Im Land der Rabenmütter

Der Einfluss der Frauen auf den Topetagen der Wirtschaft wächst. Nicht nur in den USA, auch in Europa greifen sie nach der Macht. Bloß nicht in Deutschland. Warum?

"Anne Atomique", sagen die Franzosen, wenn sie von Anne Lauvergeon sprechen, der Chefin von Areva, dem Energiekonzern, der Frankreich mit Atomstrom versorgt. Marjorie Scardino beliefert die Briten mit Wirtschaftsinformationen: Sie führt mit Pearson einen einflussreichen Verlag, in dem auch die Financial Times erscheint. Barbara Kux, eine Schweizerin, hat das Einkaufen zur Passion gemacht: Sie besorgt für Philips alles, was der niederländische Elektronikkonzern zum Produzieren braucht. Ihr Budget: 23 Milliarden Dollar. Kein Zweifel, der Einfluss der Frauen auf den Topetagen der Wirtschaft wächst. Nicht nur in den USA - wo Unternehmen wie Hewlett-Packard, eBay, Xerox, Young & Rubicam, Avon oder Kraft fest in zarten Händen sind -, sondern auch in Europa. Nur von den deutschen Frauen ist in den Schaltzentralen der Wirtschaft nach wie vor nicht viel zu sehen. Der Frauenanteil in Führungspositionen liegt in den USA bei 46 Prozent, bei uns hingegen bei elf, so eine neue Untersuchung der international vertretenen Personalberatung Heidrick & Struggles. In den 100 größten deutschen Unternehmen gibt es kaum einen weiblichen Vorstand, und auch in den jährlich publizierten Ranglisten der "einflussreichsten Frauen der Welt" sucht der Leser vergeblich nach deutschen Gesichtern. Im jüngsten Ranking von Fortune findet sich keine einzige Chefin mit deutschem Pass, in dem vom Wall Street Journal nur Liz Mohn - die ihren Status vermutlich weniger dem zähen Aufstieg durch die Bertelsmann-Instanzen, sondern vielmehr der Ehe mit dem Konzern-Patriarchen Reinhard Mohn zu verdanken hat. Peinlich, aber wahr: Traditionelle Macho-Kulturen wie Japan, Italien, Russland oder die Türkei sind in diesen Listen durchaus mit weiblichen Bossen vertreten. Kommen im Ausland die Frauen vielleicht leichter an die Macht, weil modernere Männer verständnisvollere Firmen führen? Wohl kaum. Natürlich gibt es in Deutschland immer noch Dinosaurier, die am Konferenztisch keine Frauen dulden, es sei denn, sie bringen den Kaffee. Das ist jedoch eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Personalberater wie Christine Stimpel von Spencer Stuart geben zu Protokoll, dass sie von ihren Klienten oft explizit nach weiblichen Kandidaten gefragt werden. Die seien jedoch schwer zu finden, auf Topmanagementebene stünden in Deutschland so gut wie keine Frauen zur Verfügung. Am Nachwuchs kann es nicht liegen, in vielen Fächern ist inzwischen jeder zweite Student weiblich, die Frauen haben in ihren Examina die besseren Noten, und überdies besetzt schon seit einigen Jahren jedes deutsche Unternehmen, das etwas auf sich hält, sein Traineeprogramm zur Hälfte mit jungen Frauen. Doch sie stehen den Unternehmen in der Regel spätestens nach zehn Jahren - sehr zum Kummer vieler Personalchefs übrigens - nicht mehr zur Verfügung. An Erklärungsversuchen für die weibliche Abstinenz auf der Führungsetage herrscht kein Mangel. "Frauen kriegen schließlich immer noch die Kinder" und hätten wegen der Aufzucht des Nachwuchses weniger Zeit für die Karriere, heißt das wohl älteste Argument. Doch ein Blick über die Grenzen lässt es schnell verblassen. Französinnen, Britinnen und Schwedinnen bringen in ihrem Leben neben Budgetgesprächen und Businesslunch sehr wohl auch Bauklötzchen unter. Währenddessen scheitern deutsche Frauen auf beiden Ebenen, als Mütter und als Manager: Die Statistiker registrieren in Deutschland nur noch 1,3 Kinder pro Frau - unter 190 untersuchten Nationen einer der niedrigsten Werte. Die Europäerinnen in Dänemark, Frankreich oder Großbritannien erweisen sich mit 1,7 bis 1,9 Kindern pro Frau als sehr viel fruchtbarer. Gleichzeitig finden sich in diesen Ländern rund 30 Prozent weibliche Mittelmanager - in Deutschland nur um die zehn Prozent. Fazit: Die deutschen Frauen kriegen nicht nur keine Chefsessel, sondern auch kaum noch Babys. Dabei fehlt es nicht an materiellen Anreizen. Nur in Luxemburg ist das Kindergeld noch höher als in Deutschland. Alle anderen EU-Länder zahlen weniger als die Deutschen, Frankreich gar ein ganzes Drittel. Trotzdem haben andere Völker mehr Nachwuchs. "Geld gebiert keine Kinder", kommentiert die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin trocken. Deutlich schlechter als in vielen anderen Ländern ist jedoch das Angebot an Kinderbetreuung. Nach wie vor sind Krippen, Kindergartenplätze und Ganztagsschulen in Deutschland knapp und teuer und ihre Öffnungszeiten so starr, dass sie bei vielen Müttern nur als Arbeitsverhinderungs-Maßnahmen ankommen. In Frankreich oder Skandinavien ist die Betreuung dagegen so gut, dass die Frauen wirklich wählen können, ob sie zu Hause bleiben oder arbeiten gehen. Doch potenzieller weiblicher Führungsnachwuchs mit Kindern lebt häufig in gut situierten Doppelverdienerhaushalten und verfügt mithin über die Mittel, Kinderbetreuung notfalls auch privat zu finanzieren, wenn mit dem Staat nicht zu rechnen ist. Für die Frage nach weiblichen Managern ist Familienpolitik ein wichtiges, aber nicht das entscheidende Thema. Viel wichtiger ist das Frauenbild in der deutschen Gesellschaft. Hier wird das Idyll der Kleinfamilie propagiert als kuscheliger Gegenentwurf zur brutalen Welt des Wettbewerbs und der Kälte eines globalisierten Marktes. In einer Gesellschaft, der nach und nach verbindliche Werte abhanden kommen, fungiert die Mutter als letzter Garant einer humaneren Welt. So ist der Mutterschaft in Deutschland ein nahezu pseudo-religiöser Charakter zugewachsen - den Teile der Frauenbewegung auch noch feiern als Weg zur sittlichen Heilung einer leistungsbesessenen Gesellschaft. Fühlt sich ja auch gut an: Die Mutter ist einzig und unersetzlich, so existenziell gebraucht wird niemand im Unternehmen. Deswegen verhält sich Mama anders als Maman oder Mummy. Während sich beispielsweise der Rest der Welt darüber einig ist, dass Kinder am liebsten mit anderen Kindern zusammen sind und dass eine frühe Sozialisation unter Gleichaltrigen für ein gesundes Selbstbewusstsein unverzichtbar ist, sehen viele deutschen Frauen in der Betreuung von Vorschulkindern höchstens eine Notlösung für die vernachlässigten armen Schätzchen, deren Mütter zu arm oder zu selbstsüchtig sind, um zu Hause zu bleiben. Eine Ganztagskrippe ab sechs Monaten - wie die in Frankreich übliche "Crèche" oder die "Assilinidi" in Italien - ist für die deutsche Frau eine Provokation. "Da könne sie es ja gleich zur Adoption freigeben, befindet sie und zählt drohend besorgt die lange Liste der Störungen auf, die ein solches, um Mutterliebe geprelltes Kind zwangsläufig befallen", schreibt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken, deren Buch "Die deutsche Mutter" die Entstehung des heimischen Mutterphänomens seit der Reformation darstellt.

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