- Der Markt für Benzinschlitten brummt
Weg vom Öl? Das sagt sich leicht. Die Autowelt hängt noch immer am Sprit wie ein Trinker an der Flasche
Wir müssen das Öl verlassen, bevor es uns verlässt. Das leuchtet ein und sagt sich leicht, ist aber so schwer wie eine Sucht zu überwinden. Die Autowelt hängt noch immer am Sprit wie ein Trinker an der Flasche. Wie kann sie trocken werden?
Für einen Alkoholiker gilt als Voraussetzung, dass er wirklich loskommen wollen muss von der Sucht. Ohne die Abhängigkeit ernsthaft leid zu sein, also ohne ihr mit Hass und Abscheu zu begegnen, wird er es nie zur Abstinenz schaffen.
Wir Autofahrer leiden nur bedingt unter der Treibstoffabhängigkeit. Klar, wir klagen über die hohen Preise an der Tankstelle. Einige stellen um auf Gasmotor. Aber die wenigsten wagen den Schritt ganz weg von der fossilen Energie und hin zum Elektroauto. Dafür ist der gute alte Verbrennungsmotor zu komfortabel.
Elektro-Autos sind weit teurer, fahren aber mit einer Batteriefüllung nicht einmal ein Drittel so weit wie mit einem Benzin- oder Dieselmotor. Außerdem findet man für sie kaum Ladesäulen und dann dauert es vier bis 20 Stunden, bis die Batterie – die streng genommen ja ein Akku ist - wieder vollgeladen ist. Wer will schon an der Tankstelle übernachten?
In Deutschland sind über 40 Millionen Autos zugelassen, davon aber nur 8000 mit E-Motor. Das ist eine lächerlich mickrige Anzahl. Dabei hätte es umgekehrt laufen können. Das E-Auto war anfangs viel erfolgreicher: Die ersten Elektrofahrzeuge hießen Elektro-Wagen, weil das Wort „Automobil“ noch unbekannt und das Auto anno 1881 noch nicht erfunden war. Lange Zeit schien das E-Auto das Rennen gegen das Auto mit Verbrennungsmotor zu führen. Und zwar im Wortsinn: Den ersten gemessenen Geschwindigkeitsrekord fuhr ein E-Auto: 63 Kilometer pro Stunde. Das war 1898. Ein Jahr später stellte Ferdinand Porsche das erste Hybridfahrzeug vor. In New York fuhren um 1900 mehr als die Hälfte aller Wagen mit einem E-Motor.
Die Zukunft dieser Technologie reichte aber nicht weit ins 20. Jahrhundert hinein. Das lag auch an der Erfindung des Anlassers – 1911 war das. Er ersetzte das umständliche Kurbeln. Der Verbrennungsmotor wurde bequem und die Akku-Entwicklung schien zu ruhen. Nun hat sich dort in den letzten Jahren einiges getan. Doch wiegen die Dinger noch immer einige hundert Kilogramm und sind so groß wie Kommoden.
Trotzdem soll das lange Rennen zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor noch nicht entschieden sein. Das jedenfalls suggeriert die Bundesregierung. Deutschland solle Leitmarkt werden auf der Welt für Elektromobilität; und möglichst auch Leitanbieter. Vor fünf Jahren gab die Kanzlerin das Ziel aus, dass bis zum Jahr 2020 eine Million E-Autos in Deutschland fahren sollen. Und sie hat es soeben bestätigt.
Es fehlen also noch 992.000 E-Mobile, die in den kommenden sieben Jahren verkauft werden müssten. Bis 2014 sollen 16 weitere E-Modelle auf den Markt kommen. Das hat die Autoindustrie vor zwei Wochen auf der „Internationalen Konferenz Elektromobilität“ in Berlin zugesagt. Da wirkte es wie eine Gegengabe als die Kanzlerin versprach, sich bei der EU für „Supercredits“ einzusetzen.
Merkel will sich also stark machen für die Autobauer, damit die für jedes gebaute Elektrofahrzeug mindestens zwei herkömmliche mit Verbrennungsmotor fertigen dürfen. Es geht dabei um eine Art Emissionshandel für die Autoindustrie: Alles wird mit allem verrechnet. Die Fertigung von CO2-freien E-Autos erlaubt es den großen Autofirmen, dass sie trotz immer strenger werdenden Abgasvorschriften der EU weiterhin ihre Luxus-Spritsäufer produzieren können.
Hier wittern Umweltschützer Heuchelei. Wer wirklich dem E-Auto den Weg bahnen wolle, mache nicht solche Angebote. Das warfen Demonstranten noch auf dem Kongress der Kanzlerin vor. Sie haben recht damit: Natürlich hat die Autoindustrie wenig Interesse, ihre Erfolgsmodelle für weithin noch unpopuläre E-Autos aufzugeben. Der Markt für ihre dicken Benzinschlitten brummt weltweit. CO2-Vorgaben gibt es nur in der EU, aber weder in Asien noch in Amerika. Dort sind deutsche Autos begehrt wie nie zuvor.
Wie sonst jedoch sollte die Regierung auf EU-Vorgaben reagieren, wenn sie nicht die Zukunft der deutschen Autoindustrie gefährden will? Die geplanten EU-Richtlinien zum CO2-Ausstoß pro Pkw sind technisch nicht einzuhalten für Wagen der oberen Mittelklasse und der Oberklasse. Diese Grenzwerte aber abzulehnen wäre unvereinbar mit den Klimazielen, denen sich Deutschland verpflichtet hat.
Der Verbrennungsmotor widerspricht diesen Zielen grundsätzlich, weil das Öl knapp wird und das Klima zu kippen droht. Und weil immer mehr Menschen in die Städte ziehen, deren hauptsächlich durch Autos verursachter Smog die Erde nachweislich erwärmt. Es ist wissenschaftlich unumstritten, dass stattdessen E-Fahrzeuge mit CO2-frei erzeugtem Strom gut für die weltweite Klimabilanz wären.
Wie also handeln in diesem Dilemma? Indem sich beide Seiten ehrlich machen: Autoindustrie und Bundesregierung. Die Autohersteller sollten weiter blicken als drei Vorstandsperioden. Der Verbrennungsmotor wird eines Tages als Antriebsart so veraltet sein wie heute das Pferd. Er muss ersetzt werden, wenn es weiterhin Autos geben soll.
Die Bundesregierung sollte zugeben, dass es in einer Demokratie keine radikalen Lösungen gibt. Sie sollte offen sagen, dass sie natürlich nur im Einvernehmen mit der wichtigsten Industrie des Landes handeln kann; denn jeder zweite Arbeitsplatz hängt daran. Ein unmittelbarer Ausstieg von Benzin und Diesel ist nicht per Beschluss vorzuschreiben, so wie es bei der Kernkraft lief. Ein E-Motor ist auch nur so sauber, wie der Strom, den er tankt.
Weil der Energiemix in Deutschland noch immer einen vergleichsweise hohen CO2-Anteil hat, ist das reine Strom-Auto in seiner Ökobilanz nicht wirklich clean. Insofern liegt ein Kompromiss nahe, den es auch schon gibt. Er heißt Hybrid, also eine Mischung aus Strom und Verbrennungsmotor. Hybridautos fahren zwar schon seit 15 Jahren weltweit, inzwischen mehr als fünf Millionen, doch davon sind die meisten klimatechnisch mehr Schein als Sein. Sie rollen nur einige Hundert Meter weiter, würden sie nur mit Strom angetrieben.
Die neueste Generation dieser Technik heißt Plug-in-Hybrid, also der Doppelmotor mit einer Steckdose zum Aufladen. Es gibt Diesel-Hybridautos und Hybrid-Air, eine Kombination aus Benzin und Druckluftspeicher sowie einen Range-Extender, der durch einen Kompressor Energie bezieht. All solche Modelle brauchen weiterhin Benzin oder Diesel. Sie haben jedoch eine reine Strom-Reichweite von etwa 50 Kilometern. Das würde reichen, um die Städte weitgehend frei von Abgasen der Autos zu halten. Mit ihnen könnte auch das Vorhaben der EU-Kommission eingehalten werden. Die will nämlich herkömmliche Autos in Europas Städten bis 2050 gänzlich verbieten.
Lassen wir uns also nicht vormachen, dass wir Öl schon morgen nicht mehr bräuchten. Doch es wäre zu schaffen, weit weniger davon zu verbrennen. „Das Beste aus zwei Welten“, nennt VW-Chef Martin Winterkorn den Mischmotor. Dass einer wie er so etwas sagt, dessen Konzern die meisten konventionellen Autos weltweit verkauft, ist keine schlechte Nachricht für die nähere Zukunft.
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