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Für eine Handvoll Dollar
Sie sitzen in Mumbai und Bangalore, aber sie schreiben über die Stadtratsitzung des kalifornischen Städtchens Pasadena. Ein ehemaliger Textilproduzent lässt seine US-amerikanische Lokalzeitung Pasadena Now günstig in Indien produzieren – ein Zukunftsmodell für den Journalismus?
Rund 100 Journalisten, das ist alles. So viele Auslandskorrespondenten beschäftigen heute alle amerikanischen Zeitungen zusammen, um 300 Millionen US-Bürger darüber zu informieren, was in der großen, weiten Welt vor sich geht. Mit einem vermeintlichen Desinteresse der Amerikaner am internationalen Geschehen hat das indes wenig zu tun: Auslandsberichterstattung ist teuer, und kaum eine Zeitung will sich heute noch einen Stab fest angestellter Korrespondenten leisten, deren Gehälter auf die Rendite drücken.
Für James Macpherson hingegen liegt die Zukunft des amerikanischen Journalismus im Ausland. Der Verleger und Chefredakteur der Internet-Seite „Pasadena Now“ beschäftigt sechs Mitarbeiter in Indien, die täglich für seine Website schreiben. Allerdings verfassen sie keine Berichte über die Filmwelt von Bollywood oder liefern kundige Vor-Ort-Analysen des indischen Wirtschaftslebens. Sie sitzen zwar in Mumbai und Bangalore, aber sie schreiben über die Versammlung des Stadtrats von Pasadena oder Ausstellungseröffnungen in dem 14000 Kilometer entfernten kalifornischen Städtchen. Dafür zahlt ihnen der Amerikaner 7,50 Dollar à 1000 Wörter. „Ich zahle pro Stück, genau wie in der Bekleidungsindustrie“, sagt Macpherson, der früher im Textilgewerbe tätig war.
Den Stoff für ihre Geschichten bekommen die Internet-Inder über das World Wide Web und per E-Mail. Macpherson schickt ehrenamtliche „Feldbeobachter“ mit Videokameras auf die Veranstaltungen in Pasadena und leitet das von ihnen aufgenommene Material dann von seiner Operationszentrale, dem heimischen Wohnzimmer, zur Aufarbeitung nach Indien weiter. „Klingt ein bisschen wie die Flugkontrolleure in Nevada, die Dronen über Kabul fliegen, nicht wahr?“, juxt Macpherson, den seine Methode des Offshore-Reporting in kürzester Zeit zum wohl meistgehassten Mann im US-Journalismus gemacht hat.
Mitunter haben die Glokal-Reporter mit den Tücken der Technik zu kämpfen: Dass zwei Mitglieder eine Sitzung des Gemeinderats von Pasadena aus Protest verließen, erwähnten sie in ihrem Bericht aus Mumbai gar nicht: Die erzürnten Politiker stapften außerhalb des Sichtwinkels von Macphersons Kamera aus dem Saal.
Kann das überhaupt gut gehen: Lokaljournalismus mit 14000 Kilometer Luftlinie? Gibt es bald auch Sweatshops für Schreiberlinge – eben ganz wie in der Textilindustrie, deren tayloristische Effizienz Macpherson als Vorbild dient? Oder Honorierung der Autoren nicht nach Textlänge, sondern Publikumserfolg, wie sie einem Bericht von „medienlese.com“ zufolge das kanadische Online-Magazin „Suite 101“ praktiziert: Nutzern zufolge zahlt das Magazin seinen freien Autoren zwischen 1,50 Dollar und vier Dollar je 1000 Klicks auf der Internetseite mit dem entsprechenden Artikel. Wird guter Journalismus immer billiger? Kann die Arbeit gut bezahlter Profis genauso gut für eine Handvoll Dollar gemacht werden? „Einen Penny für meine Gedanken?“, schimpfte die Starkolumnistin Maureen Dowd in der New York Times, nachdem sie Macpherson getroffen hatte, und fragte sich, „ob bald ein Typ in Bangalore meine Kolumnen über Präsident Obama schreibt“.
Dabei ist der Outsourcing-Wahn des tapferen Schneiderleins, das Journalist werden wollte, nur ein Symptom der aktuellen Medien- und Finanzkrise in den USA. Denn Macpherson, der die Medienbranche an einem „General-Motors-Moment“ angekommen sieht, ist nicht der einzige Rationalisierer – nur der dreisteste. Längst haben große Medienkonzerne wie die Agentur Reuters Dienstleistungsabteilungen und Teile der Finanzberichterstattung nach Indien ausgelagert. Wohin man schaut im US-Journalismus: Überall wird gekürzt, geschrumpft, gefeuert. Große Zeitungen wie die Los Angeles Times oder der San Francisco Chronicle haben seit dem Jahr 2000 mehr als die Hälfte ihrer Mitarbeiter entlassen. Kleine, traditionsreiche Lokalzeitungen wie die Kentucky Post werden ganz eingestellt.
In den USA hat das große Zeitungssterben begonnen, und in den vergangenen Monaten jagte eine Horrormeldung die nächste. Die traditionsreiche Tribune Company, zu der die Los Angeles Times und Chicago Tribune gehören, musste ein Jahr nach der schuldenfinanzierten Übernahme durch den Finanzinvestor Sam Zell Insolvenz anmelden. Die renommierte New York Times, ungekrönte Königin der US-Zeitungen und Brutstätte zahlreicher Pulitzer-Preisträger, steht vor einem Schuldenberg von rund einer Milliarde Dollar und wird vermutlich 2009 ihr neues Verlagsgebäude verpfänden müssen, um zu überleben.
Verschärft wird die Krise durch den drastischen Rückgang des Anzeigenmarktes. Laut einer Studie des „Publishers Information Bureau“ schrumpfte die Zahl der in US-Zeitschriften geschalteten Anzeigen im vergangenen Jahr um 11,7 Prozent. Auch die Konkurrenz aus dem Web macht den traditionellen Printmedien zu schaffen. Wie das Pew Forschungszentrum in Washington ermittelt hat, war das Internet 2008 nach dem Fernsehen die wichtigste Informationsquelle der US-Bürger für Nachrichten und rangiert damit erstmals vor Zeitschriften und Zeitungen.
Was heute zumal in Deutschland schwer vorstellbar scheint, ist es wirklich undenkbar? Vielleicht werden die Kioske und Zeitungsverkäufer in zehn Jahren ebenso von unseren Straßen verschwunden sein wie die einst zahlreichen Telefonzellen, die das Opfer jener anderen Informationsrevolution des vergangenen Jahrzehnts, des Handys, wurden.
„Wir sollten das hier nicht mehr als ‚Newspaper‘ bezeichnen, sondern als ‚News Company‘“, sagt Nancy Barnes. Die smarte Managerin ist seit fünf Jahren Chefredakteurin der 140 Jahre alten Star Tribune in Minneapolis, die mit einer Wochenendauflage von über einer halben Million Exemplaren zu den größeren Zeitungen des Landes zählt. Auch Barnes ist nicht zimperlich, wenn es um Kosteneinsparung geht. Sie hat Personal reduziert, Blogs eingeführt, ihre Redakteure zum Twittern verdonnert. Seit sie im Chefsessel sitzt, muss auch der Kollege im Ressort „Heim und Garten“ Videofilme für die Website drehen. Barnes hofft, dass das Online-Anzeigengeschäft in fünf Jahren die Kosten der Redaktion trägt.
Von James Macphersons Outsourcing-Experimenten hält die Regionalzeitungs-Chefin indes wenig: „Eine Welt ganz ohne traditionelle Reporter kann ich mir nicht vorstellen, und wenn ich mit dem sinkenden Schiff untergehen muss.“ Auch wenn die Inhalte in neuer Form daherkommen, irgendwoher müssen sie ja kommen. Wer stellt den professionell recherchierten und aufbereiteten „Content“ zur Verfügung, wenn nicht gut ausgebildete, erfahrene Journalisten? „Investigativer Journalismus lohnt sich, aber er macht sich erst langfristig bezahlt“, sagt Barnes.
Für Star Tribune-Reporter James Shiffer ist die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos. „2009 wird das Jahr der Entscheidung. Vielleicht gibt es bald die ersten amerikanischen Großstädte ohne eigene Zeitung“, glaubt der Lokalreporter, der auf der Star Tribune-Website mit seinem über die Stadt hinaus beachteten Whistleblower-Blog politische Machenschaften aufdeckt. Blogging und Internet sieht Shiffer nicht als Bedrohung des traditionellen Journalismus und empfiehlt einen Besuch im Landesarchiv von Minnesota: „Auch im 19.Jahrhundert gab es viele publizistische Ein-Mann-Unternehmen, winzige Zeitungen und Flugblätter und eine riesige Meinungsvielfalt. Blogs machen das alles nur billiger, schneller und einfacher.“
Selbst James Macpherson ist nach dem anfänglichen Aufschrei und einer Flut von Hassbriefen in die Defensive gegangen. Der Mann mit der Mumbai-Connection gibt keine Interviews mehr und beschwichtigt auf seiner Webseite, auch aus seiner Sicht sei die einzige Möglichkeit, Nachrichten zu recherchieren, selber vor Ort zu sein: „Boots on the ground“. Vielleicht ist die amerikanische Aufklärungsdrone über Kabul doch kein so gutes Modell für den Journalismus der Zukunft.
Foto: Picture Alliance
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