- Bedroht Software die Jobs unserer Azubis?
Onlineplattformen ersetzen die Einzelhandelsfachkraft, Finanzsoftware macht Bankangestellte überflüssig: Die Digitalisierung dringt immer weiter in die Arbeitswelt vor. Stirbt dadurch der mittlere Ausbildungsberuf?
Die Veröffentlichung des aktuellen Berufsbildungsberichts hatte in den vergangenen Monaten zu einem überwiegend positiven Echo unter Bildungs- und Arbeitsmarktpolitikern geführt. Der Ausbildungsmarkt biete Jugendlichen „so viele Chancen wie selten zuvor”, schwärmte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka.
Dabei geben die Zahlen Anlass zur Sorge. Kaufleute für Büromanagement, Kaufleute im Einzelhandel, Verkäufer und Verkäuferinnen: Das sind die beliebtesten Ausbildungsberufe der mehr als 500.000 jungen deutschen Berufsanfänger. Allerdings haben diese Berufsgruppen eine traurige Gemeinsamkeit: Sie sind – wie viele Berufe mittlerer Ausbildungs- und Einkommensstufen – besonders durch den technologischen Wandel gefährdet.
Die ersten Veränderungen brachten die großen Internet-Marktplätze und Plattformbetreiber, die insbesondere den Einzelhandel sowie Reiseanbieter unter Druck setzten. Amazon ist nur der größte von vielen erfolgreichen Anbietern, die ohne Verkaufsräume und dazugehörige Verkäufer auskommen. Wer glaubt, dass Ausbildungsberufe immer noch lebenslange Karrierewege prägen können, dem sollten die Erfahrungen aus der Reisebranche ein warnendes Zeichen sein. Online-Plattformen machten den Gang zum Reisebüro innerhalb weniger Jahre überflüssig. Auch der Einzelhandel wird zukünftig mit viel weniger Personal auskommen – selbst wenn sich der Supermarkt nicht ins Internet verlegen lässt. Es ist bereits heute möglich, alle Produkte mit RFID-Funketiketten auszustatten, die beim Verlassen des Geschäfts automatisch erfasst werden. Die Bezahlung organisiert eine im Smartphone integrierte Funktechnologie.
Automatisierung und Computerisierung
Wer jetzt denkt, das sei doch nichts Neues, der irrt. Es geht mittlerweile auch um Jobs, die bisher als unersetzbar galten. Ein Beispiel sind Buchhalter und Bürokaufleute. Die Erklärung liegt in ihrem Tätigkeitsprofil. Ihnen allen gleich ist das hohe Maß an Wiederholbarkeit der Arbeitsschritte, obwohl es sich keineswegs um triviale Tätigkeiten handelt. Routinen lassen sich ausdrücken in Befehle für Maschinen, in Software. Sie sind programmierbar. Es ist zu erwarten, dass von Routinetätigkeiten geprägte Jobs in Zukunft durch Maschinen erledigt werden.
Die Automatisierung von Arbeit hat nichts mit Zukunftsangst zu tun, sondern sie ist bereits heute greifbar. Das amerikanische Telekommunikationsunternehmen Verizon hat durch den Einsatz von Software stetig seine Mitarbeiterzahl in den Bereichen des Rechnungswesens und in der Finanzbuchhaltung reduziert. Durch den Stellenabbau sanken die Kosten der Finanzabteilung des Unternehmens in den vergangenen drei Jahren um insgesamt 21 Prozent. Viele Angestellte in der Kreditoren- und Debitorenbuchhaltung und Sachbearbeiter im Rechnungswesen wurden nicht mehr gebraucht.
Sogar für IT-Angestellte sieht es nicht besser aus. Große amerikanische Unternehmen beschäftigen insgesamt 44 Prozent weniger Vollzeit-IT-Kräfte als vor zehn Jahren. Der Arbeitsaufwand ist allerdings nicht gesunken. Automatisierung macht es möglich.
Selbst die Jobs, von denen wir annahmen, sie seien zu komplex, um sie in unmissverständlichen Befehlen für Maschinen auszudrücken, scheinen nicht mehr sicher. Grund dafür ist der technische Fortschritt im Bereich des sogenannten „Machine Learnings“ und der „Cloud Robotics“. Machine Learning basiert auf der autonomen Auswertung großer Datensätze durch den Computer, der nach statistischen Modellen eigene Fähigkeiten zur Problemlösung entwickelt und anwendet. Der Computer lernt und löst Aufgaben eigenständig. Bei Cloud Robotics werden die Daten und das darauf basierende Wissen vieler Roboter zusammengebracht. Steigt die Anzahl der über die Cloud verbundenen Roboter, so wächst auch ihr geteilter Erfahrungsschatz und damit ihre Kompetenz. Für die Zukunft der Arbeitswelt bedeutet es: Maschinen beginnen, die nächste Stufe menschlicher Fähigkeiten und Arbeitskraft zu erreichen. Sie lernen und nutzen ihre Erfahrung.
Alles nur Panikmache?
Als in den 1970er Jahren Banken in den USA den Geldautomaten einführten, sank die Anzahl der Bankangestellten nicht. Die IT-Revolution und die Deregulierung des Sektors verursachten ein Wachstum der gesamten Branche. Die routinierte Tätigkeit des Geldwechselns übernahm zwar ab sofort der Geldautomat. Aber der Schalterangestellte verlor keineswegs seinen Job, sondern stieg zum Kundenberater auf. Heute ist die Situation jedoch eine andere. Algorithmen werden künftig auch in die Domäne des Anlageberaters vordringen.
Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat im Juni zehn sogenannte Robo-Advisers unter die Lupe genommen. Dabei bestimmt eine Software die Anlagestrategie eines Kunden und berücksichtigt dafür dessen steuerliche Situation und Risikotoleranz. Den Anbietern geht es vor allem um die Erschließung neuer Kundengruppen, denen es vorher schlicht nicht möglich war, hoch spezialisierte Asset Manager zu bezahlen. Die Softwarelösungen werden immer ausgefeilter. Sie entwickeln bereits heute eigenständig unterschiedliche Anlagestrategien – von der Nachbildung eines Vergleichsindizes, über die private Altersvorsorge, bis zum Investment in Hochzinsanleihen.
Ein historischer Vergleich zur Einführung der Geldautomaten taugt daher nicht mehr. Waren es damals Bankangestellte, die neu entstehende Berufe innerhalb der Bank übernahmen, so werden es zukünftig vermehrt hochausgebildete Spezialisten anderer Berufsgruppen sein: ohne Banklehre oder BWL-Studium, dafür aber mit hohen IT-Kompetenzen. Der Vorteil für den Kunden: günstige, auf individuelle Interessen abgestimmte Anlageberatung. Der Nachteil für die Anlageberater: Von ihnen werden nur noch sehr wenige Experten gebraucht, um bei der Entwicklung und Steuerung der Anlagesoftware mitzuhelfen.
Neue Arbeitsfelder als Hoffnungsschimmer
Der Ökonom David Ricardo hatte seinerzeit prognostiziert, dass Maschinen bald vollends menschliche Arbeit ersetzen würden. Massiv unterschätzt hatte er jedoch den Produktivitätsgewinn, der durch die Erfindung und Anwendung neuer Produkte entstand und letztlich viele neue Arbeitsstellen schuf. Gleiches gilt möglicherweise auch für die heutige Diskussion. Denn nur zu leicht ist es, über Jobs zu sprechen, die es bald nicht mehr geben könnte.
Ungleich schwerer ist es sich vorzustellen, wo neue Jobs entstehen könnten. Die zentrale Herausforderung ist daher zu erkennen, in wie vielen Bereichen es zu einer Mensch-Maschine Kooperation kommen wird. Hier muss die Ausbildung unserer jungen Menschen ansetzen. Repetitive Tätigkeiten eines größeren Arbeitspaketes werden in Zukunft automatisiert werden. Die Bestandteile des Tätigkeitsfeldes, die jedoch auf persönlicher Interaktion, Kreativität, Problemlösung und Flexibilität basieren, werden auch in Zukunft durch den Menschen geleistet werden.
Für die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine und für die sich aufgrund der Digitalisierung verändernden Arbeitsumfelder und Tätigkeitsschwerpunkte sind unsere jungen Azubis in besonderem Maße zu sensibilisieren. Daher müssen wir dringend über ein flexibleres Ausbildungssystem nachdenken. Sowohl Ausbildungsinhalte wie auch die Chancen und Risiken ganzer Ausbildungsgänge müssen kritisch hinterfragt werden.
Letztendlich brauchen wir ein Ausbildungssystem, das den technologiegetriebenen Wandel in der Arbeitswelt viel stärker berücksichtigt. Nur so können Auszubildende eine Entscheidung für einen Beruf treffen, für den es sich auch lohnt, in die Ausbildung zu gehen.
Die Autoren beschäftigen sich bei der Berliner Denkfabrik stiftung neue verantwortung mit Zukunftsszenarien für den deutschen Arbeitsmarkt im Jahr 2030.
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