- Der Antikapitalist
Papst Franziskus ist kein Sozialist. Aber die katholische Weltkirche erblickt im westlichen Kapitalismus nun eine gefährliche Gegenreligion
Das Urteil des Papstes ist tatsächlich hart: Unser Wirtschaftssystem sei „an der Wurzel ungerecht“, denn es beurteile alles „nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit“, heißt es in „Evangelii Gaudium“, einer Art „Regierungserklärung". Darin geißelt Franziskus die Unterordnung von allem und jedem unter die „Tyrannei der Ökonomie“. Wer „nach dem Gesetz des Stärkeren“ nicht mithalten könne, werde an den Rand gedrängt und ausgeschlossen.
Kapitalismuskritik aus Rom ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Bereits im 19. Jahrhundert stand der Vatikan an der Seite der Armen und forderte, dass die Wirtschaft dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt. Die Grundidee war schon damals, dass alle Menschen ein Recht auf die Mittel zu einem ordentlichen Leben haben. Die Gesellschaft dürfe kein Kampfplatz sein, wo sich nur die Stärkeren, also die Reichen, durchsetzen, und die Armen ihr Schicksal auch noch als darwinsche Notwendigkeit hinnehmen sollen.
Es war der Deutsche Oswald von Nell-Breuning, ein Jesuit wie Franziskus, der als Berater von Pius XI in der berühmten Sozialenzyklika Quadragesimo anno von 1931 dem Kapitalismus schwere „Missbildungen“ vorwarf. Es gehe nicht an, heißt es darin, dass nur wenige Reiche im Luxus leben, während ein Großteil der Menschen dem Elend preisgegeben ist. Nell-Breuning klang beim Angriff auf das Finanzkapital damals sogar noch viel radikaler: Wir ächzen so sehr unter seiner Faust, schrieb er, „dass niemand gegen sein Diktat auch nur zu atmen wagt.“
Die katholische Soziallehre und der rheinische Kapitalismus
Dennoch stellte Rom das Privateigentum nie infrage, sondern forderte seine Sozialpflichtigkeit ein, und stemmte sich auch vehement gegen den Kollektivismus der Sozialisten. Erst die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft konnte den Vatikan beruhigen. Der rheinische Kapitalismus des Wirtschaftswunders war stark von der katholischen Soziallehre und Nell-Breuning geprägt, vom Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, von der Sozialpartnerschaft und einem moderaten Sozialstaat. Zwar sprach Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Laborem exercens (1981) noch von den „Verirrungen“ des Kapitals, die durch Umverteilung und durch Barmherzigkeit mit den Schwachen gerade gerückt werden müssen, aber der Ton war gemäßigt. Eine alte Feindschaft schien begraben zu werden.
Umso überraschender der deutlich schärfere Ton, den Franziskus nun anschlägt. Seine Kapitalismuskritik hat eine neue Dimension. Franziskus erblickt im Marktradikalismus eine Art Gegenreligion, die „an der Wurzel ungerecht ist“. Die Exzesse an den Finanzmärkten deutet Franziskus nun nicht mehr bloß als Verirrungen, sondern als Symptome eines Systemfehlers, der auf einer „Sakralisierung“ der Marktmechanismen beruhe. Unser Wirtschaftssystem ist „eine neue, unsichtbare, manchmal virtuelle Tyrannei, die einseitig und unerbittlich ihre Gesetze und ihre Regeln aufzwingt.“
Mit dem Ausdruck „unsichtbare Tyrannei“ spielt Franziskus auf Adam Smith „unsichtbare Hand“ an. Smith hatte den Markt zu einem göttlichen Mechanismus erklärt, der wie durch ein Wunder die Egoismen des „Bäckers und Metzgers“ in das Wohlergehen aller verwandele. Auf dem Markt sind wir, so Smith, „Mitarbeiter der Gottheit“ und wer gegen „die Pläne der Vorsehung handelt“, ist „gewissermaßen ein Feind Gottes“. Smith lieferte damit so etwas wie die theologische Rechtfertigung der Marktautonomie. Wenn Arbeiter niedrigste Löhne erhalten, wenn Kolonien ausgebeutet werden, wenn ganze Branchen unter die Räder des Strukturwandels fallen, dann sind das zwar manchmal schmerzliche, aber letztendlich stets heilsame Schritte zu mehr Wohlstand für alle.
Wenn dagegen Staat und Demokratie in den Markt intervenieren, lehnen das die Marktgläubigen als „Anmaßung von Wissen“ ab. Denn der Markt hat immer Recht. Für Franziskus ist das schlicht Ideologie, die verhindern soll, dass die Staaten „über den Schutz des Gemeinwohls wachen“ und deshalb etwa die Banken umfassend regulieren. Franziskus scheint die aktuellen Marktbedingungen nicht als göttliches Urteil hinnehmen zu wollen, dass der Arbeits- und Veränderungsdruck immer stärker wird, dass die Effizienz- und Produktivitätspeitsche immer unbarmherziger regiert, dass alles, was sich ökonomisch nicht rechnet, als „wertlos“ gilt.
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Ein Sozialist ist Franziskus deshalb nicht. Eine Wirtschaftszeitung setzte Franziskus und Karl Marx, im Geiste vereint, an einen Tisch. Eine andere bezeichnet „Evangelii Gaudium“ als linksradikal. Viel mehr als von Marx scheint Franziskus von Max Weber inspiriert. Wenn Franziskus von den unerbittlichen Gesetzen, die uns der Kapitalismus aufzwingt, spricht, erinnert das an Webers Diktum, wonach „der zur Herrschaft gelangte Kapitalismus sich im Wege der ökonomischen Auslese die Wirtschaftssubjekte erschafft, derer er bedarf.“ Er meinte damit, dass jeder, egal ob Arbeiter oder Unternehmer, „ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert wird“, der sich der Effizienzlogik entgegenstellt. „Herrenlose Sklaverei“ nannte das Weber. Er sah uns in einem „stahlharten Gehäuse“ der Hörigkeit: Wir arbeiten und konsumieren und optimieren uns täglich selbst, um noch leistungsfähiger und produktiver zu werden. „Die Interessen des vergötterten Marktes werden zur absoluten Regel“. Dieser Satz stammt von Franziskus, er könnte aber auch das Fazit aus Webers Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus“ sein.
Womit wir bei einem Aspekt wären, den Franziskus’ nur zwischen den Zeilen anklingen läßt. Denn von Smith bis zu Reagan und dem aktuellen kalifornischen Internetkapitalismus kommen die Anstöße zur marktradikalen Veränderung stets aus dem „puritanischen“ Kulturkreis. Die katholische Soziallehre ist – wie das Erfolgsmodell des rheinischen Kapitalismus – auf dem Rückzug. Kein neuer Nell-Breuning ist in Sicht, der für eine Renaissance des „Dritten Wegs“ sorgt, als der die Soziale Marktwirtschaft einmal galt. Die neuen Regeln des digitalen Kapitalismus werden jedenfalls nicht von der katholischen Soziallehre geschrieben, sondern von der angelsächsischen Leitkultur. Ihren Dogmen der Nützlichkeit, des Wettbewerbs, des Konsums und der Optimierung will Franziskus etwas entgegen setzen. Und er hat dabei die ganze Erde, die Globalisierung, im Blick. Wer „Evangelii Gaudium“ gelesen hat, merkt erst, wie überfällig die Erneuerung der katholischen Soziallehre ist und wie sehr sie als Korrektiv heute fehlt.
Max A. Höfer, 54, ist Ökonom und lebt in Berlin. Kürzlich erschien sein Buch „Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir glücklich sind?“.
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