Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(paramount) Jack und Rose – Galionsfiguren unserer Generation

Titanic und der Liebesfilm - Mehr Schmonzette, bitte!

Es ist so leicht, sich über ihn lustig zu machen: den Liebesfilm. Doch damit tun wir dem verkannten Genre Unrecht. Denn eines ist sicher: Die Filmwelt wäre ärmer, ohne die Schmonzette. Das Beispiel Titanic beweist es

Es ist ja so leicht. So leicht, sich über den Liebesfilm als solchen lustig zu machen. So leicht, als sogenannter Connaisseur mit gönnerhaften Arroganz über dieses verkannte Genre zu spotten und verächtlich „Schmonzette“ zu hüsteln. Als müsste man jedes Mal demütig einen Knicks machen, wenn einem beim Durchstreifen der eigenen DVD-Sammlung Alain Resnais oder Michelangelo Antonioni in die Hände fallen.

Was wäre denn die Filmwelt ohne Sallys gespielten Orgasmus und Harrys denkwürdige Liebeserklärung am Silvesterabend um Mitternacht? Was wäre die Filmwelt ohne Scarlett O’Hara und Rhett Butler, ohne „Ich seh‘ dir in die Augen, Kleines“, ohne die Hebefigur in Dirty Dancing, ohne Julia Roberts‘ charmantes Escargot-Debakel in Pretty Woman und ohne Meg Ryan, die erst in der letzten Szene von Schlaflos in Seattle Tom Hanks auf dem Empire State Building begegnet. Die Filmwelt wäre ärmer.

Das darf man natürlich nicht laut sagen, denn schon schlägt der eingangs benannte Cineast die Hände über dem schüttelnden Haupt zusammen. Und auch für jede scheinbar noch so emanzipierte Frau (von mir aus auch für jeden noch so emanzipierten Mann) ist es kein Leichtes, ein derart gängiges Klischee zu bedienen, hilflos darin aufzugehen, ohne, dass einem die Schamesröte dabei ins Gesicht steigt.

Doch warum eigentlich? Was ist falsch daran, sich am Ende ein Tränchen aus dem Augenwinkel zu wischen, die Popcornschüssel seufzend zur Seite zu stellen und sich noch Stunden später im puren Gefühl zu suhlen? Nichts! Schieben wir also die Schamesröte und alle abschätzig blickenden Spielverderber beiseite und machen Platz für ein cineastisches Großod unter den Liebesfilmen: Titanic ist auf die Leinwand zurückgekehrt.

Das bildgewaltige Filmspektakel, das 1997 sämtliche Rekorde brach, elf Oscars einheimste und uns mit Celine Dions Schwanengesang in den Wahnsinn trieb, ist wieder da. Pünktlich zum 100sten Jahrestag des Untergangs der Titanic im Jahr 1912 serviert Regisseur James Cameron seine akribische Reinszenierung und lässt die Faszination an der Historie in den Köpfen der Menschen wieder aufleben. Dass er seinem Meisterwerk dafür blindwütig eine dritte Dimension aufzwängte, war mehr als überflüssig, aber gut. Die Geschichte von Jack und Rose bleibt die Geschichte einer Liebe, die Geschichte von Romeo und Julia, die sich nicht etwa über familiäre, sondern über soziale Schranken hinwegsetzen.

Die damals 20-jährige, noch so vollkommen unbeschriebene Kate Winslet glänzt in der Rolle der Rose und man möchte ihr für ihre unverfälschte Darbietung einfach nur den ihr damals verwehrten Oscar nachschmeißen. Mit ihrer unverbrauchten Frische, ihrem wachen Geist, dem roten Haare wehrt sie sich gegen das ihr aufgezwängte Korsett, das von ihrer Mutter gewaltsam oktroyierte soziale Rollenbild des aristokratischen Vorzeigeweibchens, das sie nicht mehr länger zu tragen bereit ist. Ihr an die Seite gestellt ist der junge Jack, gespielt von Leonardo DiCaprio, den der Zufall oder das Schicksal – wie immer man es auch nennen mag – in letzter Sekunde an Bord der Titanic spült. Mit seiner Unbefangenheit, seinem Übermut, seinem Sinn für die Leichtigkeit des Seins und der Philosophie, das „jeder Tag zählt“, entflammt er das beinahe schon erloschen geglaubte Feuer in Roses‘ Herzen.

Mit ihnen hat Cameron zwei Liebende auf der Leinwand ikonisch zusammengeführt und das Bild der beiden am Bug der Titanic, Rose mit ausgebreiteten Armen, Jack sie von hinten umgreifend, während sie „Ich fliege!“ haucht, zum Kult stilisiert, zu Galionsfiguren einer ganzen Generation und der Generation des romantischen Liebesdramas der 1990er Jahre. Geschickt unterstellt Cameron den Liebesepos der Thematik des Klassenkampfes, zwischen der besseren und der schlechteren Hälfte der Gesellschaft. Ein Motiv, das von der Finanzkrise der letzten Jahre verstärkt wird. Eingebettet wird all das in einen Rahmen, den die 100-jährige Überlebende Rose gestaltet, die mit ihren Erinnerungen nicht nur eine Gruppe von Tiefseeforschern bannt, sondern die Zuschauer gleich mit. Elegant verknüpft Cameron dieses narrative Element mit den Rückblenden zur kollektiven Katastrophe an Bord und lässt die Historie so ein Stück weit als Märchen erscheinen.

Nie lässt Cameron jedoch die eigentliche Liebesgeschichte aus den Augen, steigert das tragische Schicksal von Jack und Rose über die vollen 194 Minuten hinaus, bis hin zum katastrophalen Untergang, der beinahe in Echtzeit zelebriert wird. Bis es schließlich ganz still wird. Erschütternd präsentiert er den Atlantik als kaltes Grab hunderter lebloser Körper, die traurig in den Wellen treiben und  in welchem Rose mit letzter Kraft ihr Versprechen einlöst, sich dem Willen zu Überleben beugt und Jack in die Tiefen des Meeres hinabsinken lässt, sich von ihm löst, um sich selbst und damit Jacks Idee von Selbstverwirklichung zu retten.

Mit altmeisterlicher Souveränität inszeniert der damals 42-jährige Cameron die tragische Geschichte der Havarie, bei welcher von den 2.200 Seelen an Bord 1.500 den Tod fanden. Es sind Momente wie jener, als das Streichquartett – von welchem es auch in der historischen Überlieferung heißt, es habe bis zum bitteren Ende gespielt – während panische Passagiere verzweifelt zu den letzten Rettungsbooten hasten, „Nearer my god to thee“ anstimmt, mit einer solchen Zartheit, als sei der Untergang der Titanic nur dramatische Kulisse für diesen Choral mit der wundervollen Bethany-Melodie von Lowell Mason.

Inmitten dieser überwältigenden Geste, während sich das Schiff langsam zum finalen Absinken aufbäumt, wagt Cameron diesen Augenblick markerschütternder Ruhe. Er findet Zeit und Raum für Szenen wie die des Kapitäns, der unter den Wassermassen zu bersten drohenden Fensterscheiben seiner Kabine den letzten Gang an sein Steuerrad sucht. Er zeigt den Schiffsingenieur, der die Uhr im Speisesaal ein letztes Mal stellt. Und er zeigt einen Monet und einen Degas, die vergessen im Wasser treiben. Archaische Bilder, die sich so eindringlich in unser filmisches Gedächtnis geschraubt haben, dass sie auch nach fünfzehn Jahren noch Gänsehaut verursachen.

Oftmals wird das Schicksal der Titanic zur Metapher vom Scheitern der bürgerlichen Gesellschaft stilisiert, obschon es klare Verweise darauf gibt, dass in jener Aprilnacht 1912 die Passagiere der Titanic klassenlos ertrunken sind. Dem Lehrbuch gleich folgten die Offiziere an Bord der Seemanns-Moral „Frauen und Kinder zuerst“. Wenn die Geschichte der Titanic, dieses heroisch als unsinkbar erklärte Schiff, für eine Metapher herhalten muss, dann für die der menschlichen Hybris. So folgt Cameron dem antiken Gedanken und bestraft in seinem Film den Glauben des Menschen, sich über Gott, die Naturgewalten, die Titanen der Meere hinwegsetzen zu können. Aischylos hätte es nicht besser dichten können. 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.