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Mythos Heilfasten - The Hunger Games

Fastfood ist böse. Das haben wir kapiert. Aber was, wenn der radikale Nahrungsverzicht beim Fasten zum Lifestyle stilisiert wird? Ein Selbstversuch

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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Manchmal muss man einfach mal machen. Nicht lange fackeln, nicht nach Ausflüchten suchen. Einfach loslegen. Jetzt. Sofort. Das gilt für die Steuererklärung ebenso wie für Zahnarztbesuche oder Kraftsport. Weil ich diese drei aber gerne noch ein bisschen vor mir herschieben möchte, denke ich da verwegen an eine Sache, die schon seit Längerem auf meiner Liste für waghalsige Selbstversuche steht: Heilfasten.

Eine Woche lang einfach mal nichts essen. Klar, ein politisch motivierter Hungerstreik kommt da schon etwas kühner daher, als etwas, das ein bisschen nach Beschäftigungstherapie für gelangweilte Großstadtfräuleins klingt. Aber mich treibt die Neugier. Liest man ja gerade überall. Soll gesund sein, steht da.

Im Grunde erscheint mir das sogar ganz raffiniert: Eine Woche lang nichts essen, bedeutet eine Woche konzentrierte Passivität. Aktives Nichtstun. Damit kann ich den vielen schwellbrüstigen Machern da draußen mit ihren fristgerecht eingereichten Steuererklärungen, der Zahnreinigung und der starken Rückenmuskulatur vielleicht ein Schnippchen schlagen. Welch ein Irrtum.

Sieben Tage ohne Nahrung


Also: sieben Tage ohne feste Nahrung. Nur Tee, Wasser, mittags etwas Brühe, abends etwas verdünnter Saft . Macht durchschnittlich 250 Kalorien am Tag. Klingt schlimm. Ist es auch. Ich folge dabei der Methode Buchinger, einer der hierzulande beliebtesten, weil wahrscheinlich radikalsten Hungerkuren. Der deutsche Arzt Otto Buchinger entwickelte sie um 1920 aus der Überzeugung heraus, das medizinische Fasten sei der „Königsweg ganzheitlicher Heilkunst“. Diese kulinarische Monokultur ist ein lukratives Geschäftsmodell. Buchingers Fastenklinik am Bodensee – eine weitere gibt es im spanischen Marbella – ist seit drei Generationen in Familienhand und kostet Minimum 2.000 Euro für eine Woche rundumbetreuter Nulldiät.

Ich quartiere mich also geistesgegenwärtig zuhause ein und bereite mich bei einem Henkerskaffee mental auf die große Leere vor. Zuvor habe ich mich im Supermarkt bereits mit Säften, Teebeuteln, Agavendicksaft (Teufelszeug!) und hefeextraktfreier Brühe eingedeckt. (Das Kassenfließband sah selten so traurig aus...) In der Apotheke führte mir eine weißbekittelte Dame dann eine Auswahl an Irrigatoren vor. Aufgrund meiner Migräneanfälligkeit riet sie mir zu Abführtropfen anstelle von Glaubersalz für eine erfolgreiche Darmentleerung. Ich entschied mich zögernd für das „Reisebesteck“ und finde, dass ich in diesem Moment sehr tapfer war.

Die Fastenwelt als Wille und Vorstellung


Der einzige Trost, der mich in dieser Woche begleiten wird, ist die Gewissheit, dass ich wohl momentan nicht die einzige auf Entzug bin. Denn für viele beginnen sie wieder vor Ostern: die Hunger Games. Gut jeder zehnte Deutsche nimmt die katholische Fastenzeit zum Anlass, um sich in irgendeiner Form der Askese zu üben. Süßigkeiten, Sex oder Smartphone, ganz gleich, Hauptsache, das Gewissen ist für den Rest des Jahres voller Hedonismus zumindest ein wenig beruhigt.

Der rein gesundheitliche Aspekt, Gewichtsreduktion, ebene Hautbilder oder Prävention für Allergien und Bluthochdruck, scheint dabei nur noch eine nachgestellte Rolle zu spielen. Im Streben nach Gesundung von den „Zivilisationsschäden“ unserer globalisierten Welt genügt es nicht länger, den Körper nur noch oberflächlich zu disziplinieren, ihn zu striegeln, zu trimmen und zu glätten. Nach Meinung der blühenden „detox“-Industrie sammeln sich im menschlichen Organismus nämlich Tag um Tag die kümmerlichen Reste unserer modernen Wohlstandsgesellschaft: Alkohol, Nikotin und Fastfood, Medikamente, Pestizide und Umweltschadstoffe. Nicht zu vergessen der Elektrosmog. Der Körper verkommt zum Sondermülldepot. Nie war das Bedürfnis nach innerer Reinigung so groß.

Es ist diese Idee vom schädlichen Ballast, der beim Fasten einfach abgeworfen beziehungsweise weggehungert wird, die Idee von übersättigten Menschen, die in Kurhotels, Entgiftungskliniken und Fastenklöstern Verzicht üben, um anschließend wieder entleert und entschleunigt in den Alltag entlassen zu werden. Diese neue Form der Enthaltsamkeit ist dabei mehr als bloßes Entsagen. Sie zeugt von Erhabenheit durch Läuterung. Das Darben reift hier zu einer quasi-religiösen Überzeugung heran, wobei die Vorstellung von der vollständigen körperlichen Reinigung allein durch Willenskraft fast schon spirituelle Qualität erhält.

Die Fastenwelt als Wille und Vorstellung.

Vom spirituellen Heureka-Erlebnis bin ich derweil noch meilenweit entfernt. Am dritten Tag ist der Hunger so unerträglich, dass er sich kaum noch wegtrinken lässt. Die gut sieben Liter Flüssigkeit, die ich meinem Körper täglich zuführe, verlassen ihn genauso schnell, wie er sie aufgenommen hat.

Nach dem fünften Fastentag wird der Hunger nicht etwa weniger (wie so häufig prophezeit), man hat sich schlichtweg an das ständige Magenknurren gewöhnt und begegnet ihm mit Apathie.

Zittern, Schwindel und hämmernde Kopfschmerzen wechseln sich ab. Jedes Mal, wenn ich aufstehe, zwingt mich der niedrige Blutdruck wieder in die Knie. Die Spaziergänge, die zum verordneten Bewegungspensum gehören, werden jeden Tag kürzer, weil mich der Hunger schwächt, bis ich am Schluss nur noch in Zeitlupe um den Häuserblock schleiche. Einfache Dehnübungen verursachen Stunden später ungeheure Muskelkrämpfe, da meinem Körper das Magnesium fehlt.

In acht Tagen habe ich knapp sechs Kilo verloren; schätzungsweise vier davon sind reine Muskelmasse. Ich schlafe in dieser Zeit schlecht und unruhig, bin ständig gereizt oder den Tränen nahe und meine Periode, nach der man sonst die Uhr stellen kann, setzt zwei Wochen zu früh ein.

Statt Energieschüben: Ausscheidungen aller Art


Auf die Euphorie- und Energieschübe, von denen in Blogs und Ratgebern berichtet wird, warte ich immer noch. Nach Ausdünstungen und Ausscheidungen aller Art, nach Mundgeruch und einem seltsamen Zungenbelag gesellt sich stattdessen zu meinem winselnden Schweinehund, den ich seit Tagen grimmig in seine Ecke verweise, nun auch noch der Vorwurf, ich sei in meiner Askese nicht weit genug gegangen. Dabei war der Geist doch so willig...

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) warnt vor einem derart radikalen Angriff auf die Energiereserven des Körpers. Der tagelange Nahrungsentzug birgt Risiken für Kreislauf, Herzrhythmus und Psyche, die viele viel zu leichtfertig in Kauf nehmen. Zwar kommt man in Medizinerkreisen mittlerweile soweit überein, dass periodisches Fasten bei manchen chronischen Erkrankungen sinnvoll sein könne, da es zur Durchbrechung einer ungesunden Lebens- und Ernährungsweise führe. Doch meist nur im Zusammenhang mit einer umfassenden Ernährungsumstellung unter ärztlicher Betreuung. Das herbeizuhungernde Hoch jedenfalls sei nicht mehr als ein durch Endorphine angereichertes Phantomgefühl und gehört zur Heilserwartung im Fastenuniversum wie das Placebo zur Medizin.

Kontrollierte Selbstüberwingung - eine existenzielle Erfahrung


Glücklich durch Verzicht. Erleuchtung durch Entsagung. Innerer Friede durch innere Leere. Wo einen früher noch unreine Poren plagten, sollen heute ganz andere Dämonen durch fragwürdige paramedizinische Reinigungsexerzitien ausgetrieben werden. Fröhlich geißeln wir unseren Körper, wobei sich die Pein als Einlauf tarnt. Und zu allem Überfluss stilisieren wir diese Lifestyle-Selbstkasteiung dann auch noch zur existenziellen Erfahrung.

Denn darum geht es eigentlich: um kontrollierte Selbstüberwindung. Es geht schlichtweg um die Stärkung unseres eigenen Egos, indem wir unsere Willenskraft testen und dem Rest der Welt beweisen: Ich habe mich unter Kontrolle. Das Leistungsprinzip ist also endlich auch dort angekommen, wo es eigentlich nichts zu suchen hat: bei der Gesundheit. Denn Gesundheit, körperliche als auch seelische Unversehrtheit, sollte im Normalfall keine Leistung sein, die erbracht werden muss. Ein gesundes Körpergefühl hat selten etwas mit Zwang zu tun und noch weniger mit Sühne.

Ich für meinen Teil sitze nach einer Woche Hungerkur demütig vor einer Tasse Milchkaffee und einem gedünsteten Apfel, für dessen Verzehr ich 20 Minuten brauche. Kauen fühlt sich komisch an und ich frage mich, wozu der Mensch weißen raffinierten Zucker braucht?

Einmal Heilfasten und zurück. Ich setze einen dicken Haken hinter dem Punkt auf meiner Selbstversuchs-Liste mit dem Fazit: Wer sonst keine Probleme hat...

Vielleicht war das mit der konzentrierten Passivität auch der falsche Ansatz. Meine Augen wandern zum nächsten Punkt auf der Liste und ich denke mir, warum nicht einfach mal machen? Marathon-Laufen soll ja eine einmalige Erfahrung sein.

Und so gesund.

Habe ich erst kürzlich wieder irgendwo gelesen.

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