- „Ingmar Bergman war ein Nazi“
Stellan Skarsgård spielte in seiner ersten Rolle einen Schneehaufen. Heute brilliert er in Hollywood-Verfilmungen von Marvel-Comics und Filmen von Lars von Trier. Ein Gespräch über den Killer, der in jedem Menschen steckt
In der Vendetta-Komödie „Einer nach dem anderen“ von Hans Petter Moland spielt Skarsgård den Schneepflugunternehmer Nils, der just als er zum „Bürger des Jahres“ gewählt wurde, seinen Sohn im Drogenmilieu verliert und daraufhin einen Rachefeldzug gegen die Mafia aufnimmt. Ein Porträt über den Schauspieler lesen Sie in der Dezemberausgabe von Cicero.
Cicero Online: Herr Skarsgård, in Ihrem neuen Film sind Sie in den unwirklichen Schneelandschaften Norwegens auf dem Schneepflug unterwegs. Sie sind in Schweden geboren. Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Schnee erinnern?
Stellan Skarsgård: (überlegt) Nein, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Wohl aber aus meiner sehr frühen Kindheit daran als wir in einem Landhaus außerhalb der Stadt Uppsala wohnten und meine Mutter die Wäsche hereinbrachte, die über Nacht draußen gehangen hatte. Die ganzen Handtücher und Hemden waren gefroren und für uns Kinder war das natürlich herrlich. Du nahmst Dir also so ein bretthartes Handtuch und konntest es deinen Geschwistern auf den Kopf schlagen, ohne dass es wehgetan hat.
In Ihrer allerersten Rolle sollen Sie einen Haufen Schnee gespielt haben.
Stimmt, das war mit ungefähr sieben Jahren für ein Schultheater.
Weshalb wurden Sie gerade für diese Rolle ausgewählt?
Ich weiß es nicht mehr. Ich denke, ich fand es toll. Aber sie haben damals mein Talent noch nicht entdeckt, weil ich die ganze Zeit nur unter einem weißen Laken liegen musste. In dem Theaterstück ging es um Kinder, die den Frühling holen wollten. Es begann zur Winterzeit und als der Frühling kam, musste ich von der Bühne krabbeln.
Im Film „Einer nach dem anderen“ verlieren Sie Ihren Sohn. Sie sind selbst Vater. Können Sie die Rachegelüste Ihrer Filmrolle nachvollziehen?
Meine Gefühle wären wahrscheinlich die Gleichen, aber meine Frustration wäre geringer als die von Nils. Dieser Mann hat nicht die Werkzeuge, seine Emotionen zu kontrollieren. Er kann noch nicht einmal mit seiner Ehefrau darüber sprechen. Ihnen fehlt die gemeinsame Sprache. Diese gebündelten Emotionen verwandeln ihn gewissermaßen in einen Wilden. Es ist zwar psychologisch nachvollziehbar, dass er seinen Sohn rächt, aber moralisch nicht richtig.
Denken Sie, dass in jedem von uns ein Killer steckt?
Ja, ich denke, dass jeder von uns die Kapazitäten dazu hat. Die meisten Menschen denken von sich, sie könnten nie töten und wären ach so gute Menschen. Doch dabei sind sie tatsächlich potenzielle Killer. Es gibt Situationen, in denen 99,9 Prozent der Menschen auf Erden bereit wäre, jemand anderen zu töten.
Ihre Rolle soll uns daran also erinnern?
Ja, denn wenn Nils unter Druck ist, kommt der Höhlenmensch in ihm heraus. Und der Höhlenmensch ist nicht immer eine sehr nette Person in uns. Aber es zeigt auch wie verdammt dünn die Schicht der Kultur in uns ist. Nils ist so ein friedvoller, netter Vater und ehrenhafter Bürger, dennoch ist es psychologisch möglich für ihn, ein Serienkiller zu werden. Und es war mir wichtig, diese Rolle psychologisch glaubwürdig darzustellen, auch wenn es nur in der Fantasiewelt eines Films stattfindet. Wir wissen von ethnischen Konflikten in der Welt wie kurz der Schritt von der Zivilisation zurück zur Barbarei ist. Ich denke, es ist verdammt wichtig, uns daran zu erinnern, dass die Menschheit nicht nur aus guten und bösen Kerlen besteht. Wir sind alle fähig, ein Monster zu werden. Und wenn man diese Seite in sich selbst nicht anerkennt, wird es wirklich gefährlich. Das ist auch eines der Gründe, warum ich nicht mehr den bösen Deutschen spielen wollte.
Könnten Sie mir das näher erklären?
Es gibt gewissermaßen diese populäre Kulturidee des Zweiten Weltkrieges der Gegensätzlichkeit, dass eine Nation aus bösen Typen gegen eine Nation aus guten Typen agiert. Das stimmte so nicht. Sie waren alle Menschen und sie waren alle gleich. Es war ein verdammt schlimmes Regime, ja, aber ich glaube auch nicht daran, dass alle Amerikaner schlecht sind, nur wegen George W. Bush.
Während Ihrer 16-jährigen Theaterzeit am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm haben Sie auch mit Ingmar Bergman zusammengearbeitet. Abseits Schwedens wird Bergman gerne als der Überregisseur dargestellt. Wie empfinden Sie das?
Er war ein großartiger Regisseur, äußerst intelligent, begabt und gut in dem, was er tat. Ich habe zweimal mit ihm zusammengearbeitet und das hat großen Spaß gemacht. Aber was keinen Spaß gemacht hat, war die Atmosphäre, die er für das gesamte Ensemble schuf. Sie haben über alles gelacht, was er sagte, wenn er Witze machte – wie Bedienstete. Es lag solch eine Furcht in der Luft, selbst wenn Bergman vergnügt war. Denn alle wussten, dass er ohne Weiteres ganz leicht und wie aus heiterem Himmel ihre Karrieren vernichten konnte. Er war auch nicht sehr loyal.
Hatten auch Sie Angst vor ihm?
Nein, denn ich habe ihn nicht an mich herangelassen. (Überlegt eine Weile) Wissen Sie, der Nazivorwurf an Lars von Trier vor drei Jahren in Cannes war wirklich bizarr. Lars hat eine Art soziales Tourette wie ein unartiges Kind. Aber er ist nie ein Nazi gewesen. Bergman hingegen war ein Nazi und hat meines Wissens über Hitlers Tod geweint. Nun kann man sagen, dass das bis zu einem gewissen Grad eine nützliche Ignoranz gewesen sein könnte. Aber da gab es in seiner Persönlichkeit auch etwas, das ihn vor die Wahl stellte, im Krieg ein Nazi zu werden, oder eben nicht, wie mein Vater.
In den meisten Ihrer Rollen stellen Sie recht freiheitsliebende Charaktere dar. Selbst in einem Hollywood-Actionfilm wie „Deep Blue Sea“ sind Sie es, der als Wissenschaftler vor versammelter Mannschaft ins Meer pinkelt – gegen den Wind. Entspricht das auch privat Ihrem Charakter?
Ja, ich schere mich nicht um soziale Konventionen. Mein Vater schon hat sich nicht daran gehalten, was zu der damaligen Zeit in seiner Jugend sehr unüblich war in Schweden. Soziale Vorschriften sind ein Scheißdreck und es ist wirklich wichtig, sie jedes Mal aufs Neue herauszufordern, auch das akzeptierte Verhalten und welche Wörter man sagen darf und welche nicht und über welche Themen man sprechen darf. Das ist alles Schwachsinn. Es gibt wesentlich wichtigere Dinge, über die man reden und mit denen man sich auseinandersetzen sollte im Leben.
Wie lässt es sich denn für Sie in unserer Gesellschaft mit all den Konventionen und Zwängen leben?
Zwänge sind dazu da, um sie zu bekämpfen, aber das gilt für jede Gesellschaft. Und wenn sich eine Gruppe von Menschen zusammentut, wird es nicht lange dauern, bis man eine Übereinkunft getroffen hat, wie sich jeder zu verhalten hat. Das hat sich im Zuge der Evolution so etabliert, um das Überlesen zu sichern. Man muss eine Struktur finden, um nicht durchzudrehen. Ich bin aber ziemlich gut darin, diesen sozialen Druck und die Gesellschaft zu ertragen. Abgesehen davon, geht es mir auch am Arsch vorbei, was es leichter macht.
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