Teutsche Flachware
Der neue Hunger nach Bildern lässt die Künstler der "Young German Art" zu suggestiven Sujets greifen – und verführt häufig zum banalen Recycling deutscher Diktaturgeschichte.
Wer in die Ateliers deutscher Malerhoffnungen tritt, wird überrascht sein – über die Abwesenheit der Kunst. Die Standardfrage nach neuesten Bildern, früher Auslöser weit greifender Werkpräsentationen, erntet derzeit ein pragmatisches Achselzucken, mal cool-beiläufig vorgebracht, mal strotzend vor Künstlerglück. Die wortlose Gestik will sagen: Es sind schlicht keine Bilder mehr da; alles verkauft oder auf dem Wege zu Ausstellungstourneen und Galeristendepots.
In dieser Inszenierung führt kein neuer Bohèmekult Regie. Die Pressionskraft eines überhitzten Kunstmarktes verdeutlicht sich nicht nur an den Kontoständen der Künstler der Premium League. Mittlerweile werden selbst für B-Namen des „deutschen Malerwunders“ Wartelisten für noch nicht gemalte Bilder geführt. Potente Sammler stürmen in VIP-Scharen die Klein- und Satellitenmessen, wo Käufer, fern der großen Auktionen und Leitevents, auf lukrative Angebote und trendsetzende Entdeckungen hoffen. Zuletzt meldete das „Art Forum“ in Berlin seine Rekordzuwächse in einem Kauderwelsch euphorischer Selbstfeier, das die erstaunten Journalisten bislang nur von den eitlen Verlautbarungen der Automobilindustrie kannten.
Die Sogkraft des Kunstmarktes sorgt für Verwirrung in den Diskursen, die nach Erklärungen für den „Hype“ um die Kunst der deutschen „Babyboomer“ suchen. Zweifellos basiert der Erfolg zeitgenössischer figurativer Malerei auf einem Hunger nach einfachen Bildern in einer komplexer gewordenen Welt. Einem Hunger, der durch flackernde Videos und jargonumschwirbelte Meta-Debatten in den neunziger Jahren nicht gestillt werden konnte. Soziologisch auffällig ist dieser bildnerische Jo-Jo-Effekt bei der nach historischer Selbstverortung suchenden Generation der heute 30- bis 45-Jährigen, die paradoxerweise trotz gewaltiger Erbmasse wenig Gestaltungsmacht findet.
Was der röhrende Hirsch für die Nazizeit war, was als politisch korrekt galt an der häuslichen Symbolwand in der geteilten Nachkriegszeit – mit ihren abstrakten Weltkunst-Kompositionen im Westen und den Genreszenen eines zunehmend entkanonisierten „Sozialistischen Realismus“ im Osten –, das sind für die heute in die mittleren Jahre gekommenen Akteure der „Generation Golf“ die Bildercodes der eigenen Generation. Sie liefern ihren Käufern in figürlicher Manier Stellvertreter-Symbolisierungen eines Lebensgefühls, für das ein Rezensent eine schöne Formulierung fand – „schlaff im Schlaraffenland“. Diese Generation, so Gerd Harry Lybke, Inhaber der führenden Galerie „Eigen+Art“ in Leipzig und Berlin, stellt schon „mehr als zwei Drittel der Käufer“. Tilo Baumgärtel, Jahrgang 1973, Maler und einer der Protagonisten der vom Kunstmarkt besonders umschmeichelten „Neuen Leipziger Schule“, sieht den mentalen Zusammenhang seiner Community im geschärften Bewusstsein einer prekären Situation, aus der es ein Entkommen nicht zu geben scheint. „Wir hätten gerne einen Feind, gegen den wir anrennen können“, so Baumgärtel, „aber wir haben keinen.“
Kein Antipode, nirgends. Dieses Statement verdeutlicht den Unterschied zur auch künstlerisch geteilten Nachkriegszeit, in der Maler wie Georg Baselitz, Gerhard Richter oder Sigmar Polke zu Exponenten einer international anerkannten „German Art“ wurden. Hatte sich das Profil der vorherigen Generationen vornehmlich an polaren Interessenlagen geschärft, so fehlen den Jungen heute identitätsstiftende Aktionsziele und Bindungskräfte. Für die „skeptische Generation“ der Flakhelfer und Davongekommenen war es der erlebte Krieg, welcher die Malhand führte. Und für die rebellierenden 68er stellte das erstarrte Establishment einer „bleiernen Zeit“ die Zielscheiben für Performance-Attacken und heftige Pinselschläge bereit.
Nichts davon bei den Jungen. Mit auftrumpfender Beiläufigkeit setzt sich deren Produktion von den integrativen Sehnsüchten ihrer Vorgänger ab. Das Gefühl eigener Geschichtslosigkeit kann aber auch zum Schattenboxen mit der Historie werden. Jene Selbsterfahrung verführt manche der Maler zu einem fatalen Reflex – der Übernahme historischer Bildmotive mit vermeintlicher Provo-Qualität in das eigene Zeichenvokabular. Die „Implosion der Codes“ (Elke Buhr) äußert sich in einer verstärkten Hinwendung zum Personal der beiden deutschen Diktaturen.
Prominente Nazis zeigen ungeniert ihre Epauletten vor. Albert Speer fährt Ski, Hermann Göring geht spazieren, Adolf Hitler geriert sich als jovialer Grüßonkel. Blondbezopfte BDM-Mädel räkeln ihre Körper nach den Schnittmusterbögen früherer Leni-Riefenstahl-Filme, und aus dem kollektiven Psychodrill paramilitärischer „Erziehung“ entsteht eine heile Welt homoerotisch aufgeladener Bukolie. Selbst die Symbole, welche das Grundgesetz den in Deutschland längst wieder marschierenden Rechten aus guten Gründen vorenthält, erscheinen als salonfähiges Kunstmarktprodukt. Ein Hakenkreuz ist ein Hakenkreuz ist ein Hakenkreuz will uns etwa der Newcomer Florian Süssmayr sagen. In diesem Jahr stellte er – ausgerechnet in der „Ehrenhalle“ im Münchner Haus der Kunst, in der Adolf Hitler seinen großdeutschen Kunstkanon implementierte – Gemälde aus, die Hakenkreuzschmierereien und SS-Runen auf Bierdeckeln zeigten. Und der Dresdner Künstler Hirschvogel versucht sich ungeniert in dekorativ-grafischen Modifikationen des rollenden Hakenkreuzes, welches einst als Symbol der 5.SS-Panzerdivision „Wiking“ diente.
Natürlich gibt es für die Verwendung des Diktaturmülls legitimatorische Erklärungsstereotype. In Zeiten einer „neuen Romantik“ blüht die Ironie – zumindest in der Prosa der Beipackzettel. Die Kommentartexte verweisen denn auch auf die kalkulierte Provokation. Doch es fällt schwer, etwa an den idealisierten HJ- und FDJ-Truppen des Berliner Malers Norbert Bisky ein distanziertes Gestaltungsprinzip auszumachen. Was an Biskys topmodischen Bildern, die beim FDP-Chef Guido Westerwelle kameralike im Wohnzimmer hängen, ironisch sein soll, steht wohl allein hinter den Stirnen jener gestählten Muskelsportler geschrieben, die in zahllosen Variationen die Körperlichkeit der militanten Männergesellschaften in Erinnerung rufen. Auf den inzwischen mit fünfstelligen Preisen gehandelten Werken heben die wachsblonden Diktaturjünger mit stahlblauem Blick wahlweise den Arm zum „deutschen Gruß“ oder das Gewehr zum finalen Anschlag. Als bei einer überfüllten Vernissage sein Gemälde „Morgen tanzt die ganze Welt“ kurzzeitig von der Wand kam, wies eine Reporterin den Maler auf die Tatsache hin, dass ausgerechnet das Bild, auf dem ein Junge den Arm zum Hitlergruß hebe, heruntergefallen sei. Biskys veröffentlichter Kommentar war grandios und gänzlich unironisch: Der ausgestreckte Arm, so der Sohn des langjährigen PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky, sei kein Nazisymbol, er „könne genauso gut nach hinten zeigen“ und „verlängere sich eben in der Diagonalen“.
Alles eine Frage des Blickwinkels? Dabei war die Hinwendung zu Akteuren und Motiven des Nationalsozialismus und der SED-Diktatur anfangs innovativ. Schon als Kontrastprogramm zum Mentalitätsterror einer alles versöhnen wollenden Ostalgie, in deren Zuge sich die schrecklichen Seiten beider Diktaturen zu alltagstauglichen Mitbringseln der Geschichte mauserten. Als sich Künstler wie der Belgier Luc Tuymans und der Leipziger Neo Rauch ab Mitte der neunziger Jahre mit der Welt der untergegangenen Imperien beschäftigten, waren das singuläre Tiefenbohrungen, jenseits eines marktgängigen Deutsch-Appeals, die gerade deshalb verdrängte Geschichte auf die Leinwände brachten. Rauchs bildnerische Mikrokosmen zeigten den Irrsinn der kommunistischen Kollektivierung in stark abstrahierenden Milieustudien. Tuymans Porträts ließen NS-Größen wie Heinrich Himmler schemenhaft als Gespenster der Geschichte erscheinen. Mit den plakativen NS-Sujets, die Gottfried Helnwein jüngst in großen Ausstellungen in Oberhausen und Hannover vorzeigte, hat dies nichts zu tun. Beim Österreicher dominiert der auf die breite Öffentlichkeit des Boulevards zielende Marketing-Schock. Wenn Helnwein in hyperrealistischer Manier eine SS-Kohorte bei der Betrachtung des Jesusknaben malt oder die Besucher der Los Angeles Art Show 2003 mit einer sechs mal achtzehn Meter großen Fotoarbeit anlockte, die ein vorpubertäres Mädchen als Wiedergängerin Ophelias in Uniform zeigt, dann führt kein historischer Hintersinn die Dramaturgie des Geschehens. Es ist kein Geheimnis, dass am Boom der teutschen Flachware auch Marktinteressen beteiligt sind. Das ikonografische Arsenal deutscher Geschichte ist zu einem „Alleinstellungsmerkmal“ in einem heiß umkämpften Markt geworden. Amerika will „Germanness“, also sollen die Bilder zeigen, woher sie stammen; selbst wenn dabei die Gefahr wächst, dass die Werke „nur zu gern übers quietschbunte Schundniveau schlittern“, wie der Spiegel schrieb.
Am bunt-fröhlichen Recycling arbeiten aber auch Künstler, welche in den Diskursen und auf den Messen eher abseits stehen. Als die Freiburger Malerin Irene von Neuendorff vor wenigen Jahren ihr „Hitler-Projekt“ startete, in dem der große Diktator in zwanzigfacher Gestalt auf die Leinwand kam – einmal im maßgeschneiderten Abendanzug, das andere Mal mit Uniform und Hakenkreuzbinde –, musste gar die alles umspannende Popkultur als Erklärung für die Verwirrung der historischen Sinne herhalten. „Hitler“, so Neuendorff, sei „der erste Popstar der Geschichte“ gewesen. Eine Begründung, mit der man auch Jesus von Nazareth, Caesar und Nikita Chruschtschow zum Personal einer seriellen Posterproduktion hätte machen können. Als Anfang der neunziger Jahre ein Mobilfunkunternehmen mit der zynischen NS-Parole „Jedem das Seine“ auf Großplakaten um neue Kunden warb, machte die Suche nach dem schuldigen Werbetexter ein Wissensdefizit deutlich, das damals als politisch unkorrekt galt. Die Agentur verteidigte sich mit dem Argument, dass keiner der Kreativen den nationalsozialistischen Kontext dieser Losung gekannt hätte. Es ist zu befürchten, dass diese Schutzbehauptung auch in der Kunstszene Karriere macht.
Paul Kaiser ist Kultur- und Kunstwissenschaftler und Journalist. Er lebt in Dresden
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