
- Skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips
Meinungsfreiheit dürfe nicht vom Einverständnis religiöser Fanatiker abhängig gemacht werden, erklärt Michael Schmidt-Salomon im Interview mit Cicero Online. Die derzeitige Debatte um das Video gehe am Kern des Problems vorbei
Sie haben sich gegen das von Politikern – allen voran
von Innenminister Hans-Peter Friedrich – geplante Verbot des
umstrittenen Mohammed-Films ausgesprochen. Warum?
Es sollte selbstverständlich sein, dass das Prinzip der
Kunstfreiheit auch für schlechte Filme gilt. Wo kämen wir denn hin,
wenn wir es von ästhetischen Kriterien oder gar vom Einverständnis
religiöser Fanatiker abhängig machen würden, ob ein Film in
Deutschland gezeigt werden darf oder nicht? Bundesinnenminister
Friedrich gab in diesem Zusammenhang wahrlich keine gute Figur ab.
Wären die Demokraten früherer Zeiten angesichts der massiven
religiösen Proteste, mit denen sie zu kämpfen hatten, so schnell
eingebrochen wie er, würden in Europa womöglich noch heute die
Scheiterhaufen brennen.
Wenn sich die Bundesregierung und große Teile der
Opposition jetzt für ein Aufführungsverbot des Films „Die Unschuld
der Muslime“ einsetzen, belohnen sie doch in letzter Konsequenz die
Gewalttätigen. Wäre das nicht ein fatales Signal?
In der Tat. Würden wir die Kunst- und Meinungsfreiheit aus
Rücksicht auf religiöse Fanatiker einschränken, käme dies einer
Belohnung gleich. Wir würden sie dazu ermutigen, künftig jede
kritische Auseinandersetzungen mit dem Islam durch gewaltsame
Proteste zu unterbinden. Solchen demokratiefeindlichen Bestrebungen
dürfen wir auf keinen Fall nachgeben.
[gallery:Von Salman Rushdie bis zum Mohammed-Video – der Zusammenprall der Kulturen]
Eine starke Demokratie ist auch eine wehrhafte
Demokratie. Müssten jetzt nicht eigentlich die weltlichen, die
säkularen Kräfte, zusammenstehen und sich gegen Provokateure (von
Pro-Deutschland und Co.) und Islamisten gleichermaßen
positionieren?
Selbstverständlich. Einerseits müssen wir klar machen, dass
Antimuslimismus ebenso menschenverachtend ist wie Antisemitismus.
Andererseits dürfen wir nicht ignorieren, dass in der muslimischen
Community noch immer vormoderne, patriarchale Werte von zentraler
Bedeutung sind. Wir sollten in diesem Zusammenhang sehr deutlich
unterscheiden zwischen einer humanistischen Islamkritik, die auf
die Emanzipation aller Individuen ausgerichtet ist, und
rassistischen oder xenophoben Initiativen, die islamkritische
Argumente vorschieben, um Menschen auszugrenzen. Als offene
Gesellschaft sollten wir einen dritten Weg einschlagen – gegen
reaktionäre Islamverteidigung auf der einen und reaktionäre
Fremdenfeindlichkeit auf der anderen Seite.
Jakob Augstein schreibt in seiner SPON-Kolumne: „Mit
Religion hat das nichts zu tun. Wenn die Straße brennt und der Mob
regiert, schämt sich der Glaube. (…) Diese Gewalt ist keine Sache
der Religion, sondern eine der Politik.“ Hat er Recht?
Nein. Diese Aussage ist Ausdruck des altlinken Glaubens, dass es
sich bei der Religion lediglich um einen Nebenwiderspruch innerhalb
des politisch-ökonomischen Systems handelt. Tatsächlich aber ist
der religiöse Glaube eine eigenständige Größe im sozialen System.
Er wird nicht nur von politischen und ökonomischen Kräften
beeinflusst, sondern kann seinerseits enormen Einfluss auf die
politischen und ökonomischen Verhältnisse haben. Dass westliche
Intellektuelle wie Augstein die Bedeutung des Faktors Religion so
grandios unterschätzen, ist sicherlich der weitgehenden
Säkularisierung in Europa geschuldet, verrät aber auch, wie wenig
sie verstehen, was in der Welt vor sich geht.
Wundert Sie die Richtung der Debatte in großen Teilen
der Medien und Politik: Da wird ein Video aufs Schärfste verurteilt
und die Anschläge der Radikalen als Reaktion verharmlost. Das
erinnert ein bisschen an die Zeit, da vergewaltigten Frauen gesagt
wurde, ihr seid ja selbst schuld, wenn ihr euch so aufreizend
anzieht.
Ehrlich gesagt, wundert mich in dieser Hinsicht gar nichts mehr.
Wir hatten eine ähnliche Situation ja schon vor 6 Jahren im Zuge
des sogenannten Karikaturenstreits. Damals wurden die dänischen
Karikaturisten beschuldigt, den öffentlichen Frieden zu gefährden.
Eine skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips! Denn nicht die
an Leib und Leben bedrohten Zeichner gefährdeten den öffentlichen
Frieden, sondern die religiösen Fanatiker, die in ihrem Wahn
Hunderte von Menschen töteten, nur weil sie unfähig waren, auf
satirische Kunst in angemessener Weise zu reagieren. Schon damals
traten konservative Politiker als Trittbrettfahrer des islamischen
Fundamentalismus auf und wollten den sogenannten
Gotteslästerungsparagrafen verschärfen. Ich gehe davon aus, dass
dies in absehbarer Zeit wieder geschehen wird.
Warum lassen sich religiöse Gefühle von Muslimen derart
leicht verletzen? Religiöse Schmähungen findet man ja tausendfach
im Netz. Was glauben Sie, warum ausgerechnet dieser Film Anlass für
derartige Reaktionen bot?
Es ist in der Tat ein sonderbares Phänomen, dass Männer, die die
Steinigung einer vermeintlichen Ehebrecherin mit müdem Achselzucken
hinnehmen, aber schluchzend in sich zusammensinken, wenn sie hören,
dass ihr Prophet satirisch auf die Schippe genommen wurde. Erklären
lässt sich dies nur mit der partiellen Denk- und
Entwicklungshemmung, die mit religiöser Indoktrination einhergeht.
Warum nun speziell dieses Video solch massive Proteste hervorrief?
Sicherlich haben amerikanische Evangelikale die entsprechenden
islamistischen Kanäle liebevoll mit entsprechenden Informationen
gefüttert, womöglich wurden sie dabei sogar unterstützt durch
politische Kreise, die sich davon einen strategischen Nutzen
versprechen.
Wichtiger ist aber die Enttäuschung der muslimischen Bevölkerung über die Folgen des Arabischen Frühlings sowie das Kalkül der an die Macht gekommenen islamistischen Gruppen, die mit antiwestlichen Aktionen bestens von den Defiziten der eigenen Politik ablenken können. Ich hatte daher ohnehin mit Protesten gerechnet. Wäre das Mohammed-Video nicht veröffentlicht worden, hätte sich problemlos ein anderer Anlass für antiwestliche Propaganda gefunden. Insofern führt die Diskussion über dieses Video am eigentlichen Kern des Problems vorbei.
Seite 2: Der islamische Fundamentalismus ist das Symptom einer fundamentalen Glaubenskrise
Zeigt sich in der Härte der Reaktionen auch
Grundsätzliches: Beispielsweise wie schwer Demokratie und
fundamentale Religionsausübung zu vereinen sind?
Ja. Moderne Demokratien beruhen bekanntlich auf der Idee des
Gesellschaftsvertrags, die besagt, dass die Werte des
Zusammenlebens nicht objektiv vorgegeben sind, sondern unter den
Gesellschaftsmitgliedern unter fairer Berücksichtigung der
jeweiligen Interessen ausgehandelt werden müssen. Für
fundamentalistische Gläubige ist dies schlichtweg inakzeptabel,
gehen sie doch von einer göttlich vorgegebenen Gebots- und
Verbotsordnung aus, die für alle Zeiten festlegt, welches Verhalten
Männer, Frauen und Kinder zu zeigen haben.
Wenn nun solche Glaubensüberzeugungen mit rechtsstaatlichen Normen kollidieren, was häufig der Fall ist, da die heiligen Schriften aus vormodernen Zeiten stammen, steht das Individuum vor der Wahl, welcher Rechtsordnung es den Vorrang gibt. Man kann gut verstehen, dass sich Gläubige schwerlich gegen Gebote entscheiden können, von denen sie meinen, dass sie göttlichen Ursprungs sind. Als säkulare Gesellschaft müssen wir aber darauf bestehen. Religiöse Sonderrechte, die im Widerspruch zur säkularen Rechtsordnung stehen, können und dürfen wir nicht tolerieren. Dies fällt uns noch immer schwer, denn wir sind den Umgang mit Religionen, die sich selbst noch tödlich ernstnehmen, nicht mehr gewohnt.
Braucht der Islam nicht dringend eine Form der
Aufklärung?
Selbstverständlich. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass es
im Islam bereits eine fruchtbare Phase der Aufklärung gab, lange
bevor es im christlichen Europa dazu kam. Denn die Muslime des 9.
und 10. Jahrhundert pflegten das reiche Erbe der Antike, während
Christen lange Zeit alles vernichteten, was der Bibel widersprach.
Damals hätte man also in Hinblick auf Humanismus und Aufklärung
eher von östlichen als von westlichen Werten sprechen müssen.
Leider aber brach diese Phase der muslimischen Aufklärung nach
kurzer Blütezeit ab. Es wäre in der Tat ein großer Fortschritt,
wenn die Muslime heute an jene große Zeit anknüpfen könnten, in der
sie die Vorreiter der Aufklärung waren. Gänzlich ausgeschlossen ist
das nicht.
Ich teile hier die Einschätzung meines Stiftungskollegen Hamed Abdel-Samad, der den islamischen Fundamentalismus als Symptom einer fundamentalen Glaubenskrise des Islam deutet. Hoffnung macht dabei vor allem, dass sich zunehmend in allen Teilen der islamischen Welt aufgeklärte, liberale Muslime zu Wort melden, die einen grundlegenden Wandel fordern. Sollten sie sich durchsetzen können, würden wir über solche Absurditäten wie den Mohammed-Film keine hitzigen Debatten führen, sondern uns gemeinsam darüber amüsieren, wie irrsinnig schlecht doch die Computereffekte dieser überambitionierten Billigproduktion sind.
Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Timo Stein.
Michael
Schmidt-Salomon, Dr. phil, geboren 1967, ist freischaffender
Philosoph und Schriftsteller, sowie Mitbegründer und
Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.