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Missbrauch bei den Grünen - Die sexuelle Revolution fand nicht statt

Kisslers Konter: Ein Bericht offenbart pädophile Abgründe bei den Berliner Grünen bis in die neunziger Jahre. Die Aufarbeitung stellt eine Grundannahme grüner Weltanschauung in Frage: Dass eine sexuell entriegelte auch eine sozial befreite Gesellschaft wäre

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es war eine arbeitsreiche Woche für das Spitzenpersonal der „Grünen“: Anton Hofreiter, Fraktionschef im Bundestag, äußerte sich bei n-tv zum Tarifeinheitsgesetz. Es sei „verfassungswidrig in unseren Augen“. Bundesvorsitzende Simone Peter beklagte bei Twitter die Unwilligkeit von Landeswirtschaftsminister Schmidt, das Schreddern männlicher Küken zu verhindern. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin im Bundestag auch sie, forderte einmal mehr die völlige rechtliche Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft. Business as usual nennt man das wohl, die Welt retten, die Umwelt lieben, gut sein: Klientelpflege einer 10-Prozent-Partei auf der Oppositionsbank.

Blind für die Opfer
 

In der zurückliegenden Woche ereignete sich jedoch auch ein GAU im Berliner Landesverband der „Grünen“: „Die Schwulen-AG unserer Partei war bis 1993 mehr oder minder ein Pädo-Bereich“. Mit diesen Worten fasst Thomas Birk, grüner Abgeordneter, Sprecher für „Queer“-Politik und Mitglied der Kommission zur Aufarbeitung, sein Entsetzen zusammen über die unheiligen Umtriebe in der Westberliner „Alternativen Liste“ und deren Umfeld. Von bis zu tausend missbrauchten Knaben ist die Rede, doch es können auch einige hundert weniger gewesen sein. Die Landeschefin der „Grünen“, Bettina Jarasch, bekannte ihre Scham für „das institutionelle Versagen unserer Partei, das durch unsere Recherchen so offenkundig und unleugbar geworden ist.“

Man habe „womöglich auch Opportunismus gegenüber der Schwulenbewegung“ gezeigt, „aus der die Forderungen an uns herangetragen wurden. Außerdem verstand man sich als Sprachrohr aller Minderheiten: Das vor allem hat es den pädosexuellen Aktivisten ermöglicht, sich selbst als vermeintliche Opfer gesellschaftlicher Diskriminierung darzustellen. Für die eigentlichen Opfer war man blind – insbesondere, wenn es sich dabei um Jungen handelte.“ Der Kommissionsbericht wirft zudem die für die „Vorzeige“-Grüne Renate Künast unangenehme Frage auf, ob sie, wie weite Teile ihrer Partei, noch 1986 an die Mär vom einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen glaubte.

Am heutigen Dienstag berichtet der Berliner „Tagesspiegel“ über den schwierigen Kampf einer Sozialarbeiterin, die in den 90er Jahren „zur Zielscheibe wurde von Pädophilen, die im bunten, alternativen Kreuzberg Deckung für ihren Missbrauch fanden. (…) Lange hat kaum jemand ihre Warnungen über die Umtriebe der Pädosexuellen in Kreuzberg hören wollen.“ Rund 20 Sexualstraftäter sind laut Kommissionbericht Ende der 70er Jahre der „Alternativen Liste“ beigetreten. Der „Tagesspiegel“ beschreibt „absurde Verhältnisse. Pädophile durften offen auftreten, während einem Wirt, der Gerichte mit Preisen über zehn D-Mark anbot, ein Eimer mit Fäkalien ins Restaurant geschüttet wurde.“ Alles im Namen einer linken „Anti-Spießer-Parole“. Wer sich als Opfer gerierte, durfte alles. Täter waren immer die anderen, im Zweifel traf die Schuld das „repressive System“.

Sex macht nicht frei
 

Doch waren die weithin tolerierten oder aktiv ignorierten Knabenvergewaltigungen nur ein schlimmer Kollateralschaden im Kampf um sexuelle Befreiung, ein heute glücklich überwundener blinder Fleck? Gewiss gibt es das aggressive Pädophilenmilieu heute nicht mehr in dieser selbstgewissen Öffentlichkeit. Jedoch greift die Deutung zu kurz, es seien überschießende Effekte einer damals radikal neuen grünen Bewegung gewesen, Irrwege des Anfangs. Bis heute nämlich gehört zum Kern des grünen Weltbilds die Überzeugung, dass eine sexuell entriegelte eine sozial befreite Gesellschaft wäre. Dieser Nexus hat sich nun als Trugschluss erwiesen.

Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch hat soeben im „SZ-Magazin“ daran erinnert, dass „neue Freiheiten (…) stets neue Zwänge mit sich brachten“, gerade in der „neosexuellen Revolution“ nach 1968. Für diesen Zusammenhang fehlt weiten Teilen der „Grünen“ die richtige Brille. Wer am Sexus und immer wieder am Sexus ansetzt, um die Gesellschaft in seinem Sinne aufzuklären, umzuerziehen, anzuleiten und zu lenken, der landet eben nicht bei der freien Gesellschaft. Sondern beim Menschen als Triebwesen – und damit bei einem Machtgefälle neuer und abermals unfreier Art.

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