Dynastie des schönen Scheins
Für 135 Millionen Dollar hat Ronald Lauder das teuerste Bild der Welt gekauft, Klimts „Adele Bloch-BauerI“. Die Sehnsucht nach Schönheit hat der Spross des Kosmetikimperiums „Estée Lauder“ von seiner Mutter geerbt – ebenso das Vermögen, sie sich zu erfüllen
Kaum hatte der neue amerikanische Botschafter in Österreich seinen Posten angetreten, besuchte er seine alte Liebe. Er war ihr bereits als Teenager verfallen, als es ihn erstmals in die Alpenrepublik getrieben hatte, deren Vorläufer, die k.u.k. Monarchie, das Land seiner Ahnen war. Während gleichaltrige Jünglinge seiner Gesellschaftsschicht ihre Ferien in den „Hamptons“ verbrachten, jener Kette von Strandbädern entlang der Küste von Long Island, in denen sich die New Yorker Oberschicht im Sommer tummelt, war er in die Alte Welt gefahren, magisch angezogen von strahlender Kultur und düsterer Geschichte. In Wien hatte er Adele gesehen, von ihrer Schönheit war er auf den ersten Blick fasziniert. Als Botschafter besuchte er sie nun einmal die Woche – und träumte davon, sie zu besitzen. „Adele Bloch-Bauer I“, damals in der Österreichischen Galerie des Belvedere zu bewundern, ließ Ronald Lauder, von 1986 bis 1987 Emissär der Regierung von Präsident Ronald Reagan in Wien, nie aus ihrem Bann. Das von Gustav Klimt 1907 geschaffene Bildnis der reichen Frau eines jüdischen Industriellen verkörperte für ihn Glanz und Elend des 20.Jahrhunderts: die Schönheit einer der bekanntesten Persönlichkeiten des jüdischen Bürgertums (dessen amerikanischen Ableger Lauder als erfolgreicher Geschäftsmann selbst repräsentiert), den kulturellen Reichtum Wiens in seinem Fin de siècle, jener Epoche im goldenen Dämmerlicht, bevor Europa Selbstmord beging, und die Tragödie der Vernichtung des europäischen Judentums. Klimts goldenes Meisterwerk war ein lebenslanger Traum, resümierte Lauder vor wenigen Wochen, nicht in einer Milliarde Jahre habe er es für möglich gehalten, das Gemälde einmal kaufen zu können.
Doch im Juni wurde der Traum wahr, die Schönheit sein Eigen nennen zu können. Lauder erwarb, vermutlich unter Vermittlung des Auktionshauses Christie’s, „Adele Bloch-Bauer I“ für einen Kaufpreis von 135 Millionen Dollar; er machte dieses Werk von Klimt damit zum teuersten Bild der Welt. Das Gemälde befand sich im Besitz der Alleinerbin, einer Nichte des kinderlos verstorbenen Ehepaares Bloch-Bauer, der in Kalifornien lebenden neunzigjährigen Maria Altmann. Der Kauf war indes wohl nur der Beginn der vielleicht größten Akquirierungsphase im Leben des Kunstsammlers und Mäzens Ronald Lauder. Anfang August wurde bekannt, dass auch vier weitere Gemälde Klimts zum Verkauf anstehen, die zusammen mit Adele Bloch-Bauers Bildnis erst zu Jahresanfang einen Besitzerwechsel unter dem Schatten historischer Last durchgemacht hatten. Österreich hat die fünf Kunstwerke an Mrs. Altmann als Erbin der 1938 von den Nazis enteigneten Familie Bloch-Bauer (Adele Bloch-Bauer war 1925 bereits verstorben) zurückgeben müssen. Die in Los Angeles lebende Maria Altmann gedenkt offenbar, die Bilder schnellstmöglich zu viel Geld zu machen. Kunstliebhaber hoffen nun, dass auch Klimts „Birkenwald“, „Apfelbaum I“, „Häuser in Unterach am Attersee“ und „Adele Bloch-Bauer II“ nicht in privaten Sammlungen verschwinden, sondern ähnlich der von Lauder erworbenen Goldenen Adele einen würdigen Platz finden, an dem sie der Bewunderung durch die Allgemeinheit zugänglich sind. Denn das 135-Millionen-Objekt wird zum Herzstück der von Ronald Lauder in New York errichteten „Neuen Galerie“, einem Museum mit Schwerpunkt auf deutscher und österreichischer Kunst der Moderne. Die anderen Werke des Klimt-Konvoluts werden in summa auf gut 170 Millionen Dollar geschätzt. Hemmungen darf der 61-jährige Kunstmäzen Lauder jetzt also nicht haben.
Doch wenn es um Kunstwerke ging, dann war schon dem jungen Ronald kein Dollar ein Dollar zu viel: Als Zwölfjähriger hatte er bei seiner Bar-Mizwa von Verwandten und Freunden die mehr als stattliche Summe von 10000 Dollar geschenkt bekommen. Er kaufte sich von dem Geld ein Selbstporträt des Wiener Expressionisten Egon Schiele, der 1918 mit 30 Jahren der großen Influenza-Pandemie zum Opfer gefallen war. Er könne sich, so erzählte Lauder vor einiger Zeit der Gazette seiner Alma mater, der University of Pennsylvania, noch gut an die Erregung erinnern, die sich seiner bei diesem ersten Kunstkauf bemächtigte. All seine Freunde hätten ihn für verrückt erklärt, die pekuniären Bar-Mizwa-Geschenke in toto für ein recht kleines Bildnis eines Künstlers auszugeben, dessen Namen kaum ein New Yorker richtig aussprechen konnte. Doch er habe den Kauf niemals bereut. Zur Reue besteht auch aus Sicht des Investors kein Anlass: Vergleichbare Schiele-Bilder erzielen heute Auktionspreise um die zwei Millionen Dollar. Inzwischen nennt Ronald Lauder mehr als zwanzig Schieles sein Eigen.
Das Geld für den womöglich bevorstehenden Aufbau einer Klimt-Sammlung hat Lauder zwar nicht mit weitsichtigen Investitionen in Kunstwerke verdient, doch käufliche Schönheit – oder die Schimäre, Schönheit erwerben zu können – liegt seinem Vermögen zugrunde. Er trägt den Namen einer Dynastie, die durch the quest for beauty, dem Nachjagen menschlicher Eitelkeit nach Schönheit, reich geworden ist; sehr, sehr reich sogar. Seinen persönlichen Besitz schätzt das US-Magazin Forbes auf 2,7 Milliarden Dollar.
Vor sechzig Jahren gründeten seine Eltern die Estée Lauder Company, heute ein Kosmetikkonzern von Weltgeltung mit verschiedenen Subfirmen und einem breiten Angebot von Marken, die man nicht auf den ersten Blick mit dem Stammhaus assoziiert wie Tommy Hilfiger, Donna Karan und Bobbi Brown. Auf den wichtigsten Sesseln der Unternehmensgruppe sitzen wenige Jahre nach dem Börsengang nach wie vor Mitglieder der Lauder-Dynastie, die 82 Prozent der Stimmrechtsaktien besitzt. Diese amerikanische Erfolgsgeschichte geht auf Ronalds Mutter zurück, die möglicherweise 1906 – je berühmter und älter sie wurde, desto mehr verschwand die biografische Basisinformation ihres Alters hinter dem Schleier ihrer derartige Fragen als Sakrileg auffassenden Zelebrität – im New Yorker Stadtteil Queens als Tochter eines Eisenwarenhändlers geborene Josephine Esther Mentzer. Ihre Eltern waren jüdische Einwanderer aus der k.u.k. Monarchie, für deren Fin-de-siècle-Kunst Sohn Ronald eine so gewichtige Zuneigung entwickelte. Die Jagd nach Schönheit als Lebensinhalt, als Broterwerb – die heranwachsende Esther erlebte sie aus nächster Nähe. In unmittelbarer Nachbarschaft hatte ein aus Ungarn eingewanderter Onkel, der sich in der Neuen Welt John Schotz mit dem Präfix „Doctor“ nannte, sein „Labor“ eingerichtet. Beschrieben wird er in den Familienchroniken sowohl als Chemiker als auch als Hautarzt, doch er war wohl weder das eine noch das andere und schon gar kein Doktor gewesen. Der Oheim stellte allerlei Cremes her, gegen Pickel und Sommersprossen, gegen Läusebefall und für eine gesunde Haut.
Letztere Indikation faszinierte das junge Mädchen und sie begann, mit Cremes und Parfüms zu experimentieren. Esther, die aufgrund ihrer direkten und verbindlichen Art sowie einem völligen Mangel an Hemmungen, auf Menschen zuzugehen, ein großartiges Verkaufstalent war, verkaufte fortan eigene Kosmetika und scheute Reisen durch die gesamte USA zur Promotion ihrer Produkte nicht. Das Geräusch der Eisenbahn, so schrieb sie viele Jahre später in ihren Lebenserinnerungen „A Success Story“, wurde zu einer Art Herzschlag ihres geschäftlichen Aufstieges. Diesen vollzog sie nicht als Miss Mentzer. Zunächst hatte ihr Onkel ihr geraten, den erkennbar jüdischen Vornamen – Antisemitismus war in den zwanziger Jahren in Teilen der USA geradezu gesellschaftsfähig – in das elegantere, französische Lebensart implizierende Estée umzuwandeln. Nachdem sie einen Gentleman namens Joseph Lauter geehelicht hatte, der ebenfalls der österreichischen Vielvölkermonarchie entstammte, machte sie ihren neuen Nachnamen phonetisch etwas weicher und hieß von nun an für alle Zeiten Estée Lauder. Joseph war ein kongenialer Geschäftspartner und die große Liebe ihres Lebens – zwar ließ sich das Paar 1939 scheiden, heiratete aber drei Jahre später erneut. Der ersten Phase der Ehe entstammt Sohn Leonard, der zweiten, die bis zu Joes Tod 1983 gehalten hat, der 1944 geborene Ronald Lauder.
Estée Lauders Erfolg beruhte nicht nur auf ihrem unermüdlichen Einsatz für ihre Produkte und der Suche nach immer neuen, besseren Duftnoten, sondern auch einer Marketing-Innovation, dem Pröbchen. Estée Lauder verteilte kleine Proben ihrer Parfüms und Cremes, oft an arglose Passantinnen, solange die großen Warenhäuser ihr eigene Verkaufsstände verweigerten. Jede Frau könne schön sein, so lautete ihr Credo, denn es gebe keine hässlichen Frauen, nur ungepflegte. Ihre Botschaft verfing in der amerikanischen Gesellschaft nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als Hollywoods Schauspielerinnen den „Big Screen“ bestimmten, deren Schönheit wahrhaft göttlich war – Ava Gardner und Lana Turner, Marilyn Monroe und Jane Russell.
Der Aufstieg zum Weltkonzern begann mit dem 1953 eingeführten „Youth Dew“, einem als Badezusatz verabreichten Duftstoff, dessen Wirkung geradezu legendär lange anhielt. 1968 kreierte Leonard mit „Clinique“ eine weitere Erfolgsstory und eine Pflegeserie, die aus keiner Parfümerie zwischen Hongkong und Winsen an der Luhe wegzudenken ist. Mehr als ein Dutzend aufgekaufte Marken kamen nach und nach hinzu, mit der Aramis-Serie auch der Einstieg in den Markt „pour homme“. Estée wurde in den kommenden Jahren zur Grande Dame der New Yorker Gesellschaft, bei deren Soireen sich Leute wie Fürstin Gracia von Monaco und die Begum die Klinke in die Hand gaben, während ihre Söhne Leonard und Ronald sich um die geschäftlichen Interessen des weltweit agierenden Konzerns kümmerten. Die von Gründermutter Estée eroberte Bastion auf dem weltweiten Schönheitsmarkt, ausgebaut durch ihre Kinder, haben ihre Erben nie aus der Hand gegeben. Das weiterhin ungebrochene Gedeihen ihrer Schöpfung liegt heute weitgehend in den Händen ihrer Enkel wie CEO William Lauder (Leonards Sohn) und der für künstlerische Anstöße zuständigen -Aerin Lauder Zinterhofer, Ronalds Tochter. Die Unternehmen der Estée Lauder Company gedeihen und nehmen allein in den USA mit einem Umsatz von 33 Milliarden etwa ein Fünftel des Beauty-Marktes ein. Aerin verpflichtete Star-Designer Tom Ford, der einige der momentan 26 Lauder-Marken mit neuem Leben erfüllen soll. Das Unternehmen deckt ein breites Marktsegment ab, es gibt etwas für jeden Geldbeutel: Die teuerste Hautcreme kostet 1200 Dollar, der preiswerteste Lippenstift zwölf Dollar. Mit „BeautyBank“ hat man sich inzwischen auch im Markt der working class Americans positioniert – diese Serie wird von der bis dato parfümeriefreien Kaufhauskette Kohl’s vertrieben, deren Stammkundschaft mehrheitlich noch nie in ihrem Leben etwas von Gustav Klimt gehört hat.
Der von Großmutter Estée begründete Besitz ermöglichte Ronald Lauder neben dem Kunsterwerb auch ein politisches Engagement. Wie im politischen System der USA nicht ganz unüblich, öffnete der Erfolg im Geschäftsleben (und, so darf vermutet werden, die eine oder andere Spende in Zeiten des Wahlkampfes) die Türen zur Macht. Präsident Ronald Reagan ernannte Ronald Lauder 1984 zum stellvertretenden Verteidigungsminister für europäische und Nato-Angelegenheiten. 1986 schickte Reagan ihn als Botschafter nach Wien, eine mehr für Lauders neuerliche Entflammung für Klimts Kunstwerke schicksalhafte Entscheidung denn für die amerikanisch-österreichischen Beziehungen, die während der Amtszeit des neuen Botschafters einen Tiefstpunkt erreichten. Zu Lauders äußerstem Verdruss wählten die Österreicher den ehemaligen Uno-Generalsekretär Kurt Waldheim zu ihrem Bundespräsidenten. Der Amtseinführung des der Beteiligung an Kriegsverbrechen angeklagten Ex-Wehrmachtsoffiziers blieb Lauder demonstrativ fern. Seine Botschafterlaufbahn endete bereits im nächsten Jahr, die Wiener Kunst der Jahrhundertwende war ihm unzweifelhaft sympathischer als manche Facetten der Wiener Gegenwart.
Europa den Rücken gekehrt hat Lauder nach dem kurzen Intermezzo als Diplomat aber nicht, im Gegenteil: Schon während des Kalten Krieges war er wiederholt nach Osteuropa geflogen, um dort Geschäftsverbindungen zu knüpfen und auserwählten Frauen im real existierenden Sozialismus die Segnungen einer kapitalistischen Pflegeserie zukommen zu lassen. Seine Verbindungen gelangten zur Blüte, als nach dem Ende des kommunistischen Empires – Lauder erlebte den Berliner Mauerfall während einer Reise durch Ungarn – sich in Osteuropa nicht nur ein neuer Markt für Schönheitsprodukte, sondern auch ein Feld für philanthropisches Engagement eröffnete. Bereits 1987 hatte er die Ronald S. Lauder Foundation gegründet, die sich für den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Osteuropa und für den Schüler- und Studentenaustausch zwischen New York und verschiedenen Städten stark macht, die einst reiches jüdisches Leben beherbergten. Dass dazu auch der „World Jewish Congress“, der „Jewish National Fund“, die „Anti Defamation League“ und zahlreiche weitere jüdische Institutionen gehören, hat ihm von wenig wohlmeinenden Zeitgenossen den Ruf eines Zionisten eingetragen.
Von 1958 bis 1968 hatte Ronald Lauder sein Büro direkt gegenüber dem von ihm und seiner Familie massiv unterstützten MoMA, dem Museum of Modern Art. Manchmal, so erinnert er sich, sei er zwei- oder dreimal am Tag dort vorbeigegangen, um einzelne Kunstwerke zu bewundern und sich inspirieren zu lassen. In der von Lauder 1986 gegründeten Neuen Galerie an der Ecke Fifth Avenue und 86. Straße kommen vielleicht zu „Adele Bloch-Bauer I“ bald noch weitere Kostbarkeiten aus dem Oeuvre Gustav Klimts hinzu. Schönheit, die unvergänglich ist und vielleicht einer gelegentlichen Restauration, jedoch keiner Cremes und Duftnoten bedarf, wird in diesem Kunsttempel einer Allgemeinheit zugänglich sein, der sich bei der Bewunderung der Klimts und Schieles ein – oftmals – erster Blick auf eine Welt erschließt, die – obwohl längst vergangen und mehr als einen Ozean vom Hudson River entfernt – über die Epochen hinweg zu faszinieren vermag. Wie der melancholische Blick der Adele Bloch-Bauer.
Ronald D. Gerste lebt als Korrespondent und Autor bei Washington. Er schreibt für Die Zeit und die Neue Zürcher Zeitung. Zuletzt erschien „Amerikanische Dynastien“ (Pustet)
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