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() Erneuerbare Energien gewinnen auch in den USA an Bedeutung.
Die grüne Supermacht

In Sachen Umweltschutz halten sich die Deutschen für Weltmeister. Doch nun sind die Vereinigten Staaten auf der grünen Überholspur. Verblüffende Beobachtungen bei einer Reise durch die USA

Vierzig Jahre nach Scott McKenzies Hit „Going to San Francisco“ formiert sich in Kalifornien eine neue, grüne Bewegung. Sie geht aus vom jungen Hollywood und Silicon Valley. Brad Pitt, Leonardo di Caprio und Cameron Diaz fahren demonstrativ Hybridautos und werben für Solarenergie. Die Environmental Media Association gilt als die angesagte Vereinigung in Los Angeles – schon spricht man von der genE, der „generation environment“. Größen wie Vinod Khosla und Bill Gross, die Milliarden im Internet verdient haben, investieren ihr Risikokapital in Solar- und Biotechnik-Start-ups. Google-Gründer Sergey Brin subventioniert seine Mitarbeiter sogar beim Kauf von Ökowagen. Und Gavin Newsom, der dynamische Bürgermeister von San Francisco, will die Stadt zum „Center for Green Technology“ entwickeln. Nach Hurrikan „Katrina“ votieren zwei Drittel der US-Bevölkerung für mehr Umweltschutz. Politiker aus allen Lagern sehen daher ein neues Handlungsfeld, sei es Gouverneur Arnold Schwarzenegger oder Senatorin Hillary Clinton, gefolgt von zahlreichen Bürgermeistern. Al Gore kehrt mit seinem Kinofilm „An unconvenient truth“ zurück auf die Politbühne. Der mit Erfolg gestartete Film zeigt drastisch die Konsequenzen der Klimaerwärmung. Selbst der Kyoto-kritische US-Präsident George W. Bush fordert seine Bevölkerung zum Energiesparen auf und brachte das Thema mit zum jüngsten G8-Gipfel. Seismografen und Verstärker dieser Bewegung sind die amerikanischen Medien. Vanity Fair, Pflichtlektüre des Ostküstenestablishments, titelte im Mai mit Julia Roberts, George Clooney und Robert Kennedy. Clooney plädiert darin für mehr persönlichen Einsatz: „Wenn man einen Film über Ölverbrauch und Korruption produziert, kann man nicht nur reden. Man muss handeln.“ Ebenso stellen Time, Newsweek und Wired mit langen Beiträgen landesweit Öffentlichkeit her. Und die amerikanische Ausgabe des Fashion-Magazins Elle erschien im grünen „Look“ und auf Umweltschutzpapier. Den Umweltschutz entdeckt nicht zuletzt die US-Wirtschaft. General Electric will damit bis 2010 rund 20 Milliarden Dollar erwirtschaften und kommuniziert diese Ausrichtung mit dem Begriff „Ecomagination“. „Mit steigenden Ölpreisen, anderen Energiekosten und Befürchtungen vor Wasserknappheit macht ‚Ecomagination‘ sogar noch mehr Sinn für Investoren“, erläutert CEO Jeffrey Immelt. Und der ehemalige Goldman-Sachs-Chef Hank Paulson und heutige US-Finanzminister hat die Investmentbank verpflichtet, über eine Milliarde Dollar in erneuerbare Energieprojekte zu investieren. Selbst der Handelsgigant Wal-Mart arbeitet intensiv an einer grünen Strategie. Nachhaltigkeit prägt schließlich auch den aktuellen Architekturstil: Im Juni wurde in New York der Hearst Tower, die neue Firmenzentrale des Medienkonzerns, eingeweiht. Modell stand der Commerzbank-Tower in Frankfurt am Main. Das von Norman Foster erbaute 46-stöckige Gebäude wird als das umweltfreundlichste Bürogebäude in New York gefeiert. Die Lobby schmückt eine Kaskade aus Regenwasser, mit dem die Räume gekühlt werden, die Böden sind aus recycelten Stoffen hergestellt. „Die USA werden grüner“, resümierte der langjährige Time-Chefredakteur Norman Pearlstine. Wie lange die neue Farbe hält, bleibt abzuwarten im Land der XXL-Autos, Klimaanlagen und Einweg-Verpackungen. Oder es zeichnet sich tatsächlich ein grundsätzlicher Einstellungswandel ab, zumal die Wirkungskette zwischen CO2-Ausstoß und Erderwärmung kaum mehr ignoriert werden kann. Motoren des Wandels sind Amerikas Eliten, die eine positive „pro-tech“- und „pro-growth“-Sicht mit Umweltbewusstsein verbinden. „Ein alter Hut“, sagen wir Deutschen und denken: „Umweltschutz, darin macht uns niemand etwas vor.“ Das stimmt. Kaum ein anderes Land hat so früh sein ökologisches Gewissen kultiviert – von der Naturromantik zur Umweltbewegung nach 68, die in der Regierungsbeteiligung der Grünen gipfelte. Umweltschutz stand ebenso früh auf der konservativen Agenda – beide Begriffe sind nicht nur etymologisch nahe. Bayern ernannte den ersten Umweltminister; nach Tschernobyl wurde das Bundesumweltministerium gegründet. Die deutschen Umweltgesetze, etwa im Immissions- und Wasserschutz, gelten als einmalig – die Ökobürokratie nicht minder. Auch Forschung und Wirtschaft haben hohe Umweltkompetenz. Das Fraunhofer-Institut für Solarenergie in Freiburg ist weltweit führend wie viele der über Jahre subventionierten deutschen Solarfirmen. Siemens und Bosch investieren verstärkt in grüne Technologien und schaffen so wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Deutsche Familienunternehmen wie Hipp oder Hermannsdorfer verbinden Nachhaltigkeit mit wirtschaftlichem Erfolg und unterstützen NGOs wie „Die Umwelt-Akademie“. Trotzdem: Niemand spricht von Deutschland als globalem Trendsetter des neogrünen Lebensstils. Der kalifornische Computerhersteller Apple machte den iPod zum Bestseller, das digitale Musikformat MP3 wurde aber im Fraunhofer-Institut entwickelt. Warum kann sich Deutschland als „Land der Ideen“ nicht an die Spitze eines großen Paradigmenwechsels stellen? Ein parteiübergreifender Konsens für mehr Nachhaltigkeit ist auf Bundes- und Länderebene wie in wenigen anderen Staaten vorhanden. Frankreich oder Spanien etwa lässt die Rekordhitze trotz verdorrender Felder noch weitgehend kalt. Gerade Brüssel bietet ein Handlungsfeld, denn Schadstoffe halten sich nicht an Grenzen. Nicht zuletzt die politischen Kosten der Erdölabhängigkeit steigen. Handlungsbremse bleibt aber der ideologische Ballast, wie die latente Technologiefeindlichkeit und Kapitalismuskritik, der im deutschen Öko-Denken und dem Wort „grün“ noch mitschwingt – auch der kontroverse Atomkraftausstieg gehört in diesen Kontext. Vielleicht leistet die konservativ-grün-liberale Annäherung ihren Beitrag, alte Denkmuster zu überwinden. Die Bürger und Unternehmen beginnen jedenfalls, die Dichotomie Märkte versus Umwelt hinter sich zu lassen. Glaubt man dem Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski, so erleben wir derzeit „den radikalsten Wertewandel seit 30 Jahren“, durch den eine neue „Ära der Verantwortung“ für die Umwelt und die Gemeinschaft entsteht. Danach fühlen sich neben Unternehmen als „Good Corporate Citizen“ immer mehr Menschen der Gesellschaft verpflichtet. Die neue Konsumkultur verbindet Ökologie mit Ökonomie und Verbrauchersouveränität mit Nachhaltigkeit. Medien und Internet informieren und orientieren. Marktforscher bezeichnen die wachsende gesundheits- und umweltbewusste Gruppe als LOHAS: Menschen mit „Lifestyle of Health and Sustainability“. Sie verbinden dabei Öko durchaus mit Genuss. In den USA sind die 174 „Whole Foods“-Bio-Supermärkte wahre Gourmet-Tempel und der deutsche Bio-Handel ist auf über 3,5 Milliarden Euro Umsatz angewachsen. In diese Lebenswelt gehören ebenso ökologisches Wohnen und Reisen. Und für die Automobilbranche ist „Clean Ener-gy“ zum wichtigen Innovations- und Kommunikationsfeld geworden. Toyota gilt mit seinen knapp 500000 verkauften Hybridwagen als Trendsetter. BMW, Daimler-Chrysler und VW legen eigene alternative Kraftstoff- und Antriebskonzepte wie Biodiesel oder Brennstoffzellen vor und kommunizieren diese aktiv an ihre Kunden. Wie mehr Umweltschutz auch mehr Gewinne bringt, stellt der aktuelle Bericht der internationalen „Climate Group“ dar. Die 43 verzeichneten Unternehmen wie IBM, Intel oder BASF sparten durch Treibhausgas-Senkungen über elf Milliarden Dollar ein. Und Investoren haben Rankings wie den Dow Jones Sustainability Index entwickelt, der Unternehmen nach ihrer Nachhaltigkeitspolitik bewertet. Die Deutsche Telekom etwa, die sich seit ihrem Börsengang danach ausrichtet, nimmt hier regelmäßig Spitzenplätze ein. Emissionsfrei hat sich kürzlich der britische Sender BSkyB, dem Rupert Murdoch als Aufsichtsrat vorsitzt, gemeldet. HSBC will die erste Großbank sein, die das erreicht. Obschon der globale Entlastungseffekt solcher nichtindustriellen Unternehmen geringfügig ist, macht eine neue Managergeneration Nachhaltigkeit zu ihrer Sache: So gründete BSkyB-Kommunikationschef Matthew Anderson mit anderen Mitgliedern des Forum of Young Global Leaders, der Nachwuchsorganisation des World Economic Forum, eine Initiative, um weltweit Marketingchefs für mehr Umweltbewusstsein zu gewinnen. Mitstreiter sind Georges Kern, CEO des Uhrenmachers IWC, der indische Multiunternehmer Uday Khemka und SAP-Vorstand Shai Agassi. „We are challenging the traditional mindset in consumer businesses, so that instead of seeing climate change as a burden, they will find profitable ways to associate their brands with positive, low carbon lifestyle“, sagt Anderson. Amerika macht es vor, sicherlich nur ein Anfang im Land der Klimaanlagen, Swimmingpools und Dreißig-Liter-Autos. Treiber dieses Wandels ist keine antikapitalistische Ideologie, sondern die neuen Eliten aus Entertainment, Technologie und Venture Capital, die eine positive „pro-tech“- und „pro-market“-Einstellung mit Umweltbewusstsein verbinden. Darin liegt die moderne Botschaft. Marcel Reichart ist Geschäftsführer Strategie, Marketing und Kommunikation von Hubert Burda Media und Young Global Leader des World Economic Forum

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