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Modejournalistin Melissa Drier - „Alle haben nur Schrott - und davon viel“

Modejournalistin Melissa Dier (Women's Wear Daily) spricht im Gespräch über modisch würdevolles Altern, Angela Merkels Stil und das Desinteresse von Designern an realistischen Körperformen

Autoreninfo

Anne Waak ist freie Journalistin in Berlin. Sie schreibt am liebsten über Mode und Pop

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Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Oktober-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.

 

 

Cicero: Frau Drier, als Sie erfahren haben, worum es in unserem Interview gehen soll, sagten Sie: „Das ist ein heikles Thema.“
Melissa Drier: Auf die Veränderungen, die sich mit dem Älterwerden einstellen, ist keine Frau vorbereitet. Wir wissen, irgendwann wird unsere Taille verschwinden, irgendwann werden wir breit und eckig. Männer dagegen schrumpfen eher und fallen in sich zusammen. Für mich funktioniert es momentan noch. Ich mag 60 sein, aber ich fühle mich immer noch wie ein Kind! Und doch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich über Jahre hinweg keine Hosen kaufen kann, weil nichts, was angeboten wird, meiner Silhouette entspricht. Ich bin wirklich gespannt, was ich machen werde, wenn ich alt und knochig bin. Früher gab es einen fast verbindlichen Look für Leute, die älter wurden. Irgendwie schwarz und unauffällig – der Witwenstil. Seit alle Schwarz tragen, funktioniert das nicht mehr. Heute tragen Kids den Look der 60-Jährigen und andersherum. Ich finde das blödsinnig, erwarte aber auch nicht, dass sich das so schnell wieder ändert.

Ihr Landsmann, der amerikanische Designer Michael Kors, findet das super. Neulich sagte er, dass es altersgemäße Garderobe nicht mehr gäbe, und heute alle mehr oder weniger aussähen, als wären sie 30 Jahre alt.
Das Problem ist, dass sich die Schnitte überall gleichen und nicht zu den Körpern der meisten Frauen passen. Junge Mädchen sind die einzigen, die in der aktuellen Mode gut aussehen. Die allgemeine Entwicklung hilft älteren Frauen wirklich nicht. Niemand scheint sich dafür zu interessieren, was sie brauchen und wollen. Großzügigere Schnitte, Ärmel, ein bisschen hochgeschlossener – das machen nur wenige Labels. Also geben die Frauen irgendwann auf und kaufen nur noch Hosen mit elastischem Bund. Dasselbe gilt für ihre Haare. Nie im Leben werde ich mir so einen schrecklichen Herrenhaarschnitt zulegen! Manche Frauen fangen das schon mit 40 an und signalisieren damit, dass es sie nicht mehr interessiert, wie sie aussehen. Anders ist es natürlich, wenn man eine radikale Lesbe ist und diesen Schnitt wirklich liebt.

Warum spielen Frauen ab einem gewissen Alter überhaupt gar keine Rolle mehr in der Mode? Warum gibt es für sie nur noch „Kleidung“?
Es ist nicht sexy, für diese Leute zu entwerfen. Das ist sehr kurzsichtig, sowohl von der Industrie als auch von den Einzelhändlern. Denn leider ist auch die Zeit von Spezialgeschäften vorbei. Früher gab es so etwas, aber heute konzentrieren sich alle auf die gleiche kleine Zielgruppe.

Da teilen ältere Frauen das Schicksal von Übergewichtigen. Der Bedarf ist eindeutig da, nur in Sachen Angebot herrscht ein eklatanter Mangel. Die Schönheitsindustrie hingegen wirft ständig neue Produkte für die alternde Frau auf den Markt.
Kein Designer scheint sich für die realistischen Körperformen seiner Kundinnen zu interessieren. Harper’s Bazaar brachte vor kurzem diese Geschichte, „Look Fabulous in Every Age“. Bemerkenswert ist, dass sie auch Frauen in ihren Sechzigern und Siebzigern zeigen. Jane Fonda, Jerry Hall – beide überragen mich um einen halben Meter! Was soll ich mit diesen Outfits? Ich kann das nicht tragen. Aber wer weiß, vielleicht sehen wir demnächst 70-Jährige in knöchelhohen Hightop-Sneakers von Martin Margiela? Ich fände das gut.

Gibt es in Deutschland Ihrer Meinung nach trotzdem Frauen, die sich gut kleiden?
Ich finde zum Beispiel, dass Christiane Arp super aussieht, die Chefredakteurin der deutschen Vogue. Im Fernsehen sieht man jedenfalls fast nie irgendwelche vernünftig gekleideten Frauen. Nur Don’ts, keine Dos. Woher sollen die Leute also auf gute Ideen kommen?

Was wäre so ein Don’t?
Goldschmuck und Pelz machen alt. Und natürlich ein zu dunkler Teint. Konturenstift für die Lippen – oh Schreck!

Was sagen Sie zu Angela Merkel?
Zunächst einmal muss man sagen, dass sie in Realität viel besser aussieht als auf Fotos oder im Fernsehen. Grundsätzlich würde ich nichts an ihrem Stil ändern, ganz sicher würde ich nicht versuchen, sie „femininer“ aussehen zu lassen. Das würde schnell in Richtung Transvestit gehen. Ich würde nur an der Qualität ihrer Outfits feilen und versuchen, ihr diese melonenfarbenen Jacketts auszureden, die allerdings auch schon besser aussähen, wenn sie aus hochwertigerem Material gefertigt und besser geschnitten wären. Schöne Schuhe und, angesichts des jüngsten Erfolgs ihrer Halskette, etwas feiner Schmuck – das ist es, was ich unter Powerdressing verstehe. Ursula von der Leyen sieht auch gut aus. Warum? Weil sie Persönlichkeit besitzt. Das bewirkt Wunder. Es gibt Frauen, die sich nur für Männer kleiden. Ich war immer ein man repeller und habe Gott sei Dank stets Männer gefunden, die das lustig fanden.

Ist das vielleicht Teil des Problems? Wissen diese Frauen, die sich nur für Männer kleiden, ab einem bestimmten Alter nicht mehr, was sie anziehen sollen und warum überhaupt?
Wenn das der einzige Sinn ist, dann geht der irgendwann verloren. Ich wollte immer interessant aussehen, viel lieber als hübsch. Wann hat das überhaupt angefangen, dass alle immer sexy sein wollten? Für mich ist das nichts weiter als vulgär. Ein anderes Problem stellt ganz sicher der Moment dar, in dem man aus der Arbeitswelt ausscheidet. Wenn man sich nicht gut kleiden muss, tut man es nicht – außer es ist Teil der Persönlichkeit. Das gilt für junge Leute ganz genauso.

Geht es Frauen in Italien oder Frankreich genauso wie hierzulande?
In Paris, etwa im 16. Arrondissement, gibt es viele Frauen, die einen sehr klassischen Stil pflegen. Ich finde den ein wenig langweilig, aber sie sehen ziemlich gut damit aus.

Dann ist es ein kulturelles Problem?
Na ja, Paris ist auch nicht Frankreich. Aber auch in Deutschland kann man nun mal nichts kaufen, was nicht angeboten wird. Es ist eine Tragödie, dass heute alle nur Schrott haben – davon aber sehr viel. Es gibt einfach keine guten Kleider mehr! Es gibt von Generation zu Generation weniger Leute, die mit wirklich guten Stoffen und Schnitten aufgewachsen sind und die Missoni von Armani unterscheiden können. Früher haben Leute viel weniger angeschafft, sie tragen diese Sachen aber bis heute. Manchmal, wenn ich eine Dame in einem tollen Sechziger-Jahre-Mantel oder einer guten Handtasche auf der Straße sehe, spreche ich sie darauf an. Vielleicht bin ich reaktionär, aber ich finde, wir sehen insgesamt alle nicht viel besser aus als noch früher. Das Straßenbild deprimiert mich.

Wie lautet Ihr Rat?
Zwanghaft jung aussehen zu wollen, ist immer falsch. Die Leute sollten in Qualität investieren. Wenn du jung bist, kannst du auch Sachen tragen, die nicht so gut gemacht sind. Später geht das nicht mehr. Jeder sollte sich seiner Persönlichkeit entsprechend kleiden, das macht lebendig und attraktiv. Ich trage auch Sachen, die sicherlich fürchterlich an mir aussehen, die ich aber nun mal liebe – Baggy-Pants zum Beispiel. In der Mode geht es um Spaß. Die Leute sollten ihren Stil kennen und daraus die Konsequenzen ziehen. Und: Jeder sollte die Freiheit haben, seinen schlechten Geschmack auszuleben.

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