- Exklusiv für Xing-Leser: Vom woken Sexwork-Märchen
Teile des linken Milieus haben eine allzu illusorische Einstellung zur Prostitution. In den sich progressiv wähnenden Kreisen sprechen viele inzwischen lieber von „Sexarbeit“, die auch selbstbestimmt sein könne. Doch viele Prostituierte haben Gewalterfahrungen gemacht, sind drogensüchtig, haben gesundheitliche Beschwerden oder hegen Selbstmordgedanken. Daher sollte man den Betroffenen wenigstens zuhören.
Das feministische Magazin Emma kürt Sascha Lobo zum „Sexist Man Alive 2022“. Die Zeitschrift begründet die Negativ-Auszeichnung mit seinem Auftritt bei der NDR-Show „deep und deutlich“. Darin habe er der Autorin und ehemaligen Prostituierten Huschke Mau ihr eigenes Leben erklärt, so der Vorwurf. Mau verließ noch während der Sendung das Studio. Weil sie gemerkt habe, „dass die in intersektionalem Feminismus gebadete Runde die Fakten gar nicht hören will“, so die Emma. Sie zeichnet Lobo „stellvertretend für diese Berliner Blase und woke Möchtegern-Meinungsmeier, die im Namen des Feminismus ,sexpositiven‘ Neusprech predigen“, aus. Zweifelhaft, ob Lobo innerhalb der Blase der würdigste Kandidat ist. In Sachen Frauenrechte hebt er sich darin allein mit seiner klaren Haltung gegen den Islamismus ab.
Was aber stimmt: Mindestens Teile dieser Bubble haben eine allzu illusorische Einstellung zur Prostitution. Betroffene wie Huschke Mau können wohl ein Lied davon singen, denn sie hat das nicht erst durch Lobo erlebt. Laut ihrem Blog ist sie 2021 auf einer Informationsveranstaltung bei der Grünen Jugend in München als Rassistin verunglimpft worden. Kurioserweise, weil sie darauf aufmerksam gemacht habe, mit welchen rassistischen Stereotypen die Frauen beworben werden. Etwa als „devote Thaifrauen“, „hemmungslose schwarze Frauen“, „tabulose, unemanzipierte Osteuropäerinnen“, usw. Sie sei migrantenfeindlich genannt worden, weil sie darauf hingewiesen habe, dass vor allem Menschen aus armen Ländern hierzulande in der Prostitution ausgebeutet werden, schreibt sie. Außerdem sei ihr abgesprochen worden, Betroffene zu sein, weil sie sich ja nicht mehr prostituiert.
„Ich stehe sprachlos vor einer linken Kultur, die vergessen hat, was strukturelle Kritik ist, was politische Analyse ist, was Kapitalismuskritik ist, und ich fühle mich entkoppelt von dieser Strömung innerhalb der Linken, die mich als Frau aus prekären Verhältnissen mit einer traumatischen Gewaltgeschichte und mit Prostitutionserfahrung, die sich ihre Bildung hart und selber erarbeiten musste, dafür fertigmacht, dass sie nicht willens ist, die Klassen- und Geschlechterfrage einer Wohlfühl- und Identitätspolitik zu opfern, die doch nichts weiter als Narzissmus und Egozentriertheit ist“, so Mau in ihrem Blog.
In den Bordellen arbeiten zum Großteil Migrantinnen
Tatsächlich sprechen in den sich progressiv wähnenden Kreisen viele inzwischen lieber von „Sexarbeit“ denn von Prostitution. Das soll den Frauen gegenüber weniger stigmatisierend sein. Ein Sexkaufverbot nach dem Vorbild des Nordischen Modells in Schweden, wie etwa Mau oder die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes es fordern, wird abgelehnt. Da würde alles in den Untergrund rutschen, und es wäre schwieriger, die Frauen zu schützen, so ein Argument. Außerdem nehme man denen, die es gerne machen, ihre Arbeit weg und stigmatisiere sie. Voll gemein gegenüber den selbstbewussten „Sexworker*innen“ also, die ja nur ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.
Die Realität ist leider weniger empowernd. Denn in den Bordellen arbeiten zum Großteil Migrantinnen, die aufgrund ökonomischer Zwänge und Perspektivlosigkeit sowie einer geringen Bildung einsteigen. Teils besteht eine emotionale Bindung zum Zuhälter, manchmal drängen sie männliche Familienangehörige dazu.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Menschenhandel: „Die deutsche Prostitutionspolitik ist gescheitert“
- Corona und Prostitution: „Es ist eine grausame Situation entstanden“
- Corona-Pandemie und Politik: Wer alles sein Corona-Süppchen kocht
- Kriminologin Britta Bannenberg: Denkmuster der Täter
- Cannabis-Freigabe der Ampel-Koalition: „Unser Weed ballert besser, you know?"
Viele Frauen prostituieren sich, um Schulden abbezahlen zu können. „Auffällig ist, dass Schulden sowohl ein Argument für den kurzfristigen Einstieg als auch für den längerfristigen Verbleib in der Prostitution sind. Offensichtlich ist in vielen Fällen die Prostitutionstätigkeit nicht das geeignete Mittel, um Schulden zu regulieren oder abzubauen“, heißt es dazu in einem Bericht des Familienministeriums aus dem Jahr 2007. Daran dürfte sich wenig geändert haben.
Ein Großteil der Frauen ist nicht krankenversichert
Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen in Kindheit und Jugend machen einen Einstieg ebenfalls wahrscheinlicher. Nach einem Bericht zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ des Bundesfamilienministeriums aus 2013 hatten 43 Prozent der befragten Prostituierten sexuellen Missbrauch in der Kindheit erlebt. „Über die Hälfte (52 Prozent) wurde von den Eltern häufig oder gelegentlich körperlich bestraft; ein relevant hoher Anteil hatte körperliche Misshandlungen durch die Erziehungspersonen erlitten.“ Diese Frauen haben früh verinnerlicht, ihren Körper als Objekt wahrzunehmen, mit dem andere ohnehin machen können, was sie wollen. In der Prostitution bekommen sie wenigstens Geld dafür. 41 Prozent der Frauen hatten auch während der Ausübung ihrer Tätigkeit sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt.
Um das alles auszuhalten, nehmen einige Drogen, werden süchtig. Andere sind überhaupt erst eingestiegen, um ihren Konsum finanzieren zu können. Das Geschäft hat für die Psyche weitere Folgen. Die Hälfte der befragten Frauen wies Symptome von Depressionen auf, ein Viertel hatte häufig oder gelegentlich Selbstmordgedanken, knapp ein Drittel litt unter Angst- und Panikattacken. Etwa jede siebte hatte in den der Untersuchung vorangegangen zwölf Monaten Selbstverletzungsabsichten. Sie hatten häufiger gesundheitliche Beschwerden im gynäkologischen und im Magen-Darm-Bereich. Essstörungen waren ebenfalls vermehrt zu verzeichnen. Ein Großteil der Frauen ist übrigens noch immer nicht krankenversichert.
So viel also zum Empowerment. Es gibt noch zahlreiche weitere Studien und Berichte von Betroffenen, die die Mär der ach-so-feministischen Sexarbeit entzaubern. Damit lassen sich Bücher füllen. Zumindest hat Huschke Mau mit „Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen“ so eines geschrieben. Vielleicht nimmt der eine oder andere Sternchen-Feminist ja doch mal seine Sexpositivity-Brille ab und das Buch zur Hand. Oder hört Betroffenen wie ihr wenigstens zu.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.