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Heimatfilm

Politthriller „Die Lügen der Sieger“ - „Wir müssen lernen, zu erzählen“

Neue Berliner Schule: Regisseur Christoph Hochhäusler hat mit Florian David Fitz einen Film über Lobbyismus und Medien-Manipulation gedreht. Im Interview sprechen sie über die Spurrillen der öffentlichen Meinung und engagiertes Kino

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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Ein Zimmer irgendwo im Berliner Westen. Schauspieler Florian David Fitz erscheint zum Gespräch, setzt sich an den Tisch, zieht die Knie hoch auf den Stuhl und pflückt eine Hand voll Trauben aus der Obstschale vor ihm. Neben ihm: Regisseur Christoph Hochhäusler mit einer Tasse Tee in der Hand. Einen regen Schlagabtausch würde ich mir wünschen, nicht allzu viel Konsens, wenn möglich. Fitz’ Vorschlag: Hochhäusler konstant zu beschämen und ihn zum Erröten zu bringen. Wie das ginge?, würde ich gerne wissen. „Man lobt ihn einfach zu Tode“, sagt Fitz. Hochhäusler lacht schüchtern. Damit sind wir im Thema:

Ist das der Zivilisationsschaden unserer Zeit, dass wir verlernt haben, ein einfaches Kompliment anzunehmen?
Christoph Hochhäusler: Das ist eigentlich eine interessante Frage. Lob bedeutet eine Art von Inbesitznahme. Man ist automatisch in der Tasche dessen, der dich lobt. Zu einer Kritik kann man sich verhalten. Lob kann man nur noch annehmen.

Florian David Fitz: Man kann Lob auch ablehnen. Christoph erleidet es hauptsächlich. Ich finde es ja ganz schön. Es gibt ein Bedürfnis danach. Ich bin sehr kritisch und finde, dass es unglaublich viel Mist da draußen gibt. Wenn mir dann was Gutes unterkommt, freue ich mich. Und dann möchte ich das demjenigen auch sagen.

[[{"fid":"65867","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":230,"width":345,"style":"height: 133px; width: 200px; margin: 5px 7px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]Christoph Hochhäusler: Klar, das hört jeder gerne. Man braucht Bestätigung. Nur am Anfang einer Unterhaltung ist es gut, zu wissen, dass da Respekt ist. Lob führt hier nicht sehr weit. In meinen Augen beendet es die Kommunikation eher.

Und die Kritik öffnet die Diskussion?
CH: Ich würde sagen, ja. Wenn sie nicht unflätig oder beleidigend ist. Mit Kritik kann man sich auseinandersetzen. Und in dieser Auseinandersetzung findet etwas Aktives statt.

FDF: Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass alles, was sich mit der Sache auseinandersetzt, dienlich ist.

Sind Sie denn in der Lage, Kritik anzunehmen?
CH: Kritik ist selten in der Lage, einen wirklich zu erreichen. In den meisten Fällen betrifft sie mich nicht direkt, denn der Kritiker wollte einfach was anderes. Oder er findet grundsätzlich verkehrt, was ich mache. Das ist ein Menschenrecht. Aber es hilft mir nicht. Selten fühlt man sich in der Kritik erkannt. Das ist dann toll. Ich habe immer die Hoffnung, zu lernen und mich zu verbessern. Wenn man lange an einer Sache arbeitet, ist es schwierig, zu erkennen, was man da eigentlich macht. Auch wenn man reflektiert, bleibt vieles in der Arbeit unwillkürlich.

Auch in der Regie?
CH: Vor allem in der Regie. Regie ist eine Reaktion auf Dinge, die von einem selbst angestoßen werden oder eben auch nicht. Warum gefällt einem der eine Take besser als der andere? Letztlich ist das eine intuitive Entscheidung.

FDF: Das ist doch lustig, weil das im Widerspruch zu dem öffentlichen Bild der „Berliner Schule“ steht. Man erwartet eine formale Strenge, auch in der Arbeitsweise. So ist es aber nicht. Christoph hat einen klugen Kopf auf, in der Arbeit empfinde ich ihn aber als sehr intuitiv. Es war ein totales Suchen, in der Vorbereitung wie beim Drehen. Ich habe selten erlebt, dass man über eine Stunde lang in einen Take hineindreht und dann sagt: Irgendwie stimmt es nicht. Und dann fängt man von vorne an. Das kostet Zeit und Ärger. Aber zum Schluss findet man das Richtige. Ein sehr bauchiger Prozess.  

Herr Hochhäusler, Ihre stilistische Sprache im Film wirkt ebenfalls sehr präzise. Es gibt viele ruhige und lange Schwenks in den Raum hinein, die Szenen wirken gerade an diesen Stellen durchchoreographiert.
CH: Während der Arbeit ist man so verwachsen mit allem, dass einem der neutrale Blick fehlt. Dieses „frische Auge“ muss ich mir leihen. Man fragt sich dann, ob das, was man sieht, einen interessiert, warum es langweilig ist oder warum es nicht stimmt. Dann suche ich nach Alternativen. Regie hat mit Umwegen zu tun. Damit, eine geschlossene Tür im nächsten Take aufzumachen und zu sehen, was passiert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass das, woran man arbeitet, größer ist als die eigene Phantasie. Das ist wohl auch das, was mich von einem Regisseur wie Michael Haneke unterscheiden würde. Ich hätte gerne, dass meine Arbeit über mich hinausgeht.

Sie haben jetzt einen Polit-Thriller gedreht, „Die Lügen der Sieger“. Es geht um Lobbyismus und die Manipulation von Medien. Wie konsumieren Sie Medien?
CH: Ich habe noch genau zwei Abos. Mir fällt auf, dass ich nicht mehr nur eine Zeitung lese, sondern Stückwerke. Empfehlungen, Verlinkungen, internationale Beiträge, die online zu finden sind. Es gibt eine neue digitale Routine. Und was mich dabei wundert, ist, dass die Presse nicht in der Lage ist, diese neue Realität anzuerkennen. Als kapierten sie nicht, was die Uhr geschlagen hat! Man kann den Leser nicht mehr an ein Blatt binden. Es muss die Möglichkeit geben, Pools zu bilden und sich als Medienarmatur zu verstehen.

Im Film arbeitet das fiktive Blatt „Die Woche“ an einer großen Enthüllungsstory, ein Skandal um Giftmüll und die Invalidenpolitik der Bundeswehr, der von Ihnen, Herr Fitz, als Journalist aufgedeckt wird. Gibt es dieses Selbstverständnis der Medien, den Finger in die Wunde gesellschaftspolitischer Prozesse zu legen, heute überhaupt noch? Oder schwindet es im Zuge der zunehmenden Demokratisierung der Medien im Netz?
CH: Klar ist: Es gibt immer weniger Korrespondenten und investigative Journalisten. Die sind in der Debatte extrem wichtig. Heute ist der deutsche Pressemarkt so breit gefächert und gleichzeitig so lächerlich verengt. 95 Prozent der Journalisten verwenden vielleicht nicht dieselben Worte, aber es ist derselbe Tenor. So entstehen die Spurrillen der deutschen Meinung. Und wenn dann doch einmal jemand einen anderen Ton anschlägt, hält das niemand wirklich gut aus.

FDF: Deshalb kam es ja zu diesem unsäglichen Wort „Lügenpresse“, weil es zu wenige Divergenzen in den Medien gibt.

CH: Das ist sicher einer der Faktoren. Der andere Grund ist, dass jeder gerne liest, was er selber denkt. Und wehe, man entfernt sich vom Mainstream...

Im Film formulieren Sie die These, die öffentliche Meinung sei konstruiert. Ist es nicht naiv, zu glauben, sie könnte gelenkt sein?
CH: Ich behaupte nicht, dass es eine Instanz gibt, die das steuert. Aber ich glaube, dass es eine Naivität gegenüber der öffentlichen Meinung gibt. Eine Aura des Gedruckten.

FDF: Was auch am Schreibstil hierzulande liegt. In angelsächsischen Publikationen findet man viel häufiger Formulierungen wie „I think“ oder „I felt“.In Deutschland gilt das als schlechter Stil. Hier gibt es das übergeordnete „man“, das einem suggeriert, es gehe um eine allgemein gültige Wahrheit und nicht um einen persönlichen Eindruck.

CH: Und in diesen „man“-Erzählungen verschwindet dann auch immer die Quelle. Es gibt kaum deutsche Journalisten, bei denen nachvollziehbar wird, woher sich manche Behauptung speist.

Müssen wir wieder lernen, wie man richtig erzählt?
CH: Unbedingt. Und zwar beim politischen Erzählen genauso wie beim fiktiven. Mir scheint das Wissen des Ottonormalbürgers darüber, wie ein Drehbuch geschrieben wird, fast besser entwickelt, als darüber, wie eine politische Kampagne funktioniert.

FDF: Mir kommt dabei das Bild des Napalm-Mädchens in den Sinn. Irgendwann habe ich ein Bild gesehen, auf dem auch der Fotograf zu sehen ist, der das Bild geschossen hat. Es muss einem also immer bewusst sein, dass da jemand ist, der „Realität“ konstruiert. Der Fotograf ist immer im Bild. So ist es auch bei Filmen oder Artikeln.

CH: Wahrheit ist per se nicht kommunizierbar. Sonst wäre auch der Journalismus sinnlos. Der Akt des Erzählens ist deshalb notwendig, weil es eine zu große Fülle an Einzelheiten gibt. Man nimmt also eine Perspektivisierung vor. Die ist natürlich angreifbar. Gerade in Zeiten, in denen durch das Internet viele Quellen einsehbar und überprüfbar werden. Das verändert den Journalismus durch den Leser.

FDF: Je größer die Freiheit, desto mehr wird man gefordert, unabhängig zu sein. Das strengt an.

Moral spielt hier als Begriff eine zentrale Rolle. Lange Zeit wurde er sehr inflationär verwendet, dann lange Zeit gar nicht und heute scheint das Wort irgendwie abgegriffen und totformuliert. Wie lösen wir das Dilemma mit der Moral?
FDF: Letztlich ist sie doch nichts weiter als ein Kodex für ein erträgliches Zusammenleben.

CH: Oder man nennt sie einfach Ethik. Ich glaube nicht, dass sie je verschwunden ist. Nur wurden häufig bürgerliche Konventionen mit Moral verwechselt. Dinge zu tun, die sich vielleicht nicht gehören, ist noch lange nicht unmoralisch. Nackt zum Bäcker zu gehen, zum Beispiel. Das sind bewegliche Maßstäbe. Und der Referenzrahmen für das, was wir für erträglich halten, verändert sich ständig.

FDF: Was mich stört, ist, dass die Moral hochgehalten und dabei als Begriff völlig totgekloppt wird, bis sie nichts mehr bedeuten, außer Zynismus. Uli Höneß zum Beispiel verbüßt gerade die Strafe für ein Verbrechen, das er begangen hat und damit müsste es doch eigentlich gut sein. Doch in den Zeitungen wurde nichts als Häme über dieser Geschichte ausgegossen. Hauptsache, wir können den Zeigefinger rausholen.

CH: Diese öffentliche Empörung gleicht einem Schampranger. Jemand macht einen Fehler und dann wird er sozial gesteinigt. Das ist heuchlerisch. Mit dem Netz hat sich dieser Effekt verstärkt. Ich glaube aber, dass ethisches Handeln immer eine zentrale Frage sein muss. Wie kann man verantwortungsvoll leben? Diese Frage zu beantworten, wird insofern immer schwerer, als dass wir mit einer Wirklichkeit konfrontiert sind, die wir nur bedingt mitgestalten können.

Auch Sie bieten in Ihrem Film letztlich keine Antwort auf diese Frage. Das Hamsterrad dreht sich am Schluss einfach weiter.
CH: Mein Kino ist in diesem Sinne auch kein engagiertes Kino, das darauf hofft, bestimmte Richtlinie zu ändern.

Also kein Filmtheater als moralische Anstalt?
CH: Doch, das schon. Insofern, als dass es ein Gefühl für die Differenz produziert. Wenn ich im Kino Ungerechtigkeiten sehe, emotionalisiert mich das. Die Frage ist, welche Konsequenz ich aus dieser Emotion ziehe. Ich glaube nicht, dass das Kino direkte politische Effekte hat.

FDF: Vielleicht ist das auch gar nicht verkehrt. Diese Macht wurde schon einmal für Propaganda missbraucht.

CH: Aber auch Goebbels wusste, dass das effektivste Kino im besten Fall nur unterhält. Am meisten erreicht haben nicht staatspolitisch wertvolle Filme, sondern solche, die den Leuten Spaß machten, die geholfen haben, zu vergessen. Marika Rökk war sehr viel erfolgreicher als „Jud Süß“.

FDF: Ja, aber am Ende ist doch ein Stück Ideologie hängen geblieben. Werbung ist nichts anderes.

CH: In der Kunst geht es doch letztlich darum, sich Rüstzeug zu besorgen. Man benutzt Bilder und Metaphern als Werkzeug, um zu verstehen, was man im Leben tut. Die Schnitzelrede von Charlie Chaplin im Großen Diktator ist eine Metapher, die bleibt. Immer, wenn man jetzt diese Art von autoritärem Gebell sieht, muss man an Wiener Schnitzel denken. Das ist toll! So kann man mit einer Erzählung ein Werkzeug herstellen, das uns im Leben hilft.

Zum Schluss: Wenn Sie sich eine Rolle bzw. einen Film aussuchen könnten, welche hätten Sie gerne gespielt bzw. welchen hätten Sie gerne gedreht?
FDF: Ganz klar: Al Pacino in „Der Pate“.

CH: Es gibt viele Filme, die ich großartig finde. Aber das ist kein Gedanke, den ich mir unbedingt mache. Denn ich hätte daraus sicher einen anderen Film gemacht und dann wäre es nicht mehr der, den ich mag. Ein Film, auf den ich immer wieder zurückkomme, ist Luchino Viscontis „Der Leopard“.

Herr Fitz, Herr Hochhäusler, vielen Dank für das Gespräch!

 

Foto Hochäusler: Holger Albrich

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