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() Lars Hinrichs

Gesellschaft im Netz - Die digitale Elite

Im August 2008 wurde er von der Netz-Initiative startups.de zum bedeutendsten Webgründer Deutschlands gewählt: Lars Hinrichs. Seinen unternehmerischen Erfolg begündete er mit dem Kontaktnetzwerk open bc, das mittlerweile XING heißt. Auch Gründungen wie politik-digital gehen auf ihn zurück. Alexander Görlach hat mit Lars Hinrichs über sein Leben im Netz gesprochen.

Ist es leicht in Deutschland Unternehmer zu sein?
Das Problem in Deutschland ist, das Unternehmertum noch nicht cool ist. Es hat nicht diesen Status wie in England, Amerika, Indien oder China. Dort oder in anderen Ländern ist das Bedürfnis nach persönlichem Erfolg stärker ausgeprägt.

Warum haben Sie vor 10 Jahren zum ersten Mal ein Unternehmen gegründet?
Ich komme aus einer Unternehmerfamilie und da ist es natürlich leichter die Möglichkeiten zu sehen, was man eigentlich hat, wenn man diesen Weg geht. In Deutschland wird leider zu viel abgewogen zwischen Chancen und Risiken. Je mehr man über eine Gründung spricht, desto mehr schlägt das Pendel in Richtung Risiko aus. Ich bin jemand, der einfach per se Chancen sieht und sagt: Ok, Risiken können vielleicht vorkommen, aber wenn ich mich mehr und mehr auf die Chancen konzentriere, sehe ich mehr und mehr Möglichkeiten die ich eigentlich habe.

Ist es durch das Internet einfacher geworden, Unternehmsgründer zu werden?
Das Internet verändert alles. Mittlerweile haben auch die Letzten begriffen, dass ihr klassisches Geschäft in spätestens zehn Jahren nicht mehr da sein wird. Bei Verlagshäusern beispielsweise heißt in online investieren deshalb ins Überleben investieren. Wenn ich lese, dass große Verlage heute noch hunderte von Millionen Euro in die Übernahme von Print-Magazinen investieren wollen, dann frage ich mich schon, ob das sinnvoll ist. Viele niederschmetternde Analysen belegen, das der klassische Medienkonsum in den einzelnen Altersgruppen deutlich rückläufig ist. Insofern hat sich die Nettoreichweite dramatisch verringert. Die jüngere Generationen nutzen die konventionellen Medien einfach nicht mehr. Dass heißt die Verluste in den nächsten Jahren werden drastisch werden.

Sind Social- und Businessnetzwerke Erscheinungen des Moments oder werden sie dauerhaft Bestandteil unseres Lebens?
Vor 50 Jahren hat jeder sein Leben lang in einem Unternehmen gearbeitet. In den letzten Jahrzehnten ist die Verweildauer, die sie in einem Unternehmen verbringen, immer kürzer geworden. Das heißt, dass die Bedeutung meines Netzwerks und wie ich das Netzwerk manage, wächst. Die Globalisierung findet nicht nur auf Firmenebene statt, sondern auch auf individueller Ebene. Für XING als Unternehmen bedeuten diese Veränderungen, dass wir die notwendige Infrastruktur für Kontaktmanagement, Karriereplanung und neue Vertriebsmöglichkeiten entwickeln und bereitstellen.

Müssten Sie dann nicht viel detailliertere Suchkriterien entwickeln, damit das Kontaktmanagement effizienter gestaltet wird?
Ich glaube, dass das Management von Kontakten noch extrem rudimentär ist. Wir haben ja derzeit nur die Abstufung zwischen: Du bist mein Kontakt oder nicht. Ich glaube, dass es da sehr viele Nuancen gibt, zum Beispiel: Wie gut kenne ich jemanden oder wie wichtig ist diese Person für mich. Oder die Unterscheidung, ob der Kontakt eher privat oder eher geschäftlich ist oder beides. Ein Kontaktmanagementsystem muss ihnen sagen: Sie sind heute in Hamburg. Dieser und jener Freund von Ihnen auch. So ergeben sich Möglichkeiten, einander spontan zu treffen.

Muss jeder einzelne sich in den Netzwerken, in denen er ist, selbst vermarkten?
Das ist ein wichtiges Element. Früher haftete Vitamin B etwas Negatives an. "Der hat das ja nur mit Vitamin B geschafft", also etwas nicht durch ehrliche Arbeit erreicht. Aber heutzutage hat, glaube ich, jeder verstanden, dass Kontakte nichts Schlechtes sind, sondern mich de facto weiterbringen.

So nach dem Motto: Beziehungen schaden dem, der keine hat.
Man wird künftig zwei Identitäten haben. Es gibt die private, die ich dann auf Plattformen wie facebook oder anderen auslebe. Und es gibt die geschäftliche. Das sind zwei Welten, die ich als User nicht miteinander mischen möchte,

Das klingt nach einem Burgfrieden, den Sie mit Ihrer Konkurrenz von facebook geschlossen haben: Facebook zeigt das Private, XING managt das Geschäftliche.
Das hat mit uns als Firma extrem wenig zu tun. Das hat mit dem Verständnis der Nutzer etwas zu tun, die entscheiden, wenn sie von ihrem Leben was, wem und wie viel davon mitteilen wollen.

Können Sie abbilden, wie viel Businesses oder Neueinstellungen über die Plattform generiert werden.
Wenn ich mit den Leuten spreche, geben sie die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei XING neue Leute kennenlernen, die ihnen weiterhelfen, bei nahezu 100 Prozent an.

Sagen Sie das gefühlt oder erheben Sie auch Zahlen, mit denen Sie das belegen können?
Wir bekommen täglich Nachrichten, in denen uns Mitglieder von einem neuen Job, einem Geschäftsabschluss oder einem interessanten Projekt dank XING berichten. Dass Networking auf XING sich für unsere Mitglieder wirklich lohnt, zeigt unsere letzte Studie. Dabei gab jeder fünfte Befragte an, durch XING bereits ein- oder mehrmals Neugeschäft mit Umsätzen generiert zu haben. Darüberhinaus haben wir noch so viele Ideen, wie wir den Nutzen für jeden Einzelnen deutlich steigern können. Und an der Umsetzung arbeiten wir gerade.

Würden Sie uns eins Ihrer Geheimnisse verraten, die gerade in Entwicklung sind?
Wir haben auf einem Server angefangen XING zu entwickeln. Mittlerweile sind wir bei knapp 200 in zwei unterschiedlichen Rechenzentren. Ich hätte nie gedacht, das der backend-Aufwand letztendlich so hoch ist und das bei gleichbleibenden Qualitätsumfang. Ich glaube, dass wir zu wenig zeigen, woran wir arbeiten. Derzeit beschäftigen wir uns mit einem Payment System, mit dem wir eine Infrastruktur schaffen, mit der Nutzer A und Nutzer B Geschäfte machen kann. Diese Geschäfte können dann sofort über unser neues System abgerechnet werden.

Gibt es auch Momente – außer wenn Sie schlafen – in dem sie nicht online sind?
Ich glaube, nicht online zu sein, wird ein Luxus. Wir leben mehr und mehr in dieser "always on" Gesellschaft. Wir werden mehr und mehr vernetzt. Und ich denke eigentlich permanent darüber nach, was man dabei verbessern kann. Das ist schon so ein innerer Antriebsmotor von mir. Dennoch: Abends vor dem Schlafengehen lese ich lieber ein Buch.

Verändert sich der Mensch nicht durch diese Entwicklung? Wer wird der homo sapiens digitalis sein?
Mehr als 60 Prozent meines Lebens sind digital. Man kann es ja andersrum drehen und fragen, wie das Leben heute aussehen würde, wenn wir kein Internet hätten. Ich kann mir das nicht mehr vorstellen. Höchstwahrscheinlich wären dann Briefträger so richtig gut versorgt.

Wir bekommen viel zu viele Emails!
Deshalb müssen wir aufpassen, dass die Inbox unseres Emailpostfachs nicht die to-do-Liste wird. Wir müssen in der Lage bleiben, eine Aufgabe durchzuziehen und erst danach Emails checken.

Haben sie ihr pop-up Fenster, das den Eingang neuer Mails anzeigt, auf, während Sie arbeiten?
Nein. Pop-ups sind nicht gerade Produktiv-Erlebnisse.

Sie kriegen bestimmt doch noch nach Feierabend oder an Heilig Abend Emails?
Die Grenzen verwischen zwischen dem, was Privatleben, Freizeit und Berufsleben ist. Wenn ich abends noch Mails lese oder mit dem Blackberry beantworte, ist das dann Freizeit oder Beruf? Die Grenzen sind für mich schwimmend, weil ich vieles von dem, was ich tue, nicht als Arbeit definiere, weil ich es mit Leidenschaft mache. Die Definition von Arbeit hat sich sicher durch das Internet geändert.

Wann schaffen Sie es zeitlich, ein Buch zu lesen?
Es gibt immer wieder Gelegenheiten, ein Buch zu lesen. Oftmals wird der Fernseher einfach nicht eingeschaltet und dafür ein Buch gelesen. Aber häufiger lese ich natürlich im Netz.

Bücher kosten Geld, Magazine kosten Geld. Wird bedrucktes Papier ein Luxusgut?
Das ist ja indirekt die Frage nach dem Journalismus der Zukunft. Und danach, ob man sich Journalisten noch leisten kann. Ich kann mich nicht daran erinnern, in den letzten vier Wochen eine Zeitung gekauft zu haben. Ich lese Zeitungen, weil sie im Flieger umsonst sind. Mein Medienverhalten richtet sich danach, wo ich gerade bin. Wenn ein Verleger all seine Inhalte kostenlos zur Verfügung stellt, im Gegenzug aber dadurch Werbeeinnahmen über seine Webseite generiert, muss das ja keine Verschlechterung der Qualität von Journalismus zur Folge haben. Insofern wird es auch in zehn Jahren noch bezahlte Journalisten geben.

Wie werden Verlage künftig mit dem Internet Geld verdienen?
Jeden Tag entstehen neue Advertisement Modelle, die noch zielgenauer sind und noch schneller und punktgenauer die Menschen erreichen, für die sie gemacht wurden. Wenn man sich die Börsenpläne von Amazon, eBay oder Google anschaut, haben wir mit dem Internet alles potenziert übererfüllt von dem, was wir mal erreichen wollten.

Setzen Sie auf die Individualisierung in der Werbung?
Es geht ja sichtlich schon in diese Richtung. Werbung wird in Zukunft zu 100 Prozent an ihrer Performance gemessen und daran, wie relevant sie ist. Wenn ich bei Google den Begriff London eingebe, dann ist das, was ich rechts, in der so genannten Werbespalte bekomme, für mich keine Werbung, sondern relevanter Content. Das wird die Bedeutung dessen revolutionieren, was wir mal als Werbung gekannt haben.

Sie haben bei XING ja erlebt, dass die User sich nicht mit Werbung oder mit relevantem Content, wie Sie es nennen, zuballern lassen möchten.
Aber wenn Werbung relevant ist, dann ist sie Content und keine Werbung mehr. Werbung nehmen wir ja alle wahr als etwas - da ist das Fernsehen ja das beste Beispiel - was irgendwie stört. Es unterbricht mich beim meinem Fernsehfluss. Und da wird es zig neue Möglichkeiten geben in der Zukunft, in der die Leute viel weniger von Werbung sprechen werden, sondern von intelligenten Dienstleistungen.

Gibt es eine digitale Elite?
Sagen wir es so: Derjenige, der nicht online ist, hat verloren und zwar für den Rest seines Lebens. Wir haben 1,4 Milliarden Menschen, die im Internet sind, und wir haben dementsprechend 4,3 Milliarden die offline sind. Die digitale Elite, das sind die Leute, die nicht nur online sind, sondern mit dem, was das Internet bietet, auch richtig gut umgehen können. Dass in allen Schultypen nun Computer mit Internetzugang sind und der Gebrauch eingeübt wird, ist unerlässlich, um möglichst viele Menschen an der digitalen Revolution teilhaben zu lassen.

In Suchmaschinen werden Ergebnisse nicht nach Relevanz angezeigt, sondern nach Häufigkeit von Klicks. Ist das ein Manko?
Nein. Die wichtigen, für den Nutzer relevanten Nachrichten kommen auf diese Weise immer nach oben. Dadurch verschaffen sich auch Meldungen Aufmerksamkeit, die es in eine Print-Zeitung niemals schaffen würden.

Ich nehme mal an, dass Meldungen zu schnellen Autos und großen Brüsten dann höher in der Gunst großer Usergruppen stehen als der Beginn des Georgienkriegs.
Was Nachrichten betrifft haben wir in Deutschland eine Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Sender, die auch gar nicht schlecht ist. Was das Internet betrifft müssen wir lernen, wie wir uns dort gute und damit auch weltpolitische Informationen besorgen. Hier müssen neue Konzepte entwickelt werden, um die Neugier der jungen Generation zu wecken.

Sie waren 1998 erstmal aktiv im Bereich Online und Politik und haben die Plattform politik-digital mitbegründet, in deren Board Sie auch heute noch sind. Hat sich die Performance der Politik im Internet in den letzten zehn Jahren verändert?
Dramatisch würde ich sagen. Nicht nur, weil jetzt jeder Politiker eine eigene Webseite hat, sondern weil mehr Informationen verfügbar sind über das, was eigentlich im Bereich Politik passiert. Insoweit ist Politik erlebbarer geworden und kann mehr Leute begeistern – aber nur die wenigsten Menschen interessiert es.

In Amerika läuft die politische Mobilisierung durch das Internet anders als bei uns. Warum?
Politik ist in Deutschland genauso wie das Unternehmertum nicht attraktiv genug. Das ist der Hauptgrund.

Wie finden sie eigentlich die Kanzlerin, wenn man fragen darf?
Sie ist das Beste, was Deutschland in den letzten Jahren politisch passiert ist.

Warum?
Weil sie keine Medienkanzlerin ist und einfach die Plattitüden runtersabbelt, sondern man bei ihr den Eindruck gewinnt, dass sie tatsächlich etwas bewegt und dabei völlig uneigennützig handelt.

Was schätzen Sie an ihr?
Ich muss sagen, dass ich es sehr beeindruckend fand, als sie, die Physikerin, sich während der Fußball EM für fünf Stunden Auszeit genommen hat - was sicherlich der längste Termin war, den Sie im Laufe ihrer Kanzlerschaft gemacht hat - und die Forschungseinrichtung Cern besucht hat und sich mit den Physikern dort ausgetauscht hat.

Was machen Sie, um sich zu erholen? Sport, Theater, Kino? Oder haben Sie gar keine Zeit für Erholung?
Das würde ja bedeuten, dass ich mich bei der Arbeit nicht erhole.

Sie erholen sich bei der Arbeit?
Wenn man Dinge mit Leidenschaft macht, erholt man sich permanent.

Und sonst so?
Erholung sind für mich schöne Momente. Ein schöner Moment kann beruflich sein, kann privat sein, zum Beispiel, wenn mich meine Tochter anlächelt. Zeit für solche schönen Momente richte ich mir gerne ein.

Herr Hinrichs, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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