- Volles Leben
Ein Portrait des Opernsängers Michael Volle, der sich erst jetzt - mit fünfzig Lebensjahren - zutraut, manche Stücke zu singen.
Mit 50 fängt meistens das Lamento an. „Vor zehn Jahren hätte ich das noch gekonnt“, heißt der Refrain bei vielen. Michael Volle, 51, hingegen hat seine kräftigen Arme vor der Brust verschränkt und erzählt, dass er nun zum ersten Mal den Hans Sachs singen wird, in Wagners „Meistersingern“ am Opernhaus Zürich. „Vor zwei Jahren“, sagt er, „hätte ich das noch nicht gekonnt.“
Seit kurzem ist er zudem zum zweiten Mal verheiratet, seine Frau hat im Januar ihr zweites Kind von ihm zur Welt gebracht. „Und ich habe zwei neue Knie!“ Er lacht. Das Zimmer in der Münchner Staatsoper, in dem wir uns treffen, steht Solisten zum Einsingen zur Verfügung. Für Michael Volles Stimme ist es bereits beim Lachen zu klein.
Die Knie wird er brauchen. Schongang auf der Bühne ist Volle fremd, ob er als Alban Bergs Wozzek im Starrkrampf der Verzweiflung zittert, sich als Hans Werner Henzes Pentheus von den Bacchen abschlachten lässt oder als Mozarts Don Giovanni schreiend zur Hölle fährt. Seinen ersten Wotan sang er im November vergangenen Jahres und im nächsten darf Volle endlich den Scarpia in Puccinis „Tosca“ am Royal Opera House in London singen.
Spät, aber nicht zu spät, kommt der Hans Sachs – wie vieles im Leben des schwäbischen Pfarrerssohns, der erst mit 25 anfing, Gesang zu studieren und nach Eigenauskunft erst danach singen lernte: „Mein Lehrer Josef Metternich hat zu mir gesagt: Wenn du auf die Bühne kommst, groß und stattlich, dann sagen die Leute ‚Baaah!‘ Und wenn du singst, sagen sie: ‚Ooch‘. Er hat meine Stimme vom Kopf in den Körper geholt.“
Ein Wunderkind war Volle nie. „Ich hatte früher immer das Gefühl, hinter den anderen dreinzuhecheln. Und ich hab’ das durch Herumkaspern zu kompensieren versucht.“ Vom Kaspern blieb nur die Lust am Lachen in allen Tonlagen und Tonarten.
Volle lacht in Dur über die Tatsache, dass der Bariton immer Mörder, Versager, Intrigant oder herrschsüchtiger Vater ist, in Moll über Kollegen, die den Portier übersehen, den Maskenbildner nicht grüßen, und die dann vonVolle darauf hingewiesen werden. Er lacht con fuoco über Wagners Wotan, „der krude Vorstellungen verbreitet, große Sachen verbrät, auf dem Bauch landet“, und über Sätze in den Libretti des Meisters: „Manche sind so kompliziert konstruiert, dass man am Ende nicht mehr weiß, wie sie angefangen haben, oft sind sie auch blöd, aber die Musik ist einfach genial.“
Sein Lachen lässt die Luft ab aus allem, was aufgeblasen daherkommt. Deswegen wird er nicht nur vom Publikum, sondern auch von seinen Musikerkollegen geliebt. Bevorzugt aber lacht Michael Volle kopfschüttelnd über sich selbst. Darüber etwa, wie lange er gebraucht hat, um die Schonbezüge eines schwäbischen Pietismus’ abzulegen: „Ich musste erst lernen, den Erfolg zu genießen und Komplimente anzunehmen. Wenn einer meinen Papageno gelobt hat, dann hab’ ich gesagt: ‚Das ist eben Mozart.‘ Heute sage ich ‚Danke‘.“
Er lacht über sich als Lehrer, der bei Meisterkursen zuerst erklärt, er könne gar nicht unterrichten, obwohl er Pädagogik studiert hat. Er könne nur anraten, sagt er dann, wachsam zu sein vor den Versuchungen von Geld, Ruhm und falschem Ehrgeiz. „In jungen Jahren kann kaum ein Sänger abschätzen, was für ihn zu viel ist.“ Doch so schlimm er es findet, wenn einer seine Stimme ruiniert: „Ich hab kein Mitleid. Jeder muss auf sich selbst aufpassen.“ Nicht nur am Anfang. Jetzt, wo er ganz oben auf der Leiter steht, sieht Volle sich besonders gefährdet. „Mir sagt keiner mehr freiwillig, was ich falsch mache oder besser machen könnte.“ Deswegen bittet er Abendspielleiter oder Korrepetitoren, ihm ungeschminkt die Meinung zu sagen.
Oder seinen Bruder Hartmut, der Schauspieler ist. Nach einem Auftritt als Papageno hatte Hartmut dem Jüngeren einmal „den Rost runtergemacht“. Er habe nur auf Wirkung gesetzt, sichere Lacher kassiert und sei völlig an der Oberfläche geblieben. Seither ist Volle auf der Hut. Es gebe natürlich Kollegen in seinem Alter, die seit 30 Jahren keinen Unterricht mehr nähmen. „Aber ich brauch’ die Kontrolle.“ Seinen Lehrer Rudolf Piernay sucht er nach wie vor auf. Als ihm der Sachs angeboten wurde, hat er seinen Kollegen Wolfgang Schöne angerufen, der noch in hohem Alter Rollendebüts hatte, und ihn gefragt, ob er sich das zutrauen solle.
Volle kennt auch das fassungslose Lachen. Als er in Verdis „Falstaff“ vor vier Jahren den Ford sang und die Mezzosopranistin Gabriela Scherer die Meg Page, verliebte sich der brave Ehemann in die junge Kollegin. Dabei hatte er geglaubt, sein Schicksal im Griff zu haben. Seither muss Volle auch darüber lachen können, wenn sich seine neue Frau „mit ihrem Liebhaber auf der Bühne wälzt“. Trotzdem träumt er davon, sich von ihr und den anderen lustigen, listigen Weibern vorführen zu lassen und im Falstaff die Titelpartie zu singen. „Perfekt werde ich nie“, sagt Volle. Aber wenn er als Falstaff am Schluss singt: „Tutto nel mondo è burla, l’uom’ è nato burlone“ („Alles auf der Welt ist Spaß, der Mensch ist als Narr geboren“), dann wird er so glaubhaft sein wie kaum ein anderer.
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