- Brachiale Gentlemen
Sie rauben Juwelen, aber sie töten nicht. Und wenn mal einer gefasst wird, redet er nicht. Oder er wird befreit. So haben die Pink Panther in den vergangenen Jahren Juwelen im Wert von insgesamt mehr als 330 Millionen Euro erbeutet
[[{"fid":"60267","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":190,"width":139,"style":"width: 139px; height: 190px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der November-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.
Der 15. April 2007. Ein verschlafener Sonntag, kurz vor Ladenschluss im Wafi-Einkaufszentrum in Dubai. Plötzlich zerschlägt ein schwarzer Audi die gläserne Eingangstür. Durch den Scherbenregen folgt ein zweiter Wagen, diesmal ein weißer Audi. Die Limousinen halten an, maskierte Männer springen heraus. Dann rast der weiße Audi in das Schaufenster des Juweliers Graff. Vier Maskierte stürmen durch die zerstörten Fenster in das Geschäft. Die Besucher des Einkaufszentrums starren wie gelähmt auf das Spektakel, einige kramen ihre Handys heraus, um das Ungeheuerliche festzuhalten. Das gleich wieder vorbei ist.
Die Kameraaufnahmen aus dem Juweliergeschäft zeigen später, wie die vier Männer die Scheiben der Vitrinen mit Hämmern zerschlagen und die Beute in Säcke stopfen. Die Zeitanzeige am unteren Rand der Aufnahme läuft mit. Kaum mehr als eine Minute vergeht, bevor ein lautes Hupen die Männer zurück in die Autos beordert. Wenig später erscheint ein Handyvideo des Coups auf Youtube.
Es war nicht das erste Mal, dass die Pink Panthers den Juwelier Graff heimsuchten. Bereits im Jahr 2003 erfolgte ein Überfall auf dessen Londoner Filiale. Zwei Männer betraten das Geschäft und zwangen die Angestellten, Juwelen im Wert von 23 Millionen Euro herauszugeben. Doch der Raub ging schief. Einer der Räuber wurde noch vor Ort von einem Wachmann überwältigt. Der zweite konnte mit der Beute entkommen, bevor er einige Monate später ebenfalls gefasst wurde. Die Juwelen wurden bei einem Komplizen sichergestellt, unter anderem ein blauer Diamantring im Wert von 750 000 Dollar – versteckt in einem Tiegel Gesichtscreme.
Deutliche Anleihen zu dem rosaroten Panther
Ist dieses Versteck als aktiver Beitrag zur eigenen Legendenbildung zu verstehen? Genauso sichert nämlich auch Mrs. Litton die Beute, die Ehefrau des „Phantoms“ in „Der rosarote Panther kehrt zurück“ von Blake Edwards aus dem Jahr 1975. Als die Presse von diesem Filmzitat erfuhr, stand der Name fest. Selbst Interpol verwendet ihn für die Bande, die bis heute auf über 340 Raubzügen in 35 Ländern mehr als 330 Millionen Euro erbeutet hat. Parallelen zu den großen Leinwanddramen über Juwelendiebe sind jedoch nicht nur in den akribisch geplanten Einbrüchen zu finden. Auch die Herkunft der Gangster, ihr Schweigeethos und der Hunger nach dem besseren Leben erinnern an die Helden sogenannter „Heist“-Filme wie „Rififi“ von 1955, „Top Job“ von 1966 oder „Der Coup“ von 1971. Der Begriff „Heist“ bedeutet übersetzt so viel wie „Raub“ oder „Coup“.
Der Plot dieser Filme zeichnet sich durch die detaillierte Beschreibung der Planung, Realisierung und dem Nachspiel eines Raubes aus. Die Protagonisten dieser Filme sind von der Gesellschaft vernachlässigte Jugendliche und Kriegsveteranen. Traumatisierte Männer, die sich vom großen Coup ein besseres Leben versprechen – es jedoch selten finden. Das Ende des klassischen „Heist“-Filmes ist tragisch, nicht selten sterben fast alle Protagonisten im Streit um die Beute oder auf der Flucht vor der Polizei. Anders als im wirklichen Leben, denn die Überfälle der Pink Panther verlaufen in der Regel nach Plan. Tote gibt es nicht. Das haben die Gentlemen-Räuber nicht nötig. Festnahmen und die Wiederbeschaffung der Beute sind Ausnahmen. Dabei werden ihre Coups mit jedem Jahr verwegener – wobei ein gewisser Trend zur Vereinfachung, zum Minimalismus zu beobachten ist.
2005 zum Beispiel überfallen zwei als Touristen getarnte Männer jugoslawischer Herkunft den Juwelier Julian in St. Tropez: Sie betreten den Laden in Hawaiihemden und Badeshorts. Ihre Beute sind Uhren und Schmuck im Wert von mehreren Hunderttausend Euro. Die Flucht gelingt per Schnellboot.
An einem sonnigen Samstagnachmittag im Mai des Jahres 2009 dann betritt ein einzelner Herr von etwa 50 Jahren den Flagshipstore des Juweliers Chopard in Paris. Elegant, vielleicht ein wenig altmodisch, in Anzug und Filzhut, erweckt er bei den Mitarbeitern keinerlei Argwohn – bis er eine Waffe zieht und sie instruiert, welche Schmuckstücke er mitzunehmen gedenkt. Nur zwei Minuten später und ohne Aufheben verlässt er mit einer Beute im Wert von sechs Millionen Euro das Geschäft. Vom Tatort entfernt er sich zu Fuß. Weder der vornehme Dieb noch die Beute sind seitdem wieder aufgetaucht.
Im Juni dieses Jahres wird Cannes zum Schauplatz. Auch diesmal verschafft sich ein einzelner Mann über eine Terrassentür Zugang zur Ausstellung „Extraordinary Diamonds“ des israelischen Milliardärs und Diamantenhändlers Lev Avnerovich Leviev und zwingt die Mitarbeiter, die soeben die Vitrinen bestückten, mit einer Pistole zur Herausgabe von Juwelen im Wert von 103 Millionen Euro. Innerhalb weniger Minuten hat er das Gebäude wieder verlassen. Von Täter und Beute fehlt jede Spur.
Mythen rund um den Juwelendiebstahl
Der Diebstahl von Juwelen unterscheidet sich von anderen Formen des Raubes durch ein schillerndes Geflecht von Mythen, die sich einerseits um die Schmuckstücke ranken, andererseits um die Akteure. Das Image der leuchtenden Steine färbt selbst auf den Dieb ab. Und weil kostbare Juwelen Inbegriff des Überflusses sind, erscheint ihr Raub in den Augen vieler weniger verwerflich als andere Formen der Kriminalität.
Sogar auf die Opfer wirkt die Besessenheit der Diebe manchmal sympathisch: Im Jahr 1671 machte der Dieb und Unruhestifter Thomas Blood den Versuch, die englischen Kronjuwelen zu stehlen und scheiterte. Bei seiner Festnahme, die ihn bis an den Galgen hätte bringen können, bestand er darauf, den König zu sprechen. Begeistert von solcher Kühnheit, begnadigte dieser den Dieb, stattete ihn mit einem wertvollen Landsitz in Irland aus und machte ihn zum gern gesehenen Gast bei Hofe.
Mitglieder der Pink Panther können auf derart prominente Fürsprache nicht zählen, wenn sie verhaftet werden. Aber sie können sich auf ihre Komplizen verlassen. Vier Panther sind bisher von anderen Mitgliedern der Bande befreit worden. Drei von ihnen wurden schnell wieder aufgegriffen, nur einer genießt noch immer die zurückgewonnene Freiheit. Sein Name ist Dragan Mikic.
Seine Komplizen befreiten ihn im Jahr 2005 aus dem Gefängnis in Villefranche-sur-Saône, wo er für drei Raubüberfälle aus den Jahren 2001 und 2003 einsaß. Seine Verhaftung lag erst einige Monate zurück, er hatte gerade eine Anhörung bei der Staatsanwaltschaft hinter sich, da löste sich Mikic auf einem Parkplatz von seinen Bewachern. Als er auf eine Grundschule zurannte, stoppte ihn einer der Beamten mit einem Schuss ins Bein. Nach seiner Genesung wurde der freiheitsliebende Mikic in ein vermeintlich sichereres Gefängnis gebracht – eben jenes in Villefranche-sur-Saône.
Dort saß er zwei Jahre. Dann kam es zur Befreiung: Zwei Männer fuhren mit einem weißen Pick-up-Truck vor, drei Leitern, einer Drahtschere und einer Kalaschnikow. Die erste Leiter verhalf einem der Komplizen auf die Gefängnismauer, von wo aus er den Wachturm mit der Kalaschnikow unter Sperrfeuer nahm. Sein Kollege warf die zweite Leiter sowie die Drahtschere über die Mauer, hinter der Mikic wartete. Mit der Schere durchdrang er einen Stacheldrahtzaun, dann kletterte er über die Leiter auf die Mauer. Auf der anderen Seite fand er die dritte Leiter, über die er auf die Straße gelangte und mit seinen Komplizen verschwand. Auch diese Aktion ist bemerkenswert aufgrund ihrer beinahe altmodischen Simplizität: keine Hubschrauber, sondern zwei Gauner mit drei Leitern, einem Gewehr und einer Schere.
Die meisten der Pink Panther stammen aus Montenegro oder Serbien. Viele kennen sich aus Jugendtagen, die von der Gewalt der Balkankriege geprägt waren. Ihr routinierter Umgang mit Waffen legt nach Einschätzung von Interpol nahe, dass einige von ihnen auch an den Kampfhandlungen teilgenommen haben und über eine militärische Ausbildung verfügen. Arbeitslos und ohne Perspektive standen viele Serben Mitte der neunziger Jahre vor den Trümmern ihrer Heimat, die infolge der Zerstörung durch die Kriege und auch der Sanktionen des Westens keine Perspektive mehr zu bieten hatte. Die Regale in den Geschäften waren leer, die Fabriken geschlossen. Kriminalität wurde zum Alltag, die einzige Möglichkeit, an etliche Gebrauchsartikel zu kommen, führte über den Schwarzmarkt.
Die Panther begannen zu schmuggeln. Heroin und Waffen brachten sie über die Adria nach Italien, wo sie von der Mafia übernommen und weiterverkauft wurden. Sie brachten Benzin, Zigaretten, Jeans und andere Gebrauchsgegenstände in das von Sanktionen ausgezehrte Serbien und verkauften die Ware auf dem Schwarzmarkt. Das Geschäft war gefährlich, doch es war ertragreich und katapultierte die jungen Bandenmitglieder in ein exzessives Partyleben. Später unternahmen sie Raubüberfälle.
In ihren Strukturen entspricht die Pink-Panther-Bande nicht der Mafia mit ihren gewalttätigen und allmächtigen Bossen. Es handelt sich um ein sehr dezentral organisiertes Verbrechen, eine Hydra, die sich aus einer Vielzahl einzelner Banden aus verschiedenen Regionen in Serbien und Montenegro zusammensetzt.
Insgesamt sind vermutlich 200 Menschen beteiligt, einen Boss gibt es nicht. Wie der belgische Ermittler André Notredame dem New Yorker berichtete, besteht der Kern der Organisation aus etwa 20 bis 30 erfahrenen Räubern. Erwischt werden in der Regel die kleinen Fische, die ausführenden Kräfte, die mit Planung und Organisation kaum etwas zu tun haben.
Im Dokumentarfilm „Smash and Grab“ der britischen Regisseurin Havana Marking nennt ein Pink Panther, der anonym interviewt wird, diesen inneren Kreis „Die Familie“. Deren Rolle ist es, gegen einen Anteil an der Beute Hinweise auf lukrative Ziele unter den verschiedenen Gruppen zu verteilen.
In Serbien wird das Geld gewaschen
Denn im Gegensatz zum simplen Vorgehen der Bande und der brachialen Umsetzung der Raubzüge werden diese durchaus akribisch vorbereitet. In ausgeklügelten Netzwerken hat jeder seine spezifische Aufgabe, die erst in Zusammenarbeit mit anderen zum Erfolg führt. Laut dem britischen Daily Mirror gibt es folgende Akteure in der Organisation: Die sogenannten „Birdwatchers“ recherchieren Ziele, Technikexperten kümmern sich um Alarmsysteme und Tresore, Überwachungsteams beobachten wochenlang die ins Visier genommenen Juweliere. Eine entscheidende Rolle spielen auch Vermittler, die sich vor Ort um die Organisation der Coups kümmern. Sie besorgen Pässe, Hotelzimmer, Flüge und lokale Handlanger.
Nach einem erfolgreichen Raubzug wird die Beute nach Serbien gebracht, wo das „weiße Glas“, wie die Panther die Steine nennen, aus den Schmuckstücken herausgenommen und umgeschliffen wird. So werden die Juwelen zwar kleiner und ihr Wert gemindert, doch ihre Herkunft ist nicht mehr zu ermitteln, denn Diamanten verfügen über Zertifikate, die ihre Eigenschaften protokollieren und beglaubigen. Die entscheidenden Informationen sind die vier C – Carat, Color, Clarity und Cut. Zu Deutsch: Größe, Farbe, Reinheit und Schliff.
Mithilfe von Lasertechnologie werden Unternehmenslogo und Identifikationsnummer mikroskopisch fein in die Rundiste des Steines eingearbeitet, die Stelle des Steines, die den größten Durchmesser hat.
Wird ein Stein zur Prüfung in ein sogenanntes Gemmologisches Institut gebracht, können Spezialisten diese Kennzeichnung auslesen. Die Steine aus dem Londoner Graff-Raub von 2003, die offenbar nicht oder nicht ausreichend umgeschliffen worden waren, wurden schließlich in einem Institut in New York identifiziert. Wie sich herausstellte, waren sie aus Israel dorthin verkauft worden. Mit einer neuen Identität und gefälschten Zertifikaten werden die neuen Steine also von Hehlern auf den Schmuckmarkt gebracht. Die Panther erhalten ihren Anteil am zu erwartenden Erlös innerhalb weniger Tage. Durch den An- und Verkauf von gastronomischen Betrieben und Immobilien in Serbien wird dieses Geld dann gewaschen.
Trotz der losen Struktur und des weit verzweigten Netzwerks der Bande scheint aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit eine unerschütterbare Loyalität zu bestehen, die für alle Beteiligten bindend ist. Und eines verbindet sie doch mit der Mafia: Wer von der Polizei gefasst wird, der redet nicht, wer es doch tut, hat mit dem Schlimmsten zu rechnen. Danny Boyle, der britische Regisseur, der „Trainspotting“ und „Slumdog Millionaire“ verfilmt hat, will die Geschichte der Pink Panther jetzt übrigens wieder auf die Kinoleinwand bringen.
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