Kurz und Bündig - Peter Eisenman: Ins Leere geschrieben

Peter Eisenman liebt es, Sprach­räume im Stil seines langjäh­rigen Freundes Jacques Derrida zu errichten und seinen Rezipienten – gleich ob sie sich in der materiellen Architektur oder in seinen Texten bewegen – erst einmal den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihn mindestens aber schräg zu stellen.

Peter Eisenman liebt es, Sprach­räume im Stil seines langjäh­rigen Freundes Jacques Derrida zu errichten und seinen Rezipienten – gleich ob sie sich in der materiellen Architektur oder in seinen Texten bewegen – erst einmal den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihn mindestens aber schräg zu stellen. Das Prinzip der Verun­sicherung, der Dekonstruktion von Vertrautem, prägt die wenigen realisierten Gebäude wie sein gerade fertig gestell­tes Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Es prägt auch die Texte seiner aktuellen, zweiten Schriftensammlung, die den Titel «Ins Leere gesprochen» von Adolf Loos variiert. Eisenman ist sicher der avancierteste Theoretiker unter den Architekten, einer, der dem Wort vielleicht sogar näher steht als dem Beton. So unterscheidet er auch bewusst Loos’ Sprechen vom Schreiben und postuliert, nicht nur der freien Entwurfszeichnung, auch dem funktional gebundenen Bauwerk eigneten Merkmale des Sprechens wie des Schreibens gleichermaßen: So kann es verschiedene Lektüren geben. Eisenman erprobt solche Lesarten, indem er Architektur als Text über das Ab­­wesende versteht – als Hohl­form des Nichtgeschriebenen, Nichtgebauten, als Diagramm oder Zwischenraum. Die nicht zuletzt auf die Legitimation der eigenen Architektur zielende Frage lautet: Wie kann eine Architektur begründet werden, die keine funktionalen Aspekte zur Begründung von Gestaltung verwendet – und et­wa die Präsenz einer Wand von deren Bedeutung trennen könnte? Eine solche topologische Architektur, mit der Eisenman in den siebziger Jahren in seinen «House»-Pro­jekten experimentierte, würde der Form Autonomie geben, die Architektur mithin erst als Kunst legitimieren. Sein «House VI» stellte mit einer roten, in den Himmel ragenden Trep­pe die Funktionalität, ja, die Nutzung überhaupt infrage. Ähnliches lässt sich allerdings auch von den gesammelten Essays Eisenmans sagen. Selbst wenn man die schwer vermeidbare Redundanz einer Auf­satzsammlung und das Alter der Texte in Rechnung stellt – Eisenmans Theorie steckt in den Versatzstücken seiner Post­strukturalisten-Lektüre wie in Betonsocken. Auf der Suche nach einer Trennung von Form und Funktion huschen in allen Texten die immer gleichen Autoren und Denk­fi­gu­ren vorbei: Derrida, Deleuzes Kritik der Figuration, die Konzepte Territorium und Diagramm, Ikonizität und Instrumentalität. Für die Architektur mag das zuweilen ganz interessante Perspektiven bieten – das Problem, eher beliebig zu wirken, teilen Eisenmans Konzepte mit allen von ihm kritisierten Legitimierungsversuchen. Jacques Der­rida, der am Ende des freundschaftlichen Dialogs zweifelte, ob er Eisenman mit seinen Konzepten weiterhelfen könne, war sich in einer Hinsicht sicher: Ein schiefer Fußboden, meinte er, sei noch keine Philosophie.

 

Peter Eisenman
Ins Leere geschrieben. Schriften & Interviews 1995–2000
Aus dem Amerikanischen von Carl Christoph Claußen und Peter Kunitzky.
Passagen, Wien 2005. 324 S., 38 €

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