Illustration Stefan aus dem Siepen als Flaneur mit Zylinder und Spazierstock
„Vielleicht werden künftige Generationen unsere Epoche als die der kleinen moralischen Häppchen bezeichnen.“

Der Flaneur - Von der Rettung des Planeten

Wir alle lieben moralische Symbolhandlungen. Ich zum Beispiel habe die Gewohnheit, beim Zähneputzen mit hingebungsvoller Gründlichkeit die letzten Reste aus der Zahnpastatube herauszudrücken. Aber retten wir damit den Planeten?

Stefan aus dem Siepen

Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

So erreichen Sie Stefan aus dem Siepen:

Letztens bei einer Dienstreise nach Brüssel. In der Eingangshalle eines Gebäudes der Europäischen Kommission sehe ich ein Schild: „For your health and the planet: Take the stairs.“ Ich habe einen Termin im fünften Stock, und die Treppe zu benutzen, mit Mantel und Aktentasche, scheint mir ein zu großes Opfer, selbst für die Erde – also steige ich in den Aufzug. Während ich in die Höhe schwebe, grübele ich über den Spruch nach, und beim Aussteigen habe ich mir zwei konträre Deutungen zurechtgelegt. Erstens: Die Menschen haben es aufgegeben, im Großen etwas bewirken zu wollen, sie suchen ihr Heil im Kleinen, auf Graswurzelniveau. Die Politik hat ihren Kredit verspielt, denn sie bringt nichts zustande, also werden die Bürger selbst aktiv. Dabei sichern sie sich, listig wie sie sind, gleich noch einen Vorteil. Das Keuchen im Treppenhaus verhindert den Herzinfarkt.

Moralische Symbolhandlungen

Zweitens, weniger freundlich: Welche Naivität! Glaubt wirklich jemand, der Planet könne gerettet werden, wenn ein paar mehr Menschen die Treppe benutzen? So billig ist es nicht zu haben! Erst richtet der hybride und ichversessene Mensch den Planeten zugrunde, dann gibt ihm dieselbe Hybris, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, die Idee ein, er könne auf lässige Weise, einfach durch Treppensteigen, den Planeten auch wieder retten. Kleiner Mann ganz groß!

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Wolfgang Seifert | Mi., 19. Dezember 2018 - 21:42

Schon vor Jahrzehnten hat der "Club of Rome" die vielen Menschen, die auf diesem Planeten leben, als Hauptproblem für das Klima etc. angesehen. Ich meine damals die Zahl 60 Millionen gelesen zu haben, die wir sein dürften, ohne dass die Erde Schaden nimmt. Wer will jedem Chinesen, Inder oder Afrikaner verwehren ein Auto zu haben, ein Haus mit Heizung und Kühlung - je nach dem - und natürlich zweimal im Jahr mit dem Flieger oder Kreuzfahrtschiff in den Urlaub zu fahren.

Nur "weniger Mensch" kann da halfen. Wir wären auf dem besten Weg dahin - sind ein aussterbendes Volk (Zitat Angela M.)- obgleich wir aktuell noch mit das dicht besiedelste Land dieses Planeten sind. Es kann also selbst bei uns noch dauern. Tatsache ist, dass "Mensch" eine vorübergehende Krankheit der Erde ist. Sie wird es überleben - wir nicht.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 1. Februar 2019 - 18:12

Sehr schön den Widersinn und die Widersprüche des alltäglichen Lebens überspitzt dargestellt. Der Mensch hat sich beim Retten der Erde ins Hamsterrad begeben. Man kommt vom Hölzchen, aufs Stöckchen, zum Zahnstocher und dann?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn Menschen wieder dazu erzogen werden, ihren eigenen Müll aus dem Wald und Feld mit nach Hause zu nehmen und zu entsorgen. Die gesamte Verpackungsideologie müsste neu überdacht werden. Veränderungen finden bei jedem selbst statt. Das Bewusstsein ist vorhanden, aber individuell legt jeder dann doch für sich sein umweltbewusstes Verhalten fest. Wir rauben dem Planeten die Resourcen und stellen im Gegenzug inzwischen Produkte her, deren Haltbarkeit technisch bereits festgelegt ist. Es ist verpönt Gegenstände zu erzeugen, die eine lange Haltbarkeitsdauer haben. Es muss nach einer vorbestimmten Zeit defekt und nicht reparabel sein, nur dann wird neu gekauft, die Wirtschaft angeschoben, die Arbeitsplätze gesichert. Ein Hamsterrad eben.

Brigitte Simon | Fr., 1. Februar 2019 - 23:10

Ich nehme an, Herr Seifert, die Zahl 60 Millionen wurde von Ihnen dem Club of Rome,dem Buch "Die Grenzen des Wachstums" entnommen. Dieser Bericht stammt aus dem Jahr 1980.
Heute, im Jahr 2019, bevölkern ca 7.6 Milliarden
Menschen die Erde.
Bis Ende des Jahrhunderts rechnet man mit ca.20 Milliarden Menschen. Die katholische Kir-
che ist gefordert mit einem JA zur Abtreibung,
und wie Sie zu Recht schreiben, Kondomen und Verhütungspillen, Aufklärung von Mann und Frau. Jedoch befürchtet diese Kirche, weniger "Gläubige" zu erhalten.

Zum Abschluß ein chinesisches Sprichwort:
"Die Menschen meinen, 5 Söhne seien nicht zu viel und jeder Sohn habe 5 Söhne, wenn der Großvater stirbt, hat er 25 Nachkommen. Des-
halb gibt es immer mehr Menschen und ihr Reichtum schwindet dahin, sie arbeiten hart um
geringen Lohn".
Han Fei-Tzu,
ca 500 v o r Christus.

P.S.( Ihr Zitat von Angela Merkel: ..Sind ein aus-
sterbendes Land".
Daher ihre Grenzöffnung 2015 ?