Bemäntelung selbstsüchtiger Raffgier durch Freiheitspathos hier, Verbrämung etatistischen Machtstrebens durch Moraljargon dort. Angesichts derart starrer Frontlinien ist der stillschweigende Konsens umso bemerkenswerter, den die lärmende Kampfrhetorik übertönt; universell praktiziertes altruistisches Verhalten halten beide für etwas schlechthin Gutes. Und just in diesem einzigen Konsenspunkt irren sie.
Ein für die Kontroverse höchst einschlägiger Punkt spielt bei beiden Kontrahenten keine Rolle: Der Wohlstand, den alle so gern gerecht verteilt sehen wollen, kommt nicht zufällig zustande, sondern beruht auf Faktoren, über die wir etwas in Erfahrung bringen können. Kissler befasst sich mit dieser Problemdimension gar nicht, wohingegen Schwennicke durch die Erwähnung der Marktbefürworter Adam Smith und Margaret Thatcher zumindest indirekt die Relevanz ökonomischer Überlegungen einräumt. Da er jedoch deren Plädoyer für die unsichtbare Hand des Marktes mit leichter Hand, doch ohne sichtbares Argument abtut, bleibt eine Schattenseite des Altruismus unbemerkt.
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Dieses Desiderat gilt es nun zu beheben. So kann zugleich dem grundfalschen Eindruck vorgebeugt werden, als drehe sich die Debatte um eine weltanschauliche Geschmacksfrage, in der Argumente letztlich nichts austragen.
Adam Smith’s unsichtbare Hand ist keine Chimäre
Wohlstand fällt nicht vom Himmel. Er wird durch menschliches Handeln erzeugt. Jeder erzielbare Handlungserfolg wird durch den Aufwand geschmälert, den man um seinetwillen treiben muss. Hierzu zählt der Verbrauch knapper Ressourcen aller Art (wie Lebenszeit, Arbeitskraft, Rohstoffe). Da der Ressourcenverbrauch eigentlich unerwünscht ist, muss jeder Akteur darauf bedacht sein, diesen Kostenfaktor zu minimieren. Das gilt bereits für einen Robinson. Kostenminimierung bzw. Gewinnmaximierung gehört daher zur Natur des Handelns und ist kein soziales, auf die Existenz einer Gesellschaft angewiesenes Phänomen.
Ressourcen können nun aber (fast immer) alternativen Verwendungen zugeführt werden, d.h. ihre Allokationsmöglichkeiten rivalisieren. Daher müssen sie nicht nur sparsam verwendet, sondern auch optimal eingesetzt werden. Optimal sind sie eingesetzt, wenn der mittels ihrer erzielte Handlungserfolg in den Augen des Akteurs den Verzicht auf ihre alternative Verwendung mindestens aufwiegt – kurz: wenn sie in die Erfüllung seines jeweils dringendsten Wunsches fließen.
Für einen Robinson stellt das kein Problem dar. Indem er etwa den zehnstündigen Aufwand für die Herstellung eines Stuhles treibt und nicht den fünfstündigen für die Herstellung eines Hockers, lenkt er die Ressource seiner Arbeitskraft in die Erfüllung seines dringendsten Wunsches. So einfach liegen die Dinge in einer arbeitsteiligen Gesellschaft allerdings nicht. Denn hier ist jeder Akteur regelmäßig darauf angewiesen, dass andere Akteure ihre Ressourcen so einsetzen, dass sie der Erfüllung seiner eigenen Wünsche zugutekommen. Wenn beispielsweise kaum jemand seine Lebenszeit und Arbeitskraft in die Erlernung des Klempnerberufs steckt, dann wird es zunehmend schwierig, die Dienste eines Klempners in Anspruch zu nehmen.
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An dieser Stelle kann der grundsätzliche Verdacht aufkommen, dass eine individuelle, mit anderen nicht abgesprochene Allokation unterschiedlichster Ressourcen nie und nimmer zu einer Versorgungsstruktur führen könne, die passgenau auf die jeweils vorliegende und steter Veränderung unterworfene Prioritätsstruktur der Akteurswünsche zugeschnitten ist. Doch wir wissen, dass und weshalb ein solcher Verdacht unberechtigt ist: Dort nämlich, wo freie Märkte existieren, sorgt die durch Angebot und Nachfrage bewirkte Preisbildung dafür, dass für gewinnorientierte Marktteilnehmer der Anreiz entsteht, ihre Ressourcen gerade für die Bereitstellung des temporär am dringlichsten Gewünschten einzusetzen. Denn die Marktpreise bündeln die Informationen über die (sich in Zahlungsbereitschaft bekundende) Dringlichkeit der Wünsche bzw. die relative Knappheit der gewünschten Güter und übersetzen sie in die jedermann verständliche Sprache des Geldbeutels.
Durch diesen Mechanismus werden Versorgungsengpässe abgebaut, wodurch auch die zunächst gestiegenen Preise dank des nun steigenden Angebots wieder sinken. Adam Smith’s unsichtbare Hand ist also ungeachtet ihrer Unsichtbarkeit keine Chimäre; seine Metapher steht nicht für ein Glaubensdogma, sondern für ein Theoriestück, das Verständige verstehen können.
Selbst auferlegte Askese unterwandert das Prinzip des freiwilligen Tauschs
Was wird geschehen, wenn der Geist der Selbstbescheidung und des Altruismus um sich greift? Nun, wer immer ein Tauschgeschäft anvisiert, wird zuvor sein Gewissen prüfen und ermitteln, ob er nicht auch mit einer kleineren Gegengabe zurechtkäme. Das Ergebnis eines solch konsequent durchgezogenen Wettlaufs der Askese ist klar: Die so zustandekommenden Preise zeigen keine Knappheit an und können daher die knappheitsabbauende Funktion der Ressourcenlenkung nicht erfüllen – mit der Folge systematischer Fehlallokation. Dies aber bedeutet ein Wohlstandsminus im Vergleich zu einem Wirtschaftssystem ohne altruismus-deformierte Preise.
Schlimmer noch: In einer Welt durchgängigen moral-induzierten Gewinnverzichts gibt es keine Garantie dafür, dass sich ein anfänglich gegebenes Wohlstandsniveau auch nur aufrechterhalten lässt. Knappheitsverbergende Preise legen nämlich die Axt an die Wurzel des Wohlstands – den freiwilligen Tausch: Nichts stellt dann mehr sicher, dass auch nur einer der beiden moralgetriebenen Partner mittels des Tauschs eine ihn minder befriedigende Situation durch eine ihn mehr befriedigende ersetzen kann.
Die Bilanz wird nicht erfreulicher, wenn wir annehmen, dass nicht alle Marktteilnehmer, sondern nur die Besserverdienenden ihre Gewinnmaximierungsambitionen zähmen. Denn dadurch würden ja gerade diejenigen Preise sinken, die besonders hoch sein müssten, um die verhandenen Knappheiten verlässlich zu signalisieren.
Wer hinsichtlich der Aussichten, den Altruismus zum moralischen Volkssport zu machen, realistisch bleibt und deshalb den Verzicht auf Gewinnmaximierung durch staatliche Eingriffe erzwingt, der führt die Gesellschaft in dieselbe Sackgasse – und ganz besonders die Schlechtergestellten, denen er helfen wollte: Diktiert der Staat beispielsweise Mieten unter dem Marktpreis, so verstetigt er damit die Wohnungsnot, da er potentiellen Vermietern den Anreiz nimmt, für zusätzlichen Wohnraum zu sorgen.
Unsichtbare Hand des Marktes oder sichtbare Eisenfaust des Staates?
Fassen wir zusammen: Nur das Agieren von Gewinnmaximierern auf einem freien Markt setzt und hält den Wohlstandmotor in Gang, wohingegen altruistische Gewinnverschmäher ihn abwürgen. Ohne die Freiheit zu individuellen Handlungserfolgen weder Wohlstand für das Ich noch für das Wir. Die Titelfrage sollte daher besser lauten: Wie viel Wir verträgt das Wir?, und die Antwort ist: Wenig, sehr wenig!
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Freilich – gewährt man diese Freiheit, so steht keine Gleichverteilung des Wohlstands zu erwarten. Vielmehr wird es Wohlstandsunterschiede geben, auch solche, für die die betroffenen Individuen nicht verantwortlich sind (etwa weil sie von genetischen und sozialisationsbedingten Faktoren herrühren) und die daher die moralische Intuition auf den Plan rufen, dass sie ungerecht sind.
Also Freiheit um des Wohlstands willen, doch ohne Gerechtigkeit? Wer nur die substanzlose Gerechtigkeit größerer Gleichheit auf niedrigem Niveau anzubieten hat, sollte den Schlechtergestellten auch nichts anderes vorgaukeln – selbst auf die Gefahr hin, dass diese dann die unsichtbare Hand des freien Marktes der sichtbaren Eisenfaust des Staates vorziehen.
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