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Ignoranz in der Marktwirtschaft - Böllermüll und Bankenkrise

Mit unserem Wirtschaftssystem verhält es sich wie mit der Silvesterfeierei: Sie sind per se nicht das Problem. Doch im Großen wie im Kleinen bleibt der Konsum ohne unmittelbare Folgen. Verantwortung: Fehlanzeige

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Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Rotbraun und schwarz sind die Zeugen aus aufgeweichter Pappe und verschmurgeltem Plastik. Noch immer erzählen sie von einer Silvesternacht, die nicht jeder zum Feiern nutzen konnte.

50 Männer und Frauen von der Stadtreinigung Hamburg (SRH) kehrten und klaubten seit drei Uhr am Neujahrsmorgen den Rest vom Fest zusammen. Die traditionell stark befeierten Straßen auf dem Kiez oder am Fischmarkt sollten möglichst schnell für die nächsten 364 Tage böllerfrei sein. Rund 30 Tonnen Silvestermüll gab es allein in der Hansestadt. Sie kehren immer noch.

Am selbigen Neujahrstag fuhren die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) sogar eine Sonderschicht mit 600 Straßenkehrern. Doch die Reinigung der Hauptstadt zieht sich hin, trotz Zweischichtbetrieb. Gegen die trendigen Feuerwerksbatterien ist kein Kraut gewachsen, keine Kehrmaschine gebaut. Ergo: Handarbeit. „Bis Mitte kommender Woche sind die Kracher weg“, verspricht Pressesprecherin Sabine Thümler.

Zwei Wochen Verschmutzung. Für eine Nacht Böller- und Raketenfreude. Die Party wird privatisiert. Der verursachte Müll: sozialisiert.

Verantwortung ist zur Mutmaßung verkommen


Das Jahresende zeigt das Kernproblem unseres Wirtschaftssystems auf: Handeln hat sich von Haften gelöst, im Großen wie im Kleinen.

Die Verantwortung des Bürgers ist in den Bereich des Mutmaßlichen entrückt, oder in CSR-Abteilungen der Unternehmen moralisch outgesourcet worden. Corporate-Social-Responsibility ist das Lieblingswort des modernen und aufgeklärten Konsumenten geworden. Doch ein Anreiz, selber etwas zu verantworten, ist kaum noch zu erkennen.

Die Menschen haben in den modernen westlichen Gesellschaften zwei Freiheiten: Die Freiheit zu und von etwas. Das Problem ist: Viele glauben, sie seien in der Marktwirtschaft frei von Verantwortung.

So müsste die silvesterliche Vermüllung eigentlich Millionen Euro an Bußgeldern in die öffentlichen Kassen spülen – den eigenen Abfall auf der Straße zu entsorgen, ist schließlich eine Ordnungswidrigkeit. Stattdessen dürfen zum Beispiel in Berlin die Reinigungskräfte Überstunden machen – denn zusätzliches Personal für den Neujahrsputz gibt es nicht.

Das Kind lernt: Und wird deshalb wieder in den Brunnen fallen


Womit wir bei den Großen wären: Nachdem Thorsten Heins als Vorstandschef am Steuer gesessen hatte, als Black Berry gegen die Wand gesetzt wurde, bekam er ein schön geschnürtes Abschiedspaket. Es wird auf 22 Millionen Dollar beziffert. Der Top-Manager kam, sah, versagte. Persönliche Haftung: Fehlanzeige. Stattdessen stehen nun 40 Prozent der Belegschaft vor dem Rauswurf.

Auch in den oberen Etagen von Großbanken wird kaum jemand für Misswirtschaft zur Verantwortung gezogen. Banken sind ja „too big to fail“, eine Nummer zu groß fürs Insolvenzrecht. Schön für die Anleger, schlecht für den Steuerzahler. So griff der Bund der Commerzbank mit 18 Milliarden Euro unter die Arme. Die Rettung der amerikanischen Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae hat bisher 187,5 Milliarden Steuer-Dollar gekostet.

Sage keiner, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Silvester-Aufräumarbeiten, horrende Abfindungsprämien für mieses Management und Bankenrettungen haben uns ganz oben und ganz unten gelehrt: Es ist wohlfeil, die eigene Verantwortung zu ignorieren.

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