Wie keiner seiner Vorgänger hat sich Johannes Paul II. politisch zu Wort gemeldet, Geschichte mitgestaltet. Bedeutende Staatsmänner, hohe Geistliche suchten seinen Rat. Begegnungen mit einem großen Menschen unserer Zeit
Helmut Schmidt: Er ist warmherzig
Als Karol Wojtyla noch Erzbischof in Krakau war, wollte ich ihn gerne treffen – damals, 1977, während eines meiner amtlichen Polen-Besuche, kam das Gespräch nicht zustande. Dafür bin ich Karol Wojtyla aber später – nunmehr als Papst Johannes Paul II. – mehrfach begegnet; dreimal haben sich längere, gleichsam private Gespräche ergeben. Mein beherrschender Eindruck der Persönlichkeit des Papstes war und bleibt: Er ist ein warmherziger, offener Mann. Er ist weise, aber zugleich neugierig und interessiert. Er ist Gott ergeben, zugleich aber tief mitleidend mit allen Menschen im Elend. Er ist umfassend gebildet, zugleich aber mit Humor gesegnet. Der Papst ist faszinierend und anziehend – sein Charisma wirkt auch im Gespräch unter vier Augen.
In unseren Gesprächen in den achtziger Jahren gab es wichtige Übereinstimmungen. Es war kein Wunder, dass wir uns einig waren in der Ablehnung des Kommunismus, seiner Ideologie und Praxis gleichermaßen. Nicht ganz so selbstverständlich war unser gemeinsames Bekenntnis zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen und zu der dazu notwendigen – beiderseitigen, aber auch gemeinsamen – Durcharbeitung und Durchsichtigmachung der leidvollen deutsch-polnischen Geschichte.
Michail Gorbatschow: Wir Slawen sprachen
Am 1. Dezember 1989, nachdem ich den Glockenbogen des Petersdoms passiert hatte, kam ich zur päpstlichen Residenz. Und obwohl ich im Laufe des vorangehenden Briefwechsels und des Studiums der päpstlichen Dokumente schon einen gewissen Eindruck über meinen neuen Gesprächspartner gewonnen hatte, wartete ich mit Interesse ab: Wie würde wohl unser Treffen verlaufen? Was könnte es bewirken?
Das Gespräch begann unter vier Augen in russischer Sprache. Johannes Paul II. sagte: „Es treffen sich nun die Vertreter zweier slawischer Völker.“ Ich antwortete, ich würde seine Worte schätzen, und bemerkte, es solle ihm nicht als Panslawismus vorkommen, aber ich würde an die Mission der slawischen Völker glauben, daran, dass sie zur allgemeinen Etablierung des Gedankens beitragen könnten, wie wertvoll das Leben der Menschen, der Frieden und das Gute sind. Der Papst bestätigte meine Worte, indem er betonte: „Ja, das ist so. Der Frieden und das Gute.“
Anschließend begann der Papst, über die Perestrojka zu sprechen. Er sagte, dass die Perestrojka ein Prozess sei, der es erlaube, „gemeinsam den Weg zu einer neuen Dimension des menschlichen Zusammenlebens zu suchen, die in einem größeren Maße den Bedürfnissen der menschlichen Existenz, den Bedürfnissen verschiedener Völker sowie den Rechten einzelner Individuen und Nationen entspricht“. Seine Heiligkeit erklärte, dass die Bemühungen um Veränderungen in unserem Land für ihn nicht nur ein großes Interesse darstellten. „Wir teilen sie“, betonte der Erbe des heiligen Petrus. Am Ende unseres Gesprächs haben Seine Heiligkeit und ich die Herstellung offizieller Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Sowjetunion vereinbart, was auch verwirklicht wurde. Diese Beziehungen werden heute von Russland und dem Heiligen Stuhl aufrechterhalten. Der zweite Teil unserer damaligen Überlegungen, ein päpstlicher Besuch in Moskau, wurde bis jetzt nicht realisiert. Und das ist sehr schade. Wie der Papst oft wiederholte, muss Europa mit beiden Lungenhälften atmen – mit der westlichen und mit der östlichen. Das betrifft auch die europäischen Kirchen, ob katholisch oder orthodox.
Helmut Kohl: Er ergriff meine Hand
Ich selbst lernte den Krakauer Kardinal Wojtyla am 23. Juni 1977 in Mainz kennen, als er zu Gast beim Mainzer Kardinal Hermann Volk war. Ich führte damals ein kurzes Gespräch mit ihm und war von seiner großen Lebendigkeit und Offenheit beeindruckt. Seine großen Kenntnisse des deutschen Geisteslebens, der Philosophie und der Geschichte beeindruckten mich schon damals. Er war ein großer Verehrer des Freiburger Philosophen Husserl. Für sein Verständnis für uns Deutsche war auch von Vorteil, dass er gut Deutsch sprach. Als ich ihn 1977 persönlich kennen lernte, ahnte ich nicht, dass ich mit dem zukünftigen Papst zusammentraf.
Die Wahl von Johannes Paul II. war ein Ereignis von weltpolitischer Bedeutung, vor allem für uns in Europa. Viele möchten den Einfluss des Papstes am Zusammenbruch des Kommunismus gerne vergessen machen. Dabei trug er ganz wesentlich mit dazu bei, dass der Traum vom Fall der Berliner Mauer und das Ende der Teilung Deutschlands und Europas möglich wurden. Er machte den Menschen in den kommunistisch beherrschten Ländern Mut, die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit nicht aufzugeben. Er wusste, dass das scheinbar unerschütterliche kommunistische System vor der Geschichte keinen Bestand haben konnte, weil es dem Wesen des Menschen widerspricht.
Am Abend des 23. Juni 1996 fand eine Kundgebung auf der Ostseite des Brandenburger Tors statt. Auf dem Weg dorthin gingen der Papst und ich zusammen durch das Brandenburger Tor. Bei dieser Gelegenheit fasste er mich bei der Hand und sagte: „Herr Bundeskanzler, das ist ein großer Augenblick in meinem Leben. Ich stehe mit Ihnen, dem deutschen Bundeskanzler, am Brandenburger Tor, und das Tor ist offen. Die Mauer ist gefallen, Berlin und Deutschland sind nicht mehr geteilt. Und Polen ist frei.“
Karl Kardinal Lehmann: „Wo ist Hitlers Kanzlei?“
Immer wieder war der Papst an Deutschland interessiert. So war es auch am 23. Juni 1996 auf dem Flug von Paderborn nach Berlin. Die letzte Wegstrecke erfolgte von Berlin-Tegel in das Olympiastadion mit dem Hubschrauber. Dort wurden während der Eucharistiefeier Bernhard Lichtenberg und Karl Leisner selig gesprochen. Der Pilot hatte offenbar noch etwas Zeit und flog in großen Schleifen öfter über die Mitte Berlins. Der Papst rief mich an seine Seite. Ganz gespannt blickte er auf die unter uns liegende Stadt. Auf einmal sagte er zu mir: „Bischof Lehmann, wo ist die Reichskanzlei gewesen?“ Ich hatte etwas Mühe, den ungefähren Ort von oben auszumachen. Der Papst war geduldig und sagte unterdessen: „Wissen Sie, was es für den polnischen Papst bedeutet, hier in Berlin zu sein? Preußen, Nationalsozialismus und deutscher Kommunismus!“ Schließlich konnte ich ihm die Gegend der früheren Reichskanzlei zeigen. Noch einmal war der Pilot eine Schleife geflogen. Nachdenklich, aber sehr bestimmt sagte der Papst nur noch: „Und da muss der Papst hin!“ Bald kamen wir im Olympiastadion an, wo die Glaubenszeugen im Kampf gegen die braune Diktatur selig gesprochen wurden. Der Papst wusste sehr genau, wohin er kam und was er tat.
Alle Texte stammen aus dem Buch: Wladyslaw Bartoszewski (Hg.), Die Kraft des Augenblicks, Begegnungen mit dem Papst, Herder-Verlag 2004
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