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() Madhi
Der jüngste Hassprediger

Madhi ist erst acht Jahre alt und schon ein Volksheld in Iran. Unter Tränen spricht der Junge vom Leiden der „Märtyrer“ und bringt erwachsene Männer zum Weinen. Ein Blick hinter die Kulissen der Schule der Fanatiker

Lesen Sie auch dazu: Peter Sloterdijk: Die Bevölkerungswaffe der Islamisten Matthias Küntzel: Kanonenfutter der Mullahs Madhi bekämpft den Teufel, obwohl er aussieht wie ein Barock­engel. Der Junge ist erst acht Jahre alt und erklärt jedem, der es hören will: „Der Sheitan (deutsch: Satan, Teufel, Luzifer) ist ein ganz böser Typ. Dem darf man nicht trauen.“ Wenn man von Madhi wissen will, ob er damit jemanden Bestimmten meint, schweigt er. So erfährt man auch nicht, ob er seine Teufelsangst in der Moschee, im Koranzentrum oder im Elternhaus aufgeschnappt beziehungsweise missverstanden hat. In der Islamischen Republik ist der Satan allgegenwärtig. Der „große Satan“ sind die USA, der kleine die „zionistische Einheit“, sprich Israel. Ob beim Freitagsgebet in der Teheraner Universität oder in den offiziellen Medien, alle Würdenträger der Islamischen Republik hämmern den Iranern den Hass auf diese beiden Feinde ein: Großer Satan, kleiner Satan – Christen und Juden. Diese Propaganda hat zunehmend an Schärfe gewonnen seit Mahmud Ahmadinedschad im August 2005 ganz legal zum Präsidenten gewählt wurde. Etwa zur selben Zeit begann auch Madhi seinen Kampf gegen das Böse. Bei einer Familienfeier beeindruckte er den frommen Onkel seiner Mutter, als er mehrere Suren aus dem Koran auswendig hersagen konnte. Der Sprössling begleitete seine Rede gestenreich und senkte oder erhob die Stimme genau im richtigen Moment. Kam er auf die Leiden der schiitischen Märtyrer Ali und Hussein zu sprechen, brach er in Tränen aus. Da war es um alle Anwesenden geschehen. Im Publikum blieb vor Rührung kein Auge trocken. Bald darauf sorgte der Onkel dafür, dass Madhis erzählerisches Talent mithilfe von DVDs auch andere Iraner rührte. Es dauerte nicht lange, bis der Dreikäsehoch zum Star in seinem Heimatort Hamedan, einer beschaulichen Provinzstadt im Westiran, wurde. Heute sind Kopien von Madhis gefühlvollen Predigten überall im Land erhältlich. Im Teheraner Bazar beispielsweise kosten sie umgerechnet etwa zwei Euro. Sogar Präsident Ahmadinedschad ist inzwischen auf den Jungen aufmerksam geworden und hat ihn empfangen. Wenn Madhi von diesem Höhepunkt in seinem Leben erzählt, leuchten seine Augen. „Der Präsident hörte sich meine Predigt an und flüsterte mir etwas zu, nachdem er mich kurz beglückwünscht hatte.“ Die Kameras des staatlichen Fernsehens hielten die Szene für die Ewigkeit fest. Worüber die beiden gesprochen haben, weiß niemand. Madhi wie auch Mahmud Ahmadinedschad schweigen darüber. Die gesprächigere Mutter hingegen deutet geheimnisvoll an, es habe sich wohl um eine Fachsimpelei über die Rückkehr des im 9.Jahrhundert verschwundenen Imams gehandelt, der ein Namensvetter ihres Sohnes war. Auf die Wiederkehr dieses anderen Madhi als den von Gott gesandten Messias warten die gläubigen Schiiten in aller Welt. Die freundliche Frau überlässt es jedem, sich selbst einen Reim darauf zu machen, ob vielleicht in ihrem einzigen Sohn dieser vermeintliche Erlöser wiedergeboren wurde. Sie sagt nur so viel: „Der Kleine war vom ersten Tag an etwas Besonderes.“ „Besonders“ charakterisiert diesen Jungen allerdings nur unzureichend. Während andere Kinder in seinem Alter Fotos von Rockstars oder Fußballern sammeln, zieht Madhi Bilder von Märtyrern aus einer Schublade, darunter Kindersoldaten, die in den achtziger Jahren im Krieg gegen den Irak kämpften. Dabei lächelt er stolz und sagt: „meine Vorbilder“. Der Vater nickt beifällig und berichtet, dass jedes Mal, wenn sein Sohn vor den islamischen Milizen, den Bassidschi, oder den Revolutionswächtern, den Pasdaran, predige, er alle auffordere, sich zu opfern, bevor er seine Zuhörer darum bitte, für ihn zu beten, „damit er ebenfalls den Märtyrertod sterben darf“. Während der Vater das erzählt, schaut Madhi, als würde man über sein liebstes Hobby reden – sterben. Stolz zeigt der Kleine ein Plastikgewehr, das ihm die Mullahs überreichten, und die Uniform, die ihm die iranischen Revolutionswächter schenkten. Auch in anderer Hinsicht ist der Achtjährige anders als seine Altersgenossen. Den Präsidenten, Schreckgespenst vieler Teenager in Teheran, nennt Irans jüngster Teufelsaustreiber einen tollen Typen, der niemanden zu etwas zwinge. „Wenn Frauen den Umhang nicht richtig tragen, schickt der Präsident seine Wächter aus, und die bitten diese Frauen ganz freundlich, sich korrekt anzuziehen.“ Seine Mutter, das schwarze Ganzkörpertuch, den Tschador, auch ohne jeden Aufpasser tief ins Gesicht gezogen, hört ihrem Sohn wie ein ergebener Fan zu. Um den Glauben allein geht es hier allerdings längst nicht mehr. Der Junge ist zu einem einträglichen Geschäft geworden. Wenn Madhi besonders gut predigt, bekommt die Kleinfamilie von Mullahs oder Ministerien Golddukaten. In den vergangenen drei Jahren hat sich da einiges angesammelt. Vom Ruhm, den so ein Kind einem Schuhhändler mit bescheidenen Mitteln in einer islamischen Republik einbringt, ganz zu schweigen. Madhis Vater, aktiver Mitstreiter der Bassidschi, hat es inzwischen geschafft, dass sein Sohn als jüngstes Mitglied in diese gefürchtete Organisation aufgenommen wurde. Madhi war drei Jahre alt, als seine Mutter mit der religiösen Ausbildung ihres Sohnes begann. Bald schon brachte sie ihn in eines der vier Koranzentren in Hamedan. Dort übertrumpfte das Naturtalent alle anderen Kinder. Madhi lernte Suren des Korans schneller und besser auswendig als Tausende und Abertausende Kinder von kleinen Staatsangestellten oder Taxifahrern. Früher waren Koranzentren im Iran nur spärlich vorhanden. Ihre Verbreitung begann paradoxerweise erst mit der Amtszeit des Reformpräsidenten Mohammed Chatami Mitte der neunziger Jahre. Mit diesen Zentren versuchten Irans Konservative, ihren schwindenden Einfluss zurückzuerobern. Da Teheran ohnehin als hoffnungslos verwestlicht galt, konzentrierten sich die Konservativen auf Provinzstädte wie Hamedan oder Jazd. Diese Schulen sind für ärmere Familien nicht zuletzt auch deshalb attraktiv, weil dort kein Schulgeld gezahlt werden muss. Für Familien, Einpeitscher und die Spitze des Regimes sind diese Koranzentren eine todernste Angelegenheit. Schließlich wächst dort die nächste Generation von Predigern, Mullahs oder vielleicht sogar neuen Märtyrern heran. Damit auch alles seinen regimetreuen Gang geht, haben die Bassidschi – in Hamedan gut vertreten – und Pasdaran ein wachsames Auge auf die Schüler. Wird ein religiöses Genie geortet, bekommt es jegliche Unterstützung. So wird Madhi beispielsweise auch im Nahkampf trainiert. Obwohl es mit seiner Olympiareife nicht weit her ist, springt er im Sportclub zwischen erwachsenen Milizionären und Revolutionären herum. Dabei gerät er schnell außer Atem, was ihn aber nicht daran hindert anzugeben: „Sollte es zum Krieg gegen die Amerikaner kommen“, sagt er mit stolz geschwellter Brust, „werde ich mitkämpfen.“ Selbst sein Trainer quittiert die martialische Ankündigung mit einem eher ungläubigen Schmunzeln. Als Kampfsportler mag Madhi weniger talentiert sein. Als Prediger ist er umso überzeugender. Er hat seine Lektion vorbildlich gelernt. Da der Koran ursprünglich auf Arabisch geschrieben wurde und eigentlich nicht übersetzt werden sollte, drillt man Kinder wie Madhi so lange, bis sie die schwierigen Texte im Schlaf wiedergeben können. Zwei, drei Stunden am Tag dauert die Gehirnwäsche – mindestens. Tag für Tag. Jahrelang. Das bedeutet aber längst nicht, dass Kinder wie Madhi auch verstehen, was sie mit höchster emotionaler Hingabe predigen. Weil die meisten Iraner nur notdürftige Arabischkenntnisse besitzen, wenn überhaupt, wissen weder Prediger noch Publikum genau, worum es eigentlich geht. Das schmälert Madhis Popularität in keiner Weise. „Kinder erreichen die Herzen der Menschen leichter, weil sie so unschuldig sind“, erklärt ein Mann, während der Junge in einer Teheraner Moschee einen seiner zu Tränen rührenden Auftritte absolviert. Die Unschuld kann man aber in einem Land wie Iran auch ganz schnell verlieren. Vor Madhi gab es in der Stadt Qom einen Wunderprediger namens Tabatabai. Der religiöse Iran verehrte ihn wie einen Heiligen, bis er plötzlich von der Bildfläche verschwand. Heute ist der junge Mann etwa zwanzig Jahre alt. Nur selten taucht er noch in der Öffentlichkeit auf – und schweigt. Es heißt, Tabatabai habe Sprechverbot, weil er angeblich eines Tages aus heiterem Himmel erklärt habe, das Regime der Mullahs im Iran sei mit der Lehre des Korans nicht zu vereinbaren. Von solch einer Erkenntnis ist der achtjährige Madhi noch Lichtjahre entfernt. Antonia Rados ist Klagenfurterin und lebt heute in Paris. Sie berichtet fürs Fernsehen aus dem Irak und Iran. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen

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