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Tal Peer

Künstlerin Yehudit Sasportas - Flucht vor der Routine

Die israelische Künstlerin Yehudit Sasportas flieht vor der Routine. Akribisch versucht sie, Unbewusstes aufzudecken. Auch der Betrachter ihrer Kunst muss sich mit Ungewöhnlichem auseinandersetzen und erlebt radikale Sinneseindrücke

Autoreninfo

Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Yehudit Sasportas steht in einem pechschwarzen Ausstellungsraum. Die Dunkelheit verleiht ihrer Kunst mehr Ausstrahlungskraft. Auf der Wand hinter ihr im Israel Museum in Jerusalem läuft ihr Video. Schwarz-weiße Bäume sind zu sehen, sie rascheln und werfen Licht in den Raum. Direkt auf Sasportas. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Sasportas jedoch schaut streng geradeaus, während sie über ihre Kunst spricht und übersieht die Silhouetten der Museumsbesucher.  

Ein Großteil der Zuschauer starrt Sasportas voll Bewunderung an. Ihre wachen, mandelbraunen Augen, die hohen Wagenknochen, die schön geschwungenen Hüften. Ein eintöniger meditativer Rhythmus spielt im Hintergrund. „Das gleichmäßige Geräusch sind die Herzschläge meiner Familienmitglieder“, sagt die junge Künstlerin, „ich habe sie fünfzehn Jahre lang aufgenommen. Ohne, dass sie davon wussten.“ Jetzt starren die Zuhörer betreten auf den Boden. Keiner traut sich, etwas zu erwidern. Sasportas genießt die allgemeine Verwirrung und das Unbehagen.

Sie suche stets nach Seltsamem, sagt sie, um ihre Routine zu durchbrechen. Genau das soll ihre Kunst auch in anderen auslösen. Vor allem eines habe ihr dabei geholfen diesem Impuls zu folgen: Die Fremde und die Einsamkeit auf die sie in Berlin stieß.

“Berlin war für mich nie ein physisches Zuhause“
 

Sasportas ist weltweit eine der berühmtesten israelischen Künstlerinnen. 1969 ist sie in Ashdod, einem kleinen Ort bei Tel Aviv, zur Welt gekommen. Als Kind verbrachte sie jede Woche einige Stunden in der Schreinerei ihres Vaters. Dort hat sie Kunst für sich entdeckt. Ihre frühen Werke sind hauptsächlich Skulpturen, die Objekten aus der Schreinerei ähneln. Studiert hat sie später an der Universität in Bezalel in Jerusalem, an der sie seit 1994 auch unterrichtet. 2003 ist Sasportas für ein Stipendium in das Künstlerhaus Bethanien nach Berlin gezogen. "Ursprünglich wollte ich nur das eine Jahr bleiben", sagt Sasportas. Aus einem Jahr wurden zehn. Heute lebt die Künstlerin zwischen Berlin und Tel Aviv.

Auch nach Berlin kam Sasportas, um vor der Routine zu fliehen. Dort traf sie auf Einsamkeit, die sie dazu bewegte, Ungewöhnliches aufzusuchen. “Berlin war für mich nie ein physisches Zuhause“, erklärt Sasportas. Weder ihre Sprache oder ihr Klima, noch ihre Familie, waren dort. Sie begann bereits nach kurzer Zeit, eine innere Leere zu spüren, trotz vieler Aufträge und der Empfänglichkeit für ihre Kunst. Zunächst versuchte sie mit Meditation dagegen anzukämpfen. Dann begann sie ihre Einsamkeit zu erkunden, sie führte sie an den Rand von Deutschland.

Während einer Zugfahrt nach Leipzig saß Sasportas neben einer Frau, die ihr eine Fotoaufnahme des Restmoor Dreesberg bei Oldenburg zeigte. Als sie das Bild sah, war ihr klar: dort muss sie hin. Innerhalb von sieben Jahren besuchte die Künstlerin alle paar Monate das Moorgebiet. Jedes Mal nahm sie ein Taxi zum Rande des Moors. Jedes Mal fragte sie der Fahrer, ob sie denn wirklich so weit fahren wolle.

Im Moorgebiet setzte sie sich in ein Kanu. „Ich fühlte mich wie auf dem Boot des Fährmann Charon, der in die Unterwelt fährt“, erzählt sie. Es war totenstill. Nur wenige Tiere überleben hier, durch den Säuregehalt werden Tote aber über Jahre konserviert. Sasportas filmte, fotografierte und nahm auf. Als ein Rascheln die Stille brach, zwang sie sich dem Klang zu folgen. Sie fuhr mit der Hand über die Sumpfoberfläche, spürte eine Bewegung und griff ins Leere. Dann fuhr die Künstlerin weiter, ihrer Angst hinterher. Sie durfte aber nie zu weit fahren, um nicht im Sumpf stecken zu bleiben. „Ich verbrachte dort immer vier, fünf Stunden, ohne mich zu unterhalten. Es war, als ob die Zeit stehen blieb.“ Ihr künstlerisches Schaffen während der Zeit in Deutschland baut auf dem Moor auf. Es inspirierte sie sowohl zu Skulpturen, sie baute Charons Boot nach, als auch zu Fotos, Videos und zur Malerei.

Sasportas vertritt einen driftenden Realismus. Die Bäume und Wälder in ihren Werken sind real, die Dimensionen entsprechen fotografischer Korrektheit. Die Wurzeln einiger Bäume führen aber ins nirgendwo. Der Betrachter fühlt sich im Gestrüpp verloren. Diese Beklommenheit überkommt den Zuschauer in ihren Videos noch stärker.

Sie nahm Geräusche auf, die das menschliche Ohr nicht hören kann

 

Ihr Film The Light Workers besteht aus über 100 Bildern. Dafür hat sie hypersensitive Mikrophone im Inneren einiger Bäume im Schwarzwald angebracht. Sie nehmen Geräusche auf, die das menschliche Ohr nicht hören kann. Wie zum Beispiel die Schritte einer Ameise oder leise knisternde Blätter. „Ich habe mir die Aufnahmen stundenlang angehört“, erzählt Sasportas. Der Zuschauer soll nicht nur hören, was tief unter der Oberfläche des Baumstamms vor sich geht. In dem Film erscheinen Farbfilter, die das Innere der Bäume nach außen kehren. Das Video ermöglicht dem Betrachter übermenschliche Sinneseindrücke. Je länger er das Werk anschaut, desto unwohler wird ihm. Sasportas will Menschen aus ihren gewohnten Wahrnehmungsformen reißen.

Offensichtliches Infragestellen ist auch etwas, dass sie ihren Studenten in Bezalel mit auf den Weg gibt. „Die ersten beiden Jahre bei mir an der Uni sind eine psychische Detox-Kur“, sagt Sasportas. Ich fordere meine Schüler auf, sich von der Schein-Identität, die sie aufgebaut haben, zu befreien. „Jeder Künstler muss sich und sein Werk von außen betrachten können und radikal in der eigenen Tiefe graben“, meint Sasportas. Das gehe nur, wenn man eine enorme Distanz zu sich schafft.

Ihre Zeit in Berlin hat Sasportas zu der gemacht, die sie ist. Zu einer Frau, die durch ihre Kunst Menschen aus der Reserve lockt. Die Besuchergruppe des Israel Museum taut auch langsam auf. Sie stellen Sasportas präzise Fragen. „Wieso haben sie ihre Familie aufgenommen?“, fragt ein junger Mann. Sasportas erzählt, sie wollte damals ihre Familie aufnehmen, um sich vor dem Alleinsein zu schützen. Heute wisse sie, dass es lohnender ist, Einsamkeit zu erforschen: „Durch meine Erfahrungen in Deutschland ist Berlin mein methaphysiches Zuhause geworden, aus dem ich endlos Kunst schöpfe.“

 

 

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