Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Glückliches Altern - auch eine Frage des Geldes

Altersarmut - „Die Riester-Reform war ein großer Fehler“

Das Ausmaß der Altersarmut wird höher ausfallen als von Ministerin von der Leyen prognostiziert und die vorgschlagenen Maßnahmen genügen noch lange nicht, meint Rudolf Zwiener, Rentenexperte der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung. Schuld sind niedrige Löhne und die Riester-Rente

Herr Zwiener, Frau von der Leyen warnt vor einer Welle der Altersarmut. Teilen Sie die Sorge der Ministerin?
Die Sorge ist sehr berechtigt. Die Zahl der Menschen, die mit dem Eintritt ins Rentenalter zum Sozialamt gehen müssen, wird nach unseren Schätzungen rapide steigen.

Von wie vielen Betroffenen reden wir?
Jeder zweite ostdeutsche Mann um die 50 läuft Gefahr,  in die Altersarmut abzurutschen. Das hängt vor allem mit der steigenden Zahl von gebrochenen Erwerbsbiografien und den niedrigen Löhnen zusammen. Frauen sind besonders betroffen – ihre Renten fallen niedriger aus als die der Männer, weil sie in der Regel weniger verdienen und Auszeiten zur Kindererziehung nehmen.

Dem Arbeitsministerium wird bei der Berechnung „Trickserei“ vorgeworfen.
Das Sozialministerium gibt eine recht hohe Schätzung ab, das stimmt. Die Prognose setzt konstante Reallöhne bis zum Jahr 2030 voraus – das ist unwahrscheinlich. Problematisch ist auch, dass eigentlich Riester-Renten mit eingerechnet werden müssten, weil nur Personen mit langjährigen Riester-Verträgen gefördert werden sollen. Trotzdem handelt es sich hier insgesamt keineswegs um Trickserei. Es gibt eindeutige Faktoren, die nicht erst seit gestern darauf hindeuten, dass wir in die Altersarmut steuern.

Welche?
Die Arbeitsmarktreformen haben dazu geführt, dass es zu einer starken Ausweitung von Zeitverträgen, Leiharbeit und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gekommen ist. Mit diesen Reformen einher geht, dass das Rentenniveau bis 2030 massiv sinkt – insgesamt auf 40 Prozent des Bruttoverdienstes. Außerdem wirkt sich aus, dass Deutschland im Gegensatz zu allen anderen OECD-Staaten über keine Aufstockung bei niedrigen Renten verfügt. Wer dort zu Erwerbszeiten ein niedriges Einkommen hat, wird später im Rentensystem unterstützt.

Deutschland hat die Grundsicherung, die hilft im Notfall.
Wir wollen doch gerade nicht, dass Rentner massenweise auf die soziale Grundsicherung angewiesen sind.

Um das absinkende Rentenniveau aufzufangen, wurde die Riester-Rente vor zehn Jahren eingeführt. In einer aktuellen Studie setzen Sie sich mit dem Erfolg der Reform auseinander. Wie lautet Ihre Bilanz?
Die Art und Weise, in der die Riester-Reform beschlossen wurde, war ein großer Fehler. Die private Altersvorsorge kompensiert nicht den Rentenrückgang. Die Renditen werden lange nicht so hoch wie versprochen ausfallen, und gerade im Fall von kürzlich abgeschlossenen Riester-Verträgen werden sie noch weiter sinken. Gleichzeitig setzen die Versicherungsunternehmen die Kosten sehr hoch an.

[gallery:20 Gründe für die Rente mit 75]

Wieso sind die Renditen so niedrig ausgefallen?
Es gibt eine Vielzahl von Gründen. Entscheidend ist sicherlich die Euro- und Finanzkrise. Den Versicherungen fällt es schwer, hohe Renditen am Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Grundsätzlich aber gilt: Die Politik hätte das Rentenniveau nicht absenken sollen. Untersuchungen der OECD in Bezug auf die Auswirkungen der Finanzkrise haben gezeigt, dass in Ländern mit stark kapitalgedeckter Altersversorgung die Renten während der Krise heftig schwankten..

Das erklärte Ziel war, die Kosten für die Arbeitgeber zu senken und Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen…
Es war aber überhaupt nicht notwendig, die Beitragssätze auf einem derart niedrigen Niveau zu fixieren. Die deutschen Unternehmen sind eher zu wettbewerbsfähig, wenn man auf die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands innerhalb des europäischen Währungsraums schaut. Viele sagen, die jüngere Generation wäre nicht bereit, rund 13 Prozent ihres Gehalts in die Rentenkasse einzuzahlen. Diese Annahme halte ich für falsch.

Seite 2: Steuerfinanzierte Aufstockung als Modell

Warum?
Die jüngere Generation zahlt doch lieber 13 Prozent in die Rentenversicherung und den gleichen Anteil übernimmt der Arbeitgeber, als die bisherigen 11 Prozent und weitere vier Prozent in die private Altersversorgung. Am Schluss haben sie beim jetzigen Modell inklusive Riester ein niedrigeres Rentenniveau. Es gibt außerdem keine vernünftige Absicherung gegen Erwerbsunfähigkeit.

Gleichzeitig steigt dabei natürlich auch der Arbeitgeberanteil, das wollte man vermeiden. Drehen wir uns nicht einfach im Kreis?
Stellen wir uns einfach vor, der Rentenbeitrag steigt um zwei Prozentpunkte in den kommenden 20 Jahren. Das Rentenniveau müsste dann nicht gesenkt werden und auch für die Arbeitgeber ist das durchaus verkraftbar, denn die Steigerung würde nur 0,1 Prozentpunkte pro Jahr betragen und wäre über einen langen Zeitraum verteilt. Das Sparen für die private Altersvorsorge bringt ja auch gesamtwirtschaftlich erhebliche Nachteile mit sich.

Welche denn?
In einem makroökonomischen Modell haben wir untersucht, was es eigentlich bedeutet, wenn die Leute zusätzlich fürs Alter sparen: Die Konsumnachfrage fehlt und das Wachstum wird eingeschränkt. Es ist immer noch so, dass in Bezug auf das Wachstum der private Verbrauch wichtiger ist als die Exporte. Wir haben im letzten Jahrzehnt sehr geringe Lohnsteigerungen gehabt – gleichzeitig sollte gespart werden. Das wirkt sich insgesamt negativ aus.

Was halten Sie von der steuerfinanzierten Grundrente, die es im europäischen Ausland gibt?
Im Zweifel würden die Rentner  nicht  viel mehr bekommen als die aktuelle Grundsicherung, vielleicht 50 Euro mehr. Für einen Sozialstaat brauchen wir ein relativ breites Aufkommen an Mitteln. Wenn man das jetzt nur noch mithilfe von Steuermitteln macht und die Rentenversicherung abschafft, führt das zu massiven Steuererhöhungen. Es entstünde ein größerer Anreiz Steuern zu hinterziehen. Für ein Sozialsystem wie unseres ist es vernünftiger, eine möglichst breite Grundlage von Steuern und Abgaben zu haben. Wenn die Menschen die Sicherheit haben, dass sie später etwas aus dem Rententopf bekommen, achten sie darauf, dass sie einzahlen.

Wie stehen Sie zum Modell der SPD, das zusätzlich zur steuerfinanzierten Solidar-Rente – ähnlich der Zuschussrente –  eine Betriebsrente vorsieht?
Ein Betriebsrentenmodell basiert wie die Riester-Rente auf einer Kapitaldeckung. Deshalb hat es die gleichen Probleme wie die private Vorsorge.  Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften die Höhe der Betriebsrente erst noch mit den Arbeitgebern verhandeln müssten. Das macht Tarifverhandlungen komplizierter und könnte zu niedrigeren Auszahlungen in den Lohnabschlüssen führen.  Die Arbeitgeber wollen sicherlich insgesamt nicht mehr zahlen als bei reinen Lohnrunden.

Welche Auswirkungen hat das Modell von Frau von der Leyen?
Es entlastet die Sozialkassen von Gemeinden und belastet die Beitragszahler zusätzlich. Wenn wir ein universelles Rentensystems hätten, in das auch Beamte und Selbstständige einzahlen, könnte man eine Zuschussrente ohne Probleme innerhalb des Systems machen. Das haben wir aber nicht. Wir brauchen eine Rentenanhebung für Geringverdiener, aber wir müssen sie steuerlich finanzieren – und genau das sieht das Modell von der Leyen bisher nicht vor.

Wie lautet Ihr Vorschlag?
Die Aufstockung muss an eine Mindeszahl von Arbeitsjahren und an die sogenannten Entgeltpunkte gekoppelt werden. Eine leistungsbezogene Aufstockung führt zu einem Anreiz für Arbeit.  Mit der Absenkung des Rentenniveaus geraten viele trotz vieler Arbeitsjahre in die Grundsicherung.

Woher soll das Geld kommen, mit dem man die Rente steuerfinanziert aufbessert?
Natürlich wird eine Zuschussrente Geld kosten. Die Frage ist, wie viel man wirklich dafür ausgeben muss. Einerseits hebt man das Rentenniveau an. Bisher liegt es 15 Prozentpunkte unter dem OECD-Schnitt.  Wenn es zusätzlich eine steuerbasierte Zuschussrente gibt, vermeidet der Staat Kosten, die ansonsten bei der Sozialhilfe anfallen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich das Einzahlen in die Rentenkasse lohnt. Im Saldo wird es für den Staat gar nicht so viel teurer.

Dr. Rudolf Zwiener ist Volkswirt. Er arbeitet am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Zuletzt evaluierte er den Erfolg der Riester-Reform.

Das Gespräch führte Timo Steppat.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.