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() Martin Heidegger -- Foto um 1933.
Zwischen Kriegskunst und Philosophie

Oberst Dr. phil. Heidegger, die Liebe zum Soldatenberuf und der Nachlass des Philosophenvaters

Sein Haus steht am Eingang eines der lang gezogenen Täler im Südschwarzwald – in angemessener Entfernung von Freiburg. In Freiburg wurde sein Vater ein berühmter Mann, Martin Heidegger, zugleich bis heute umstritten. Der Sohn, Hermann Heidegger, ist seit dreißig Jahren verantwortlich für die Herausgabe der Werke des Philosophen. Mehr als siebzig Bände sind bisher erschienen, etliche davon bereits in zweiter und dritter Auflage. Mehr als hundert sollen es werden. Briefwechsel wie die mit Hannah Arendt oder – demnächst erscheinend – mit Karl Löwith gehören dazu nicht. Ihre Zahl ist noch nicht abzusehen. Das Arbeitszimmer Hermann Heideggers enthält unvermeidlich die Bände der Gesamtausgabe und all die Sammlern längst kostbaren Exemplare der Erstausgaben. Diese waren über Jahrzehnte hin in drei Verlagen herausgekommen, die dann bald als Heidegger-Verlage bekannt wurden: Niemeyer, Neske und Klostermann – in den Schutzumschlägen: mattgelb, hellrot und grau. Niemeyer hatte „Sein und Zeit“, das bedeutendste philosophische Werk seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“, Neske hatte die wichtigen „Vorträge und Aufsätze“, nachdrücklich „Dem einzigen Bruder“ gewidmet – der einzige Bruder Fritz war Volksbankvorstand im gemeinsamen Geburtsort Messkirch. Klostermann schließlich brachte nach dem Zweiten Weltkrieg die „Holzwege“ heraus. Kaum ein Philosophiestudent, dem die Titel nicht vertraut wären. Ebenfalls in diesem Raum und in hartnäckiger Nachbarschaft halten sich aber auch Bücher wie „Strategie“ von Liddell Hart, „Menschenführung“ von Marschall Montgomery und „In der Pflicht“ von Ulrich de Maizière. Bevor Hermann Heidegger von seinem Vater mit der Aufgabe betraut wurde, die Herausgabe seines schriftlichen Nachlasses durch Schüler und Enkelschüler zu überwachen, war er Oberst der Bundeswehr. Und bevor der nach dem Krieg und harten Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft zum Barras zurückfand, war er in Freiburg bei Gerhard Ritter mit einer Arbeit über „Die deutsche Sozialdemokratie und der nationale Staat“ promoviert worden. Ritters „Staatskunst und Kriegshandwerk“ bildet in dem Arbeitszimmer gleichsam den ideellen Mittelpunkt von Lebenslauf und Lebenswerk seines Bewohners. Martin Heidegger war mit den Berufsentscheidungen Hermanns nicht einverstanden. Als der nach dem Abitur Soldat werden wollte, verweigerte er dem noch nicht Volljährigen die erforderliche Zustimmung, und so musste dieser zunächst studieren. Er tat es unter anderem bei seinem Vater. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg sah der Philosoph es nicht gern, dass der Historiker wieder die Uniform anzog. Hermann Heidegger verdiente zu der Zeit sein Geld als Dorfschullehrer. Die Dozentenlaufbahn an einer Pädagogischen Hochschule stand ihm, dem Protestanten, damals in dem katholischen Land nicht offen. Zur Philosophie hatte es ihn nie gezogen. Seit der Schulzeit in Freiburg hatte er diesbezügliche Anspielungen über sich ergehen lassen müssen – respektvoll formuliert zwar, aber doch lästig. Als junger Mensch bekam er Werke Leopold von Rankes geschenkt. Die Bände besitzt er noch heute. Der Heranwachsende wurde auch mit einem lang gehüteten Geheimnis vertraut gemacht: Martin Heidegger war nicht sein leiblicher Vater. Der, Felix Caesar, war Arzt, Militärarzt im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Als Elfriede Heidegger Hermann zur Welt brachte, wich Caesar nach Flensburg aus. Doch er blieb im Bewusstsein des Jungen präsent, nachdem die Mutter ihn aufgeklärt hatte. Martin Heidegger, der von seiner Frau auch einen Sohn hatte, machte nie einen Unterschied zwischen den beiden Jungen in seinem Haus. Jörg, der leibliche Sohn, wurde Ingenieur und Berufsschullehrer. Hermann Heidegger ist erkennbar von anderem Schlag als der Philosoph. Als Knabe in der bündischen Jugend organisiert, musste er sich, nachdem diese in die HJ eingegliedert war, von seinen Eltern oft anhören, dass er nicht alles für bare Münze nehmen sollte, was er dort hörte. So viel seit 1933 und 1945 über Martin Heideggers Parteinahme für die Nationalsozialisten geschrieben worden ist – dies und was in den Jahren darauf folgte, hat Hermann Heidegger aus anderer Perspektive erlebt. Band 16 der Gesamtausgabe, von ihm herausgegeben, enthält die Schriftstücke der Rektoratszeit 1933/34. „Als Historiker“, sagt er, „sehe ich die Fehler und Fehleinschätzungen meines Vaters in den Jahren.“ Aber als derjenige, der in der Familie aufwuchs, ist ihm auch die Distanz unvergesslich, die der Vater zum Politischen hatte. Als Hermann Heidegger zur Bundeswehr ging, gehörte Martin Heidegger zu denen, die gegen eine Atombewaffnung der Deutschen protestierten. Die Bibliothek im Hause des Obersten a.D. ist erkennbar die eines Menschen, der oft umgezogen ist. Acht Umzüge brachte er hinter sich, bevor er 1975 sein Haus in Steegen bezog. Fast überall stehen Bücherschränke. In ihnen kommt es zu seltsamen, aber nachdenkenswerten Nachbarschaften. Da findet sich im weiten Wohnzimmer Dahlmanns „Politik“ in der ersten Ausgabe neben dem Buch „Meine Vision“ von Michail Gorbatschow aus dem Jahr 1989. Hannah Arendts Denktagebuch hat in der Nähe von Stendals Romanen seinen Platz gefunden, und der Klassische Philologe Wolfgang Schadewaldt – 1933 ein Gesinnungsgenosse und Begleiter Martin Heideggers auf dessen unseligsten Pfaden – prangt neben Stefan George, der damals in die Schweiz auswich. „Schicksalsfragen der Gegenwart“ hieß in den Aufbaujahren der Bundeswehr eine Schriftenreihe für die Truppe, der Hermann Heideggers Hauptarbeitskraft galt. Memoiren der Zeitzeugen und der führenden Politiker bilden an verschiedenen Plätzen des Hauses das eigenständige Rückgrat der Bibliothek, Helmut Schmidts „Weggefährten“ und Hans Speidels „Aus unserer Zeit“. Dazu die für den Berufssoldaten einschlägigen historischen Sachbücher: Oertzens „Die deutschen Freikorps“ und Höhnes SS-Studie „Der Orden unter dem Totenkopf“. Gern verweist Hermann Heidegger aber auf die Bücher, die ihn seit frühester Jugend nicht verlassen haben: Bände des „Guten Kameraden“ oder des „Neuen Universums“, auch von Hartmut Fabricius „Wild und Wildlinge“. Der Junge aus dem Schwarzwald wäre gern Förster geworden. Die Bücher von Hermann Löns fehlen in seinen Regalen nicht. Martin Heidegger hat ihn nie veranlasst, etwas von ihm zu lesen. Zur Lektüre von „Sein und Zeit“ kam es erst 1941 im Lazarett. Aber was die Handschrift des Philosophen angeht, deutsche Schrift, Sütterlin, ist er der zuverlässigste Experte für die Entzifferung, vielleicht der letzte. So liest er jetzt Buch um Buch, Manuskript um Manuskript vor der Drucklegung mit unendlicher Sorgfalt, um Fehler zu korrigieren. Die Bücher der Gesamtausgabe, die der Vittorio Klostermann Verlag in Frankfurt vertreibt, gehen in die ganze Welt, vornehmlich nach Japan, aber auch nach Südamerika und an die Universitäten der USA. Vieles aus der Gesamtausgabe wird sogleich übersetzt. Auf den Tischen der modernen Antiquariate in Deutschland sucht man die Bände vergeblich. Überhaupt ist Heidegger kein Autor, der in Antiquariaten, welchen Rangs auch immer, leicht zu finden wäre. Nicht alle sind heute für jeden leicht zu lesen. Gerade in den Vorlesungen gibt es immer wieder lange Zitate in alt-griechischer Sprache, in altgriechischer Schrift abgedruckt und – wenn überhaupt – in der Weise Heideggers übersetzt, was bedeutet, dass der hier gegebene deutsche Text eine beträchtliche Entfernung zu dem aufweist, was eine wörtliche Übersetzung anbieten würde. Hermann Heidegger hat Griechisch auf dem Freiburger Friedrich-Gymnasium gelernt. Viele Philosophiestudenten in Deutschland haben das heute nicht mehr. Auch unter den Philosophieprofessoren wird die Zahl derer größer, die nicht mehr Griechisch können. Als Martin Heidegger dem akribisch arbeitenden Obersten und Dr. phil. Hermann Heidegger die Verantwortung für seinen schriftlichen Nachlass übertrug, wusste er, was er tat. Seit damals durchdringen die Bücherwelt des Philosophen und die Lektüre des gelehrten Soldaten die Bibliothek des Pflichtmenschen mit zwei Leben in unaufhörlicher Weise. Die Arbeit ist noch nicht beendet. Jürgen Busche ist Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Die 68er“ in einer aktualisierten Taschenbuch-Ausgabe (Berlin Verlag)

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