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Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde / picture alliance

Wissenschaftler zum Klimawandel - Problematische Warnung der 11.000

Meist gelesener Text im November: Es war eine der großen Nachrichten der Woche, die „Warnung von 11.000 Wissenschaftlern vor einem Klimanotstand“. Fast alle Medien berichteten, meist an prominenter Stelle. Kläglich war das, auch weil der Aufruf dem Wissenschaftsethos widerspricht

Axel Bojanowski

Autoreninfo

Axel Bojanowski verfolgt die Klimadebatte seit 1997 als Wissenschaftsjournalist. Der Diplom-Geologe (Diplom über Klimaforschung) ist Chefredakteur von „Bild der Wissenschaft“ und „Natur“. Er schrieb den „Klimajournalisten-Blues“

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Der Klimawandel, angetrieben von Abgasen des Menschen, birgt erhebliche Risiken für viele Weltregionen. Umweltveränderungen sind messbar: Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Hitzewellen werden häufiger. Welche Folgen noch zu erwarten sind, ist Gegenstand der Forschung; der UN-Klimabericht dokumentiert zahlreiche Risiken, gleichwohl erhebliche Wissenslücken. Der Klimawandel findet sich zurecht oben auf der Agenda der Vereinten Nationen.

Doch die Warnung der 11.000 Wissenschaftler ist aus mehreren Gründen problematisch: Sie gründet auf einem mangelhaften Aufsatz. Sie widerspricht dem Ethos der Wissenschaft. Es gibt Zweifel an den Unterzeichnern. Und die Unterzeichner erliegen einer anrüchigen Versuchung.

Inhaltliche Mängel des Aufrufs

Das Spektakel um die Warnung der 11.000 erweist dem Thema einen Bärendienst. Es ist ein Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit der Forschung (und der Medien), nicht nur weil die Unterzeichnerliste offenbar ungeprüft veröffentlicht wurde – auch „Mickey Mouse“ hat unterschrieben. Dass zahlreiche Vertreter von Umweltverbänden unter den Unterzeichnern sind und viele andere ohne Berufsnennung, lässt an ihrer Wissenschaftlichkeit zweifeln. Aber auch viele Forscher, deren angegebene Fachrichtung eine Mitarbeit am Klimathema anzeigen, dürften mit der Arbeit ihre Kompetenz überschritten haben: Sie bearbeiten Detailfragen, die eine kompetente Beurteilung aller Aussagen des Aufsatzes nicht unbedingt nahelegen.

Schwerer aber wiegen inhaltliche Mängel des Aufrufs. Aufgeführt werden Statistiken über die Änderungen menschlicher Aktivitäten, die Einfluss auf das Klima haben und zudem gemessene Umweltveränderungen. Suggeriert wird beispielsweise, dass eine zunehmende Versorgung der Weltbevölkerung mit Strom und der Zuwachs an Wohlstand, problematisch seien. Angesichts von 820 Millionen Hungernden in der Welt und gut einer Milliarde, denen Strom fehlt, eine zynische Aussage.

Die Vereinten Nationen haben das Gegenteil berichtet

Grobe Mängel im Aufsatz vergrößern das Problem: Eine Grafik etwa zeigt, dass die Welt massiv an Wald eingebüßt habe – eine grobe Irreführung. Erst im August haben die Vereinten Nationen das Gegenteil berichtet: Die Vegetation hat weltweit über die vergangenen Jahrzehnte stetig zugenommen. Eine weitere Grafik zeigt, dass Wetterkatastrophen häufiger geworden wären – ebenfalls ein Widerspruch zu UN-Daten, die bislang keinen globalen Klimaeffekt bei Wetterkatastrophen zeigen.

Während der UN-Klimareport regelmäßig überzeugend darlegt, warum die Erwärmung Umweltrisiken vergrößert, lassen die Darstellungen dieser von den 11.000 unterzeichneten Studie kaum einen glaubwürdigen Schluss zu; angebliche Zusammenhänge werden nicht erläutert. Stattdessen gibt es eine Liste mit Forderungen: Die Ernährung sollte auf Pflanzen umgestellt werden, und die Weltbevölkerung „muss stabilisiert, idealerweise reduziert werden“, heißt es etwa.

Moralische Pflicht der Wissenschaft gibt es nicht

Bereits der erste Satz des Aufsatzes ist problematisch: „Wissenschaftler haben eine moralische Pflicht, die Menschheit deutlich vor jeder katastrophalen Bedrohung zu warnen und die Lage zu schildern wie sie ist“, schreiben die Autoren. Abgesehen davon, dass die „Schilderung der Lage“ in dem Aufsatz misslungen ist – jene moralische Pflicht der Wissenschaft gibt es nicht. Das Gegenteil ist richtig: Politische Forderungen vergiften die Wissenschaft.

Die Wahrheitsfindung der Wissenschaft bedarf politischer Freiheit, soziale Verpflichtungen drängen die Forschung in Ideologien. Die Politisierung der Klimatologie hat bereits dazu geführt, dass sich viele Forscher mit Kritik an Ergebnissen und mit Zweifeln zurückhalten, um nicht in unliebsame politische Gesellschaft gestellt zu werden. Die Klimaforschung ist längst nicht mehr so frei, wie sie laut grundgesetzlichem Credo eigentlich sein sollte. Auch sie sollte ausschließlich der Wahrheitsfindung dienen, nicht der Mehrheitsfindung.

Politisierung des eigenen Wissens

Selbst eindeutige Forschungsergebnisse dürfen niemals politische Entscheidungen vorwegnehmen. Der Kampf gegen den Klimawandel steht in Zielkonflikten mit anderen fundamentalen gesellschaftlichen Problemen, etwa Nahrungsmangel und Energiemangel – nicht Umweltforscher haben zwangsläufig die Lösungen für die besten Kompromisse. Die Gesellschaft muss auf Basis von nüchternem wissenschaftlichem Sachstand entscheiden, nur dann finden politische Maßnahmen Akzeptanz. Weisungen einer akademischen Elite mit Autoritätsanspruch hingegen diskreditieren die Demokratie.

Dass es viele Umweltwissenschaftler derzeit zu Appellen drängt, mag angesichts des Klimawandels verständlich erscheinen. Uneigennützigkeit braucht dennoch nicht unterstellt werden: Wahrnehmung ist auch in der Forschung die wichtigste Währung – und Politisierung des eigenen Wissens hilft, relevant zu werden. Diese Versuchung ist menschlich, dass ihr aber sogenannte Qualitätsmedien unkritisch nachgeben wie bei der Warnung der 11.000, spottet ihrer Kontrollfunktion.

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