- Alles kann schiefgehen
Mit der Forderung nach einem Euroaustritt sind Politiker und Experten schnell bei der Hand. Doch der müsste geheim vorbereitet werden
Wenn er startet, dann möglichst lautlos: Der Austritt eines Landes aus der Währungsgemeinschaft. Sonst setzen sich Kapitalströme in Gang, die nicht beherrschbar sind. Sobald sich etwa in Griechenland das Gerücht des bevorstehenden Austritts verbreitet, würden die Menschen ihre Konten leerräumen. Die Erwartung ist klar: Das neue Geld, vielleicht heißt es „Neä Drachmäe“, wäre eine Weichwährung, die bald bis zu 50 Prozent an Wert einbüßt. Macht dagegen Deutschlands bevorstehender Austritt die Runde, kommt es zum umgekehrten Effekt. Deutschland würde mit Euros aus dem Ausland überschwemmt. Es winkt der lukrative Umtausch in eine „Hartwährung“.
Unbeherrschbare Kapitalströme sind das größte Problem einer „Währungsdesintegration“, wie der Hamburger Ökonom Dirk Meyer (Helmut-Schmidt-Universität) in seinem „Fahrplan eines Euroaustritts“ zeigt. Hilfreiche Erfahrungswerte gibt es kaum. Ein so komplexes Währungssystem wie der Euro wurde noch nie auseinanderdividiert. Mit der Euro-Einführung lassen sich in der Bibliothek Regale füllen. Mit dem Euro-Exit noch nicht.
Meyers sechsseitiges Papier ist auch ein Kommentar zur derzeitigen Eurorettungspolitik. Es hinterfragt ihre behauptete „Alternativlosigkeit“, indem es die Option eines Rück- und Neubaus der Eurozone durchspielt. Allerdings ist anzunehmen, dass Meyers Gedanken den Beamten in der Europäischen Zentralbank oder dem Bundesfinanzministerium nicht ganz fremd sind. Das Eurodilemma ist zu grundsätzlich, um nicht auch dort alle Szenarien durchzugehen.
Meyers Fahrplan skizziert ein gut und streng geheim vorbereitetes Manöver. Gegen Ende der Woche wird ein Montag zum Bankfeiertag erklärt, an dem die Geldinstitute geschlossen bleiben. Inklusive dem Wochenende bleiben den Behörden und Banken des Austrittslandes nun drei Tage Zeit für den entscheidenden Schritt: Die Erfassung aller Kontostände und Bilanzen. Je nach Szenario müssen „deutsche“ oder „griechische“ Euros identifiziert werden.
Am folgenden Dienstag sind die Bürger des Austrittslandes aufgerufen, ihre Eurobargeldbestände vorzulegen und stempeln zu lassen. Auch aus den Automaten kommen jetzt national markierte Euroscheine. Es wird Magnettinte verwendet, die später elektronisch lesbar ist.
Begleitet wird der Prozess von Kapitalverkehrskontrollen. Bei „ernsten Schwierigkeiten in der Wirtschafts- und Geldpolitik“ ist es EU-Staaten für 6 Monate erlaubt, Geldströme zu bremsen oder ganz zu stoppen. Berlin müsste verhindern, dass „gebietsfremdes“ Eurobargeld importiert wird. Athen müsste den Euroexport stoppen.
Erst wenn die Erfassung und Kennzeichnung im Großen und Ganzen durch ist, kündigt die Regierung den Euroaustritt an. Sie muss sich einer breiten Unterstützung im nationalen Parlament und im Europäischen Rat sicher sein. Nur so lässt sich der juristisch schwierige Prozess friedlich, zügig und rechtssicher über die Bühne bringen. Sich hinter den Kulissen mit den politischen Akteuren entsprechend abzustimmen, ohne dass es publik wird, mag schwerer sein, als unbemerkt Magnettinte zu ordern.
„Aber das Wichtigste ist, wie sich die Bürger des Landes dazu stellen“, sagt der Bonner Ökonomieprofessor Manfred Neumann, der ebenfalls über die Währungsdesintegration nachdenkt. „Eine sehr große Mehrheit muss den Austritt wollen.“
Speziell in Ländern mit Aussicht auf eine „Weichwährung“ ist das der kritische Punkt. In Griechenland käme der Euroaustritt schon jetzt einer großen Umverteilung gleich, denn dort ist „der Großteil der Kapitalflucht schon gelaufen“, wie Meyer feststellt. Griechen, die ihr Geld in den vergangenen Jahren ins Ausland brachten – und damit beispielsweise Immobilien in Hamburg und London Immobilien kauften – wären nach dem Euroaustritt in ihrer Heimat noch reicher. Bürger dagegen, die keine Möglichkeiten zur Kapitalflucht hatten oder sie einfach nicht nutzten wären de facto ärmer. Der Volkszorn ließe sich vielleicht mit einer Sondersteuer auf Auslandsvermögen eindämmen, meint Meyer. Es wäre ein neues Großprojekt für die griechische Verwaltung.
Meyer hält einen Euroaustritt für technisch und juristisch machbar. In seinem Szenario vergehen elf Wochen, bis die Konten und Bankbilanzen schließlich zu einem gesetzlichen Umrechnungsfaktor in die neue Währung umgestellt werden. Die neuen Scheine können immer noch auf sich warten lassen. Wegen der Stempel-Aktion sind sie nicht entscheidend. Viel Verantwortung tragen allerdings die Banken und die Verwaltung. „Alles kann schiefgehen, wenn nicht sauber geplant und präzis ausgeführt wird“, sagt Neumann.
Befasst man sich mit den technischen Details tauchen immer neue Fragen auf. Was machen beispielsweise Deutsche mit ihren Bargeldbeständen, die am Bankfeiertag im Urlaub oder im Krankenhaus sind? Sie müssten wohl Wertverluste ihrer Euroscheine in Kauf nehmen. Die Stempelaktion soll laut Meyer nur ein bis zwei Tage dauern, damit für den Import „gebietsfremder Euros“ kaum Zeit bleibt. Was passiert, wenn die Menschen aus dem Euroausland deutsche Freunde bitten, ihre Bargeldbestände mit zu stempeln? Der Zoll müsste an den deutschen Grenzen die Autos durchsuchen. Es sind die absurde Szenen einer Austritts-Phantasie.
Die Komplexität der Eurozone potenziert die Risiken. Sobald etwa Griechenland die Gemeinschaftswährung verlässt, antizipieren womöglich Portugiesen und Spanier den nächsten Euroaustritt, stürmen die Banken und bringen ihr Geld so schnell es geht ins Ausland. In dieser Situation empfiehlt Meyer europaweite Kapitalverkehrskontrollen. Aber lässt sich eine Zerfallsspirale der Eurozone tatsächlich mit Zöllnern und Polizisten aufhalten?
In Berlin fürchten Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Dominoeffekt würde Deutschland in eine Schuldenunion mit Ländern wie Italien und Spanien zwingen, wie der Spiegel berichtet. Schon ein Austritt Griechenlands könnte also dazu führen, dass der Erhalt der Resteurozone mit neuen Verpflichtungen garantiert werden muss.
In das politische Kalkül mögen auch die direkten Austrittskosten einfließen. Die Eurostaaten müssten etwa Kredite an den griechischen Staat und seine Banken abschreiben und zugleich neue Hilfen mobilisieren, um das Land aufzufangen. Allein die Einführung einer neuen Landeswährung kostet Athen etwa einen Prozent des Bruttoinlandsprodukts, schätzt Meyer.
Da die Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone weiterhin auseinanderdriften und die langfristigen Kosten der Stabilisierung steigen, wird vermehrt ein deutscher Euroastritt ins Spiel gebracht. Linde-Chef Wolfgang Reitzle und der US-Investor George Sorros halten das für eine Option. Die Resteurozone könnte sich dank einer Währungsabwertung erholen. Deutschland wäre das Schreckgespenst einer dauerhaft wachstumsschwachen Transferunion los. Doch auch in diesem Fall wären die „Einmalkosten“ enorm. Meyer schätzt sie für den deutschen Staat auf 295 bis 390 Milliarden Euro. Zugleich gesteht er zu, dass beispielweise Effekte auf die Weltwirtschaft oder die Kursentwicklung einer neuen D-Mark kaum seriös zu prognostizieren sind.
Jeder Euroaustritt wäre also ein riskantes Experiment, so wie die Gemeinschaftswährung selbst. Meyer hält es für unrealistisch, dass die heutigen Regierungen diesen Schritt wagen. „Nicht nur der Einfluss bisheriger politischer Akteure und Parteien steht auf dem Spiel, sondern auch der politische Friede und der europäische Integrationsgedanke“, schreibt der Hamburger Ökonom in einem neuen Kommentar. „Kapitalflucht, Bank-Runs, Kapitalverkehrskontrollen und protektionistische Maßnahmen einzelner Mitgliedstaaten würden das Binnenmarktprinzip und die ökonomische Stabilität der EU gefährden.“ Eine Erkenntnis, mit der sich weiterarbeiten lässt. Inzwischen beschäftigt sich Meyer mit der Einführung von Parallelwährungen. Dass die Eurozone in der heutigen Form nicht überleben kann, hält er für ausgemacht.
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