- Wenn Bücher glücklich machen
Seit Jahrzehnten verkauft der Berliner Galerist Max Hetzler Kunst für sechs- und siebenstellige Summen. Aber wenn es darauf ankommt, tut es auch ein Ausstellungskatalog für 40 Euro. Zu Besuch bei einem der leidenschaftlichsten Kunstbuchsammler Deutschlands
Vor kurzem war Max Hetzler wieder einMal geschäftlich in New York. Und es kann kein Zweifel bestehen, dass die Reise erfolgreich verlief, zumindest auf persönlicher Ebene. Zum einen fügte es sich, dass die Galerie Paula Cooper, ein Fixpunkt der New Yorker Kunstszene, gerade eine Ausstellung mit den Architekturfriesen von Roy Lichtenstein zeigte. „Da musste ich mir natürlich den Katalog kaufen, denn diese Friese sind sehr selten zu sehen“, sagt Hetzler und nimmt ein circa vier Kilo schweres Buch vom Stapel der noch nicht registrierten Neuzugänge. Zum anderen schaffte er es während seines Aufenthalts mit etwas Glück auch noch in die große Willem-de-Kooning-Retrospektive im MoMA, die er auf keinen Fall verpassen wollte. Auch den Katalog hat er „natürlich“ mitgenommen. Obwohl es korrekter formuliert „die Kataloge“ heißen müsste. Es gab nämlich in der Buchhandlung des Museums zwei unterschiedliche Exemplare, eines broschiert, eines gebunden. Was macht man bloß in einer solchen Situation? „Man kauft alle beide!“ Und für einen Moment scheint Max Hetzler, einer der angesehensten und einflussreichsten Galeristen Deutschlands, als sei er eins mit sich und seiner Umwelt.
Es ist schon merkwürdig: Seit Jahrzehnten verkauft der Mann nun schon Kunst im hohen fünf-, sechs- und siebenstelligen Bereich; die Galerie, die er zusammen mit der Pariser Galeristin Samia Saouma – seiner Ehefrau – im Berliner Wedding führt, ist so groß, dass man sie auch für eine staatliche Kunsthalle halten könnte. Aber wenn es darauf ankommt, dann tut es auch ein Buch für 40 Euro. Und da das noch nie anders war, ist hier derweil so einiges zusammengekommen. In der Charlottenburger Wohnung der Familie erstreckt sich seine private Bibliothek über zwei Etagen. Unten sind die Kunstbände, oben die Werke zur Architektur, seiner zweiten Leidenschaft, sowie die Belletristik. Macht insgesamt grob geschätzt 20000 Bücher.
Wir stehen bei den Kunstbüchern, und es ist tatsächlich nicht mehr viel Platz an den Wänden. Im Raum befinden sich ein Sofa und ein paar Sessel, in einer Ecke ist ein kleiner, reizender Arbeitsplatz eingerichtet mit Möbeln des Ingenieurs und Designers Jean Prouvé, am Boden liegt ein Teppich des Malers Albert Oehlen, einem Künstler der Galerie. Ansonsten sieht man hier nur Bücher, viele, viele Bücher in einfachen, robusten Stahlregalen, die an den industrial chic der achtziger Jahre erinnern. Doch Max Hetzler, der gebürtige Schwabe, stapelt erst einmal tief, nicht die unsympathischste Eigenschaft von Menschen aus dem Südwesten. „Was Sie hier sehen, hat eigentlich keine Systematik. Ich erhebe weder wissenschaftlichen Anspruch noch Anspruch auf Vollständigkeit.“ Bücher, sagt Max Hetzler, habe er immer nur als Ausstellungsgänger und Amateur gekauft, geleitet von nichts anderem als seinem eigenen Interesse. Nur dass er eben mehr Ausstellungen gesehen hat als die meisten anderen.
Also kreist der Kernbestand um die Galerie und die Kunst der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Sicher, von manchen Künstlern habe er schon fast alles, das jemals irgendwo erschienen ist, gibt er zu. Joseph Beuys ist so ein Fall, Martin Kippenberger, dessen Porträt von Hetzler (mit Cowboyhut) im Nebenraum hängt, ein anderer. Er besitzt reiche Bestände zu Polke und Baselitz. Einmal, in den frühen achtziger Jahren, hatte er Gelegenheit, eine Ausstellung mit dem Maler Gerhard Richter zu machen. Die Folge: gut ein Meter Richter-Literatur.
Die ersten Bücher waren documenta-Kataloge...
Gegründet hat Max Hetzler seine Galerie 1974 in Stuttgart, da war er gerade mal Mitte 20. Einer der ersten Kataloge, die er erstand, war jener der legendären Documenta V von Harald Szeemann. Ein Wälzer mit leuchtend orangefarbigem Buchrücken und monumentalen Dimensionen, Gewicht circa sieben Kilo. 1982 zog er dann mit seiner Galerie von Stuttgart nach Köln, seinerzeit das unbestrittene Kunstzentrum Deutschlands. Ab da ging es nicht nur mit seinen Geschäften, sondern auch mit seiner Bibliothek steil bergauf.
Es war die Prä-Amazon-Zeit, das heißt, man kaufte Bücher noch in Buchhandlungen. Und da war Köln mit Walther König und der Literaturhandlung Bittner der richtige Ort. Dazu kam, wohl nicht zufällig, dass er ein paar Künstler gefunden hatte, die wie er ein spezielles Faible für Bücher und fürs Büchermachen teilten. „Albert Oehlen und Werner Büttner waren eigentlich ständig am Lesen“, erzählt Hetzler, „die konnte man verlässlich in Buchläden antreffen.“ Und so schloss der Galerist jeden Tag seine Galerie über Mittag für zwei Stunden ab („heute wäre das undenkbar“) und ging zu Walther König, wo seine Kumpel schon auf ihn warteten. Später riefen Oehlen und Büttner sogar ihren eigenen kleinen Verlag ins Leben, den Meter-Verlag. „Die zwei hatten sich vorgenommen, einen Regalmeter mit selbst verlegten Büchern zu füllen. Das ist ihnen auch fast gelungen.“ Hetzler lacht und deutet auf ein ungefähr 90 Zentimeter breites Regalfach neben der Tür.
Eine weitere Inspirationsquelle für den Büchersammler Hetzler bot der Umstand, dass es im Rheinland zu der Zeit eine ganze Reihe von bedeutenden privaten Bibliotheken gab. Zum Beispiel die des Arztes Rainer Speck, des Galeristen Michael Werner oder besagtem Walther König. „Die kannte ich nur vom Hörensagen, aber sie waren mir trotzdem eine große Anregung.“ In Köln freundete er sich auch mit dem Architekten Oswald Mathias Ungers an, der eine umfassende Sammlung zur Baukunst besaß, auch das färbte erheblich auf ihn ab. „Und in diesem Umfeld“, sagt Hetzler, „wächst das dann halt.“
Dabei ging es ihm nie um die typischen Kategorien wie Seltenheit und materieller Wert. Einige rare Exemplare besitzt er dennoch. Er tritt an ein Regal und zieht den Katalog der Warhol-Ausstellung heraus, die Pontus Hultén 1968 im Moderna Museet in Stockholm organisierte – die erste Warhol-Retrospektive in einem Museum weltweit. „Ein wunderschönes Buch“, sagt er und schlägt beinahe zärtlich ein paar Seiten um. Besondere Lieblinge sind für ihn auch Kunstbücher der sechziger Jahre aus amerikanischen Verlagen, die inzwischen selbstverständlich alle vergriffen sind. Etwa der historische De-Kooning-Katalog mit einem Text des Großkritikers Harold Rosenberg, erschienen in der New Yorker Graphic Society. Oder ein Band über den Maler Hans Hofmann, den Lehrer der Abstrakten Expressionisten aus dem Verlag Abrams.
Weil er schon immer die Nase vorn hatte, brach er Anfang der neunziger Jahre seine Zelte in Köln ab und ging nach Berlin, lange bevor die große Künstlerwanderung in die Hauptstadt einsetzte. Für den Galeristen hat sich dieser Schritt ausgezahlt, für den Bücherkäufer in ihm bedeutete es allerdings zunächst einen Rückschritt. „Doch inzwischen herrscht auch hier an Kaufgelegenheiten kein Mangel“, sagt Max Hetzler. Und wirkt dabei wie jemand, dem man soeben eine große Freude bereitet hat.
Ulrich Clewing schreibt nach vielen Jahren als Redakteur beim deutschen Architectural Digest wieder frei über Kunst und Design. Er lebt in Berlin
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