- Flüchtling gibt Nachhilfe in Sachen Integration
Der Syrer Firas Alshater ist innerhalb kürzester Zeit zum Integrationspapst auf Youtube geworden. Auf seinem Kanal „Zukar" erklärt er, wer die Deutschen sind. Jetzt hat er für die Initiative „Youtuber Gegen Hass“ ein Video gedreht
An ihm kommt in diesen Tagen niemand vorbei: In sozialen Netzwerken, im Fernsehen, in Zeitungen – Firas Alshater ist einfach überall. Sein Video „Wer sind diese Deutschen?“ klickten innerhalb weniger Tage insgesamt über eine Million Menschen auf YouTube, Facebook und weiteren Portalen an. Das Telefon des 24-Jährigen steht seit Tagen nicht mehr still, plötzlich ist er ein gefragter Interviewpartner. „Ich hätte nie gedacht, dass es ein so großer Erfolg werden würde“, staunt Alshater noch immer. Er wirkt zufrieden, aber sichtlich erschöpft von den vielen Interviews, die er nun täglich gibt. Fast schon schockiert sei er gewesen, als auch spanische, italienische, englische und amerikanische Medien über ihn und seinen viralen Videoerfolg berichteten. In sein Staunen mischt sich Begeisterung: „Das ist doch der Hammer!“
[video:Firas Alshater: Wer sind diese Deutschen?]
Dabei sind selbstgedrehte Clips, die von YouTube aus durchs Netz und dann durch die Decke gehen, schon lange nichts Neues mehr. Auch die zentrale Idee von Alshaters Video tauchte bereits vor einem Jahr auf YouTube auf: Ein Muslim stellte sich im kanadischen Toronto mit verbundenen Augen auf die Straße, zu seinen Füßen ein Schild, das die Vorbeigehenden fragte: „Ich bin Muslim und werde oft als Terrorist bezeichnet. Ich vertraue dir. Vertraust du mir? Dann umarme mich“. Das Ziel der Aktion: Ängste bekämpfen und Feindbilder durch echten Kontakt aufbrechen. Der aus Syrien stammende Alshater nimmt sich diese Idee ganz bewusst zum Vorbild und zeigt die Szenen aus Toronto auch in seinem Clip. Was also macht sein Video so besonders? Sein Erfolgsrezept liegt in der humorvollen und selbstironischen Art, mit der er fast liebevoll über und vor allem mit „den Deutschen“ spricht.
Und sein Timing stimmt: Denn die Stimmung in Sachen Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen ist spätestens seit der Kölner Silvester-Nacht gekippt. Skepsis und Sorge treiben viele Deutsche um, wenn es um die Flüchtlingspolitik geht. Mitten in dieser Atmosphäre taucht nun Alshater auf.
Typisch Deutsch? – Die Bürokratie
Formulierungen wie „die Deutschen“ hört der aus Syrien stammende Filmstudent allerdings gar nicht gerne. „Es sind ja nicht alle Deutschen gleich“, wirft er ein, „jeder Mensch ist anders als der andere. Das gilt für Deutsche ganz genauso wie für Syrer“. Mit der Frage, was er, der seit zweieinhalb Jahren hier lebt, als typisch deutsch empfinde, kann er dann auch nicht viel anfangen. Dann fällt ihm aber doch etwas ein: die Bürokratie. „Die ist wirklich überall in Deutschland“, gibt er lächelnd zu. Aber dass alle Deutschen Bier und Schweinebraten mit Sauerkraut lieben und immer pünktlich sind, hält er für ein Klischee.
Im vergangenen Jahr war jedoch das öffentliche Bild der deutschen Gesellschaft alles andere als differenziert: „Überall war von Pegida und Ausländerfeindlichkeit die Rede“, erinnert sich Alshater. Auf der anderen Seite hatte die „Refugees Welcome“-Welle gerade ihren Höhepunkt erreicht. „Da wollte ich einfach wissen, wie die Deutschen denn nun sind.“ Also stellte er sich auf den Alexanderplatz, genau vor die Weltzeituhr, mit verbundenen Augen, vor sich ein Schild mit den Worten „Ich bin syrischer Flüchtling. Ich vertraue dir – vertraust du mir?“ Freunde von ihm filmten das Ganze. Und dann wartete Alshater. Ziemlich lange. Denn bis sich tatsächlich die ersten Passanten auf das Experiment einließen und ihn umarmten, dauerte es. „Ich habe die ganze Zeit meine Arme hochgehalten, das war schon ein bisschen anstrengend, so auf die Dauer“, erzählt er heute lachend.
Neun Monate in syrischen Gefängnissen
Firas Alshater lacht überhaupt ziemlich viel. Er tritt – nicht nur in seinem Video – mit einer Unbekümmertheit auf, die umso mehr überrascht, wenn man um seine Vergangenheit weiß: Als 2011 in Syrien die Demonstrationen gegen das Regime in Damaskus begannen, war er ganz vorne dabei. Schon damals griff er zur Kamera und dokumentierte das Geschehen, half westlichen Journalisten bei Recherchen in Syrien. Sein oppositioneller Aktivismus hatte Folgen: Neun Monate verbrachte er insgesamt in syrischen Gefängnissen, wurde gefoltert. Auch in islamistische Gefangenschaft geriet er.
Vor zweieinhalb Jahren floh er dann nach Deutschland und beantragte erfolgreich Asyl. Durch ein Praktikum in einer Berliner Produktionsfirma wurde aus seiner Leidenschaft für das Filmen eine berufliche Perspektive – und er fand Freunde im Team der Firma. Die entwickelten zusammen mit ihm schließlich die Idee, aus seinem ersten Video den Pilotfilm zu einer ganzen Serie zu machen: Unter dem Titel „Zukar“, Arabisch für Zucker, sollen nun zehn Episoden entstehen, in denen Alshater aus seiner Perspektive über das Leben in Deutschland, über Integration und das Zusammenleben der vielen verschiedenen Menschen in diesem Land berichten wird.
Warum er ausgerechnet den Titel „Zukar“ gewählt hat? „Das ist ganz einfach“, erklärt Alshater, mal wieder lächelnd: „Jeder Mensch versteht dieses Wort, egal welche Sprache er spricht. Und Zucker ist süß, Zucker schmeckt – jeder Mensch mag Zucker!“ So viel Verallgemeinerung ist dann doch erlaubt.
„Man kann wirklich alles hassen“
Doch Alshater beschränkt sich nicht nur auf seine „Zukar“-Serie, gerade erst veröffentlichte er einen kurzen Clip in Zusammenarbeit mit der Initiative „Youtuber Gegen Hass“. Unter dem Titel „Ich habe nichts gegen Katzen, aber…“ nimmt Alshater die um sich greifende Argumentationsweise all derer auseinander, die sich mit einem „aber“ von Pauschalisierungen freisprechen möchten, um genau jene im folgenden Satz zu begehen. Er habe ja nichts gegen Katzen, erklärt der Syrer mit betont betroffener Miene, aber sie nähmen ihm nun einmal seinen Job weg – und bekämen viel mehr Klicks auf Youtube als er selbst. Er habe wirklich nichts gegen Katzen, aber es gebe durchaus auch schlechte Erfahrungen mit ihnen. In den Nachrichten höre man darüber aber nichts, fügt Alshater mit wissendem Blick hinzu. Das kurze Video beendet er mit einem simplen und gleichsam wichtigen Fazit: „Wenn man sich anstrengt, kann man wirklich alles hassen. Aber das muss man nicht.“
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.