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(picture alliance) Vladimir Malakhov ist Intendant des Berliner Staatsballetts

Vladimir Malakhov - „Meinen Zenith hatte ich schon vor zehn Jahren“

Vladimir Malakhov ist längst ein Synonym für das Berliner Staatsballett. Der 43-jährige Ukrainer war der Retter in der Not, baute in kurzer Zeit eine erfolgreiche Compagnie auf. Ein internationaler Star ist er aber noch immer nicht

Vladimir Malakhov sieht abgehetzt aus. Morgen will er nach Mexiko fliegen, er soll dort auf einer Gala vor Präsident Felipe Calderón tanzen. Aber Heinz Spoerli, der bekannte Schweizer Choreograf, mit dem er gerade für die „Peer Gynt“-Premiere Ende November probt, will ihn nicht fortlassen. Es gibt Probleme. Malakhov ist der Intendant des Berliner Staatsballetts. Aber er ist auch Tänzer, ein weltberühmter zwar, aber dem Willen des Choreografen muss er sich trotzdem fügen. „Ob ich fliegen kann, ich weiß es nicht“, seufzt er, stützt seine Arme auf den Konferenztisch seines Büros und schiebt kokett die Unterlippe vor.

Auch jetzt noch, mit 43 Jahren, wirkt seine Statur knabenhaft. Um seine Beine spannt sich eine wollene Trainingshose aus geringeltem Strick, ein Designerstück, das der Tänzer aus dem ukrainischen Krivoy Rog auch schon bei Proben trug, als er vor zehn Jahren das Amt des Ballettdirektors antrat. Schüchtern war er bei seiner ersten Pressekonferenz, so schüchtern, dass er sich kaum den Blick zu heben traute. In den achtziger Jahren war er aus Moskau geflohen, er hatte feste Saisons in New York und Tokio, er war ein Weltstar im goldenen Käfig. Abgeschirmt von einem strengen Manager schien er außer Ballettsälen und Bühnen wenig zu kennen.

Aber Tänzer sind harte Arbeiter, von Kindheit an. Erst recht, wenn sie, wie Malakhov, eine der strengsten und besten Schulen der Welt, die Moskauer Bolschoi-Ballettschule absolviert haben. Jetzt, zehn Jahre später, ist nicht nur die Strickhose von Laufmaschen durchzogen, auch der ehemals vom Glück verwöhnte Star hat einige Niederlagen einstecken müssen. Aber er kämpft sich durch.

Zu Beginn galt er als Retter in größter Not. Sämtliche Compagnien der Stadt waren kaputtgespart, selbst das einst treue Stammpublikum blieb fern – bis Malakhov seinen Glamour erstrahlen ließ. Gut, erst kannte man ihn nicht in diesem Bolle-Berlin, in dem man vom Ballett überhaupt wenig wusste. Aber mit seiner einnehmenden Mischung aus Charme und Bescheidenheit und einer strategisch klugen Medienarbeit änderte er das in kürzester Zeit.

Ebenso schnell baute er eine hervorragende Compagnie auf. Sein größter Glücksgriff war die damals gerade erst 17-jährige Polina Semionova, die er direkt von der Bolschoi-Schule weg zu einer Ersten Solistin des Staatsballetts ernannte. Die „Baby-Ballerina“ wurde die junge, sensationell begabte Tänzerin in den Medien genannt. Den Begriff hat Malakhov vielleicht selbst lanciert. Wie die Claqueure, die er engagierte und die laut applaudierten, sobald er oder die Semionova die Bühne betraten, damit die Berliner Zuschauer wussten: Jetzt kommen die Stars.

Wie Malakhov nach einer Knieverletzung weitertanzt, auf der nächsten Seite

Inzwischen hat er so etwas nicht mehr nötig. Sein Name und das Staatsballett sind fast so etwas wie Synonyme geworden. Malakhovs Konterfei schmückt jede Publikation des Hauses, regelmäßig hängen Plakate von ihm in den Bahnhöfen und an den Litfaßsäulen der Hauptstadt. Wenn er auftritt, sind die Vorstellungen fast immer ausverkauft. Nur eines hat er nicht geschafft, obwohl das damals, als er vor zehn Jahren in Berlin startete, sein großer Plan war: ein berühmter Intendant zu werden. Zu einer der führenden Compagnien sollte das Berliner Ballett unter seiner Führung werden, in einer Liga spielen mit dem Pariser Ballett, dem St. Petersburger Mariinsky-Ballett, dem New York City Ballet.

Aber daraus wurde nichts. Denn bald zeigte sich, dass der Intendant mit dem eigenwilligen slawischen Gesicht und den braunen Mandelaugen zwar viel von Tänzern versteht und weiß, wie man mit unterhaltsamen Galaabenden die Säle füllt. Aber ein überragendes Gespür für talentierte Choreografen und für gute Stücke, das hat er nicht. So manche Provinzcompagnie verfügt über ein besseres Repertoire als das große Berliner Staatsballett.

Vielleicht tanzt Vladimir Malakhov deswegen immer noch. Obwohl er sich von einer Knieverletzung, die er sich ausgerechnet bei der Aufführung seines Lieblingsstücks „Schwanensee“ vor zwei Jahren zuzog, nie mehr ganz erholt hat. „Meinen Zenith hatte ich schon vor zehn Jahren, als ich hier anfing, überschritten“, sagt er selbst trocken und hart. Aber er sagt auch: „Es gibt für einen Tänzer nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen.“ Nein, in „Schwanensee“ wird er nie wieder tanzen können. Diese Art von Sprüngen, das ist für immer vorbei. Überhaupt tanzt er nur noch 50 Prozent seines einstigen Repertoires. Wie lange noch? „Vielleicht noch zwei oder drei Jahre lang“, sagt er. Aber das hat er vor zwei oder drei Jahren auch schon gesagt.

Auf der Bühne ist Vladimir Malakhov eine Erscheinung von enormer Präsenz. Sein Tanz, der Schwung seiner Bewegungen, ist von einer erlesenen, grazilen Schönheit. Im Leben wirkt er neuerdings still und leise. Vermutlich mit anderen Beratern im Hintergrund will er nun auch als Intendant noch einmal neu Fahrt aufnehmen. Schon in der vergangenen Spielzeit war das Programm entschieden klüger gewählt, ebenso in dieser. Ob dieser Beobachtung lächelt Malakhov nur freundlich. Gebeugt, ein Bein nachziehend, geht er hinaus. Sie warten schon auf ihn. 

Michaela Schlagenwerth ist Tanzkritikerin. Zuletzt erschien ihr Buch „Sasha Waltz: Gespräche“ (Alexander-Verlag)

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