"Der Kongo ist ein Bettler"
Als UN-Sonderbeauftragter kämpft Jean Ziegler für das Recht auf Nahrung. Und der Schweizer Soziologe glaubt an die Effektivität von EU-Truppen.
Herr Ziegler, warum ist der Kongo so wichtig, dass EU-Truppen dort die Wahlen gewährleisten sollen?
Die kongolesische Tragödie bedeutet für Afrika permanente und totale Instabilität – die sich auf eine ganze Reihe anderer Staaten auswirkt. Wie eine infizierte Wunde, die sich an den Rändern weiter ausbreitet. Der immer noch andauernde Bürgerkrieg in Burundi, der schon zwei Millionen Opfer gefordert hat, der Bürgerkrieg in Angola, der Bürgerkrieg im Süden der Zentralafrikanischen Republik. Der Frieden im Südsudan ist sehr, sehr zerbrechlich; Uganda hat einen fürchterlichen Bürgerkrieg im Norden. Das sind alles Konflikte, die entweder direkt oder indirekt mit dem Kongo zu tun haben. Und die werden nicht zu Ende gehen, wenn diese Wunde im Herzen Afrikas weiter blutet.
Aber warum steht der Kongo im Zentrum dieses riesigen Konflikts?
Der Kongo ist ein Bettler, der auf einem wahren Goldberg an Bodenschätzen sitzt: Mangan, Uran, Gold, Diamanten und Coltan. Um diese Güter wird seit Jahrzehnten ein permanenter Krieg geführt. Der Kongo ist zu einem riesigen Heerlager geworden, wie Europa im Dreißigjährigen Krieg. Mordbanden ziehen durch das Land! Das kongolesische Drama hat eine Dimension, wie es nicht schlimmer sein könnte.
Und was soll da die kleine EU-Eingreiftruppe tun?
Wo diese Truppen sind, da gibt es zu essen, da gibt es Lazarette, Abwassersysteme, Impfkampagnen. Allein dadurch hätten Tausende eine Chance zu überleben. Außerdem braucht man ein europäisches Militärkontingent, sonst finden die Wahlen nicht statt. Und ohne Wahlen geht das Massaker weiter. Dann werden die verkappten Kriegsherrn, die internationalen Minengesellschaften, völlig freie Hand haben. Mit der Folge, dass das Land sich weiter auflöst und noch mehr Menschen sterben.
In Ihrem Buch „Das Imperium der Schande“ beschreiben Sie die Strategie der transkontinentalen Konzerne. Wie sieht deren Macht im Kongo aus?
Da muss ich einige Jahrzehnte zurückgehen. Als 1960 der Kongo auseinander zu brechen drohte, weil die Minengesellschaften die Provinz Katanga abgespalten hatten und der Bürgerkrieg begann, hat UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld gesagt, wenn die Uno eine Aufgabe hat, dann hier: Wir müssen die Sicherheit und das Überleben der Menschen hier im Herzen Afrikas gewährleisten. Dann hat die UN eine Blauhelm-Armee aufgestellt, die die Söldner der Aufständischen zurückgeschlagen und die Zivilverwaltung übernommen hat.
Damals waren Sie als UN-Experte unmittelbar dabei…
Ja, das war mein erster Job. Als im Januar 1963 schwedische und ghanaische Blauhelme Lumumbashi eingenommen haben, saß ich im italienischen Militärspital. Und hatte ganz schön Angst. Im Nachhinein muss ich sagen, das war ein Lichtblick – der leider wieder verging. Trotzdem ist im Kongo die Erinnerung an die Uno unglaublich positiv. Und heute bräuchte man das wieder: einen landesweiten Einsatz, der von seriösen Militärkräften gestützt wird. Dieser multilaterale Weg ist die einzige Hoffnung!
Das ist aber nicht in Sicht – was hält den Kongo davon ab, noch weiter zu zerbrechen?
Meine Hoffnung gründet sich auf drei Dinge: Das Licht von Lumumba, der den Kongo in die Unabhängigkeit führte und dann ermordet wurde, ist nicht erloschen! Die 122 Völker des Kongo haben sich als Nation begriffen. Sie haben nicht vergessen, dass sie drei Monate frei waren – bis Mobutu die Macht ergriff. Zweitens stiften die uralten Hochkulturen, die von den Sklavenhändlern und der europäischen Kolonialmacht nur teilweise zerschlagen wurden, immer noch eine kollektive Identität. Und drittens die unglaublichen Bodenschätze. Der Kongo hängt nicht für alle Ewigkeit ab von den milden Gaben aus Europa! Wenn es im Kongo politische Stabilität und Unabhängigkeit gäbe, würde sich der Bettler über Nacht in eine Großmacht verwandeln!
Das Gespräch führte Alexander Bühler
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