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() Eine DNA-Doppelhelix
Die Gen -Googler
Hoffnung oder Horror: Für 1000 Dollar findet jeder Informationen zu seiner DNA im Internet, weltweit vernetzt. Der Blick auf das gesundheitliche Schicksal – 23andMe macht’s möglich: Ein Besuch bei den Gen-Google-Gründerinnen.
Katja Ridderbusch: Inside Google
Welcome to you. Als ich diese drei Wörter auf meinem Monitor lese, halte ich kurz inne. Irgendwie ein seltsamer Moment. Vor ein paar Wochen habe ich ein bisschen auf dem World Economic Forum in ein Reagenzglas gespuckt, und wenn ich jetzt weiterklicke, werde ich sehr persönliche Informationen finden – über mich. Wer bin ich? Wo genau liegen meine Wurzeln? Genetische Dispositionen, von denen ich noch nichts weiß?
Zwei junge Frauen aus Kalifornien wollen mir Antworten liefern. Linda Avey und Anne Wojcicki bieten ihren Kunden DNA-Analysen an. Erkenne dich selbst, ihr Unternehmen 23andMe macht es möglich. Seit Craig Venter 2001 das menschliche Genom entschlüsselt hat, sind Start-ups wie 23andMe denkbar und nun Realität: Für 1000 Dollar und zwei, drei Schnapsgläser voll Spucke erhält man von der kalifornischen Firma übers Internet eine Übersichtsanalyse seiner Gene, verschiedene Leistungen inklusive. So erhält der Kunde die neuesten Studien, die zu seinem individuellen Gen-Profil passen, kann an Forschungsprojekten zu genetisch bedingten Krankheiten teilnehmen. Der User kann testen, welche anderen Genom-Profile zu seinem passen und – ganz im Social-Community-Stil – sein Profil mit dem von Freunden vergleichen. Statt Facebook nun Gen-Book: Zeige mir deine Gene und ich zeige dir meine. Date your pattern!
Ich erfahre immerhin, dass in mir etwas Asiatisches steckt, und dass ich zu 80 Prozent bestimmte bittere Geschmäcker nicht erkennen kann. Je weiter ich klicke, desto mehr Auswertungen kann ich zu meiner entschlüsselten DNA finden – wenn ich nur will. Ja, ich will wissen, ob in meiner Familie die Disposition zu Darmkrebs liegt, ob ich diabetesgefährdet bin, ob Depressionen oder Alzheimer möglich sein können. "Erkenne dich selbst, bekämpfe deine Unwissenheit, lerne dich und deine 23 Genpaare kennen, spucke!" lautet das Credo. Selbsterfahrung für das 21.Jahrhundert – ein völlig neuer Weg in meiner Realitätsbewältigung tut sich mir auf.
Aber wer steckt dahinter? Jedes Start-up hat eine Legende: Google-Gründer Sergey Brin war auf der Suche nach Informationen zum Thema Parkinson, das in seiner Familie vorkommt. Dabei lernt er Biotech-Expertin Linda Avey kennen und stellt sie seiner Freundin Anne Wojcicki, die sich mit Gesundheitspolitik beschäftigt, vor. Die beiden mögen sich, sehen ihre Chance und gründen mithilfe von Google und der Inspiration von Gen-Pionier Craig Venter 23andMe.
"Wir sind sozusagen ein innovatives Medien- und Service-Unternehmen zur Publizierung individueller genetischer Information im Web", sagt Anne Wojcicki, inzwischen Ehefrau von Sergey Brin. Höchste Aufmerksamkeit ist ihr allein dadurch gewiss.
Der Ehefrauen-Bonus ist ihr allerdings eher lästig. Sie ist keine schicke Valley Princess, kein Trophy Girl, eher bescheiden, souverän, witzig und neugierig – stylish by brain. Anne kennt Sergey Brin seit 1998: Ihre Mutter hatte damals ihm und seinem Google-Mitgründer Larry Page jene Garage vermietet, in der sie dann den ersten Such-Algorithmus programmierten.
Das unspektakuläre Büro von Anne Wojcicki und Linda Avey liegt am Highway 101 im Silicon Valley. Mountainbikes und Hybrid-Toyotas stehen im Hof. Als vielleicht einziges, valleytypisches Statussymbol stehen im Eingang Fotos von dem gemeinsamen G3-Parabel-Flug. Ein Büro für die beiden Gründerinnen, großes White Board, wackeliger Tisch. "Genetics get personal" steht groß im Eingang. 50 Mitarbeiter in kleinen Cubicles.
23andMe braucht längst kein Venture Capital, Google hat über 3,9 Millionen US-Dollar investiert, und ein paar Freunde wie der spanische Fon-Gründer Martin Varsavsky sind auch dabei. 23andMe braucht lediglich viele Nutzer, um die Geschwindigkeit der Erforschung von Erbkrankheiten voranzutreiben. 23andWe heißt das neueste Web-Projekt, das die User animiert, via Fragebögen an Studien teilzunehmen.
Alternative Energien, Astronomie und Genetik zählen zu den hippen Konversationsthemen der kalifornischen Internet Society. Statt Familienporträts hat sich Marissa Mayer, die wichtigste Frau in der Google-Hierarchie, DNA-Prints ihrer Eltern an die Wände ihres Wohnzimmers gehängt – bestellbar übrigens im MoMA für 550 US-Dollar. Rupert Murdoch hat gerade öffentlich sein 23andMe-Profil mit dem von Googles Eric Schmidt und Larry Page vergleichen lassen.
Die Internet-Pionierin Esther Dyson hat 33 ihrer Familienmitglieder spucken lassen. Sie war auch eine der ersten User, die ihre Daten auf der Website von 23andMe öffentlich einsehbar machte. Als sie vor mehr als 13 Jahren einen Boom im E-Commerce vorhersagte, wurde sie kritisiert. Wer sei so dumm und würde die Daten seiner Kreditkarte in einem so unsicheren Medium wie dem Internet veröffentlichen? Nun habe sie so etwas wie ein Déjà-vu, meint die Grande Dame des Internets und große Protagonistin von Anne und Linda zum Thema Datensicherheit und genetisches Profil.
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