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Im Bannkreis des Stammzellgesetzes

Ihre preisgekrönte Forschung könnte Therapien bei Demenz, Schlaganfall und Querschnittslähmung ermöglichen.

Manchmal zweifelt Magdalena Götz am Standort Deutschland. Als Stammzellforscherin fühlt sie sich vom Gesetzgeber in die Enge getrieben. „Ich arbeite mit Kollegen im Ausland zusammen, die humane embryonale Stammzellen züchten“, sagt die 45-jährige Biologieprofessorin. „Wenn ich mit denen telefoniere und sagen würde, ich habe hier ein interessantes Molekül, wollt ihr das nicht mal testen, dann könnte ich dafür ins Gefängnis gehen.“ Sie selbst gewinnt ihre Erkenntnisse zwar bisher mit Stammzellen von Mäusen, die potenzielle Kriminalisierung durch das restriktive deutsche Stammzellgesetz schlägt international aber einen Bannkreis um sie, der ihrer Forschung die Flügel stutzt. Dabei zählt Götz zu den Topforschern, deren Förderung sich die deutsche Politik nicht erst seit Pisa auf die Fahnen schreibt. Wie ein Weckruf klingt daher das Lob, das Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, der Forscherin zollte, als er ihr im Januar den mit 50000 Euro dotierten Familie-Hansen-Preis seines Unternehmens überreichte: „Mit Ihrer Arbeit belegen Sie auf eindrucksvolle Weise, dass die Naturwissenschaften in Deutschland den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen.“ Magdalena Götz hat maßgeblich dazu beigetragen, ein Dogma zu stürzen, das Generationen von Studierenden naturgegeben schien. Nervenzellen galten danach als unersetzlich, ihre Funktion bei Zerstörung durch Unfall oder Krankheit als unwiederbringlich verloren. Götz hat jedoch gezeigt, dass unsere grauen Zellen prinzipiell regenerierbar sind, weil das Gehirn „ein großes Reservoir an Stammzellen“ hat. Diese Erkenntnis habe in „der Neurowissenschaft zu einem Paradigmenwechsel“ geführt, befand die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und verlieh der Biologin im März einen der mit je 2,5 Millionen Euro dotierten Leibnizpreise. Stammzellen stehen im Zentrum der Entwicklungsbiologie, auf die sich Götz seit Mitte der achtziger Jahre spezialisiert hat. Von diesen Zellen stammen alle anderen Zellen unseres Körpers ab. Stammzellen können sich beliebig oft teilen und selbst erneuern. Sie haben die Fähigkeit, sich – je nach Entwicklungsstufe – in alle möglichen oder viele verschiedene spezialisierte Zellen zu verwandeln. Auch der erwachsene Organismus verfügt noch über begrenzt einsatzfähige Stammzellen. Einst waren Stammzellen nur Spezialisten bekannt. Das änderte sich schlagartig, als das Wissenschaftsmagazin Science 1999 die Züchtung von menschlichen embryonalen Stammzellkulturen als wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres feierte – damit ließe sich die „Verheißung der Jugend einfangen“. Seither wird weltweit heftig debattiert, inwieweit mit Stammzellen menschlicher Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen überzählig sind, geforscht werden darf. Als das GSF Forschungszentrum bei München als erste deutsche Großforschungseinrichtung ein Institut für Stammzellforschung gründete, berief es 2004 Magdalena Götz zu dessen Direktorin. Sie lehrt und forscht auch am Physiologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in der Münchner City. Der Labortrakt, in dem ich dort mit ihr verabredet bin, ist von einer Sicherheitstür verschlossen, deren Fenster den Blick in einen langen, leeren Gang lenken. Der Öffner summt. Die hellen Wände wirken wenig einladend. Eine weiße Tür folgt der nächsten. Fast fühle ich mich wie auf einer Krankenstation. Doch dann erscheint Magdalena Götz. Schwarz sind ihr Pullover, ihre Strumpfhosen und ihr kurzer Rock, dessen Borte in bunten Blumen leuchtet. Sie spricht klangvoll. Die Energie, die sie ausstrahlt, gibt dem Flur Farbe und füllt den Raum. Solche Präsenz prägt auch ihre Karriere als Forscherin. Zielbewusst und unbeirrt hat sich die Tochter eines Architekten seit 20 Jahren in die Entwicklung der Hirnrinde vertieft. Ihr Interesse für die vielfältigen Vorgänge, aus denen sich Organe und Organismen bilden, entzündete sich während ihres Biologiestudiums in Tübingen. Bereits in ihrer Diplomarbeit widmete sie sich der Entwicklung des Gehirns. Für die Biologie war sie schon als Schülerin in Heidelberg entflammt, ermuntert von einer Fachlehrerin, „die wirklich das Denken anregte und nicht nur das Auswendiglernen“. Denkend hat sie später aus ihren Experimenten die richtigen Schlüsse gezogen und herausgefunden, wie zentrale Nervenzellen entstehen. Unser Gehirn besteht, vom dichten Netz seiner Blutgefäße abgesehen, aus zwei Zellgruppen: den Nervenzellen oder Neuronen, die Informationen übermitteln und verarbeiten, und den Gliazellen, die den Neuronen Halt geben, Nahrung besorgen und die Immunabwehr übernehmen. Während es rund 100 Milliarden Neuronen gibt, von denen jedes wiederum tausendfach mit anderen verschaltet ist, dürfte die Zahl der Gliazellen mindestens zehnmal so hoch sein. Die Neuronen sind die Träger der Gehirnleistung, während die Gliazellen, so die tradierte Vorstellung, sie dabei mechanisch unterstützen. Nicht umsonst leitet sich ihr Name vom griechischen Wort für „Leim“ ab. „Deshalb war die Überraschung groß, als wir herausfanden, dass Gliazellen Neuronen generieren“, sagt Magdalena Götz. Die Arbeitsgruppe von Arturo Alvarez-Buylla in New York wies das 1999 erstmals für sternförmige Gliazellen des erwachsenen Gehirns nach, die Astrozyten. Fast zeitgleich zeigten Magdalena Götz und ihre Mitarbeiter, dass die meisten Neuronen im sich entwickelnden Hirn aus radialen Gliazellen entstehen. Wie Speichen durchspannen diese lang gestreckten Zellen die zunächst einlagige Schicht des entstehenden Nervengewebes der Großhirnrinde. So wurden sie nur als Stützstäbe angesehen, an denen neuronale Vorläuferzellen emporwandern, um neue Nervenzellschichten zu bilden. „Diese Vorläuferzellen gibt es aber gar nicht“, fasst Götz ihre Erkenntnis lapidar zusammen. „Die Quelle der Nervenzellen im embryonalen Stadium sind die radialen Gliazellen selbst.“ Im erwachsenen Gehirn seien sie verschwunden, weil sie entweder zu Neuronen oder zu Astrozyten geworden seien. „Das Aufregendste an dieser Entdeckung ist, dass wir die Gliazellen jetzt prinzipiell als Stammzellen ansehen können“, erklärt Professor Götz. Allerdings bilden diese Stammzellen nur in zwei kleinen Regionen des Gehirns bei Bedarf neue Neuronen. Eine dieser Regionen hat mit dem Geruchssinn, die andere mit dem Gedächtnis zu tun. Wie man die schlummernden Stammzellen der anderen Regionen aufwecken könne, das sei der eigentliche Kern ihrer Forschung, sagt Magdalena Götz. „Wir wollen wissen, wie wir überall im erwachsenen Gehirn wieder Entwicklungsprozesse auslösen können.“ Das ist – ethisch wie erkenntnistheoretisch – auch eine philosophische Frage. Solche Fragen liegen der Biologin, die nach dem Abitur zunächst ein Semester Philosophie studierte und heute Mitglied im Kompetenzzentrum Ethik der Universität ist, dem unter anderen der Theologe Friedrich Wilhelm Graf und der ehemalige Staatsminister Julian Nida-Rümelin angehören. Unlängst diskutierte sie dort über die „Herausforderungen und Grenzen der Stammzellforschung“. „Ich finde es bedauerlich, dass man in Deutschland nur schwer mit embryonalen Stammzellen vom Menschen forschen kann“, sagt Götz. Sie forsche ja nicht mit Stammzellen, „um die irgendwo hineinzutransplantieren“, sondern nutze sie „als Quelle einer reinen Population von Zellen“. Denn mit natürlichem Gewebe zu arbeiten, bedeute immer, eine Mixtur von Zellen zu untersuchen – nur aus embryonalen Stammzellen könne sie in ihrem Labor reine Kulturen herstellen. Wenngleich sie ihre Forschung überwiegend mit Mäusen betreibt, beklagt sie doch deutlich einige „unselige Regelungen“ des Stammzellgesetzes, die deutsche Wissenschaftler auf diesem Gebiet weltweit zu isolieren drohten. Damit befindet sie sich im Einklang mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Insbesondere die Stichtagsregelung, wonach Forscher in Deutschland nur mit bestimmten humanen embryonalen Stammzellen arbeiten dürfen, die vor dem 1.Januar 2002 im Ausland hergestellt worden sind, ist der DFG ein Dorn im Auge. Denn die meisten dieser Stammzellkulturen seien „mittels inzwischen veralteter Kultivierungsmethoden angelegt“ worden und heute nicht mehr vermehrungsfähig. Demgegenüber fördert das gerade anlaufende siebte Forschungsrahmenprogramm der EU Arbeiten mit humanen embryonalen Stammzellkulturen, die auch nach dem deutschen Stichtag angelegt worden sind, mit über 50 Millionen Euro. „Somit würden deutsche Forscher “, resümiert die DFG, „definitiv von zahlreichen Projekten des siebten Rahmenprogramms, das auch mit Mitteln aus Deutschland finanziert wird, ausgeschlossen.“ Im Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und Embryonenschutz könnten deshalb auch die aussichtsreichen Arbeiten von Magdalena Götz Schaden nehmen. Mit den von ihr entdeckten Molekülen ließe sich eventuell ein körpereigener Reparaturmechanismus aktivieren, der Patienten mit Demenz, Schlaganfall oder Querschnittslähmung zugutekommen könnte. Pax6 heißt eines dieser Moleküle. Es ist einem Zündschlüssel vergleichbar, der im erwachsenen Gehirn die Gene von Gliazellen aktiviert, damit sie neue Nervenzellen bilden. Cdc42 heißt ein anderer biochemischer Faktor, den Magdalena Götz als wichtigsten Weichensteller für die Bildung von Nervenzellen im embryonalen Gehirn identifiziert hat – ein Befund, dessen Publikation in Nature Neuroscience Aufsehen erregte. Sie warnt jedoch vor voreiligen Hoffnungen: „Das ist alles noch Grundlagenforschung.“ Gründlich zu sein, ist eine hervorstechende Eigenschaft von Magdalena Götz. Sie nimmt sich Zeit, zu beobachten und Schlüsse zu ziehen. Die Botanik ist eines ihrer Hobbys: „Eine unbekannte Pflanze vor mir zu haben und über einen abstrakten Bestimmungsschlüssel ihre Identität festzulegen, hat für mich einen intellektuellen Reiz.“ Bezeichnend ist, dass sie die präzisen Reportagen von Ryszard Kapu´sci´nki mag – und die „Jahrestage“ von Uwe Johnson, die sie gerade mit Begeisterung gelesen hat. „So unprätentiös und gleichzeitig sehr feinfühlig“ sei dieses Werk geschrieben, dass der Autor allein dafür den Nobelpreis verdient gehabt hätte. Nachdem sie in den neunziger Jahren nach London an das National Institute for Medical Research gewechselt war, erhielt ihr Chef ein Angebot eines britischen Pharmaunternehmens – und nahm seine Postdoktorandin mit. Zweieinhalb Jahre lang arbeitete sie bei „Big Pharma“, aber ihrem Arbeitsstil entsprach das nicht. „Die ständigen Strategiewechsel waren unproduktiv“, erinnert sie sich. „Immer wenn ein neuer Obermanager kam, fanden sich viele Forscher auf einem anderen Arbeitsgebiet wieder – wie Fußballspieler, die einen neuen Trainer bekommen.“ Sie aber wollte ihrem Ziel, die Neurogenese zu verstehen, treu bleiben. Die Gelegenheit dazu bot ihr eine Position als Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München. Dort gelang ihr der wissenschaftliche Durchbruch, dort fand sie auch ihr privates Glück. Sie heiratete Benedikt Grothe, Biologieprofessor und Betreuer ihrer Habilitation. Auch wegen dieser Bindung lehnte sie Rufe an Lehrstühle in Hamburg, Schweden und Großbritannien ab. Als das nah gelegene GSF-Forschungszentrum die Leitung seines Stammzellinstituts ausschrieb, nutzte sie die Gunst der Stunde. Dort wie in ihrem Universitätslabor stellt sie hohe Anforderungen an sich und ihr Team. Dennoch geht es bei der Arbeit ungezwungen zu, auch Lachen gehört zum Handwerk der multinationalen Doktoranden-Schar. Am liebsten arbeitet die Professorin derzeit am Zeitraffer-Mikroskop, durch das sie die Vorgänge im Gehirngewebe eine Woche lang im zehnminütigen Abstand fotografieren lässt, um die Aufnahmen anschließend als Film anzusehen. „Das ist das Schöne an der Entwicklungsbiologie“, sagt sie aufschauend, „da laufen so viele Prozesse koordiniert ab, und wir haben noch längst nicht alle verstanden.“ Ihr Wissensdurst wird so schnell nicht zu löschen sein. Joachim Pietzsch ist Wissenschaftsjournalist. Er lebt in Frankfurt am Main

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