- Lernen von den Kutschenherstellern
Wie groß das Print-Massengrab werden wird, kann nur spekuliert werden. Fest steht jedoch, dass die gedruckten Zeitungen nicht die Ersten wären, die den Sprung in die Moderne verfehlen. Vor rund 100 Jahren schaffte es nur ein einziger Kutschenhersteller, die aufkommende Automobilindustrie zu überleben – indem er selbst auf die Pferde verzichtete
Es sagt sich leicht, die Zeit der Zeitungen sei vorbei. Es sieht ja auch ganz danach aus: In zwei Tagen wird die Financial Times Deutschland das allerletzte Mal erscheinen. Und in zwei Monaten könnte es vorbei sein für die insolvente Frankfurter Rundschau. Doch es wäre zu früh, nun für die ganze Zunft Trauer zu läuten. Denn hier sterben Generationenblätter, die sich am Ende erstaunlich lange selbst überlebt hatten. Die anderen haben noch Zukunftschancen, allerdings nicht als bloße Zeitungen.
Am Freitag werden die Letzten die Ersten sein im befürchteten Print-Massengrab. Die FTD war die letzte neugegründete Tageszeitung in Deutschland. Zwölf Jahre ist das erst her – und zugleich ein ganzes Zeitalter: New Economy, Neue Mitte, Volksaktien für Jedermann – das Millennium erschien wie eine Wende hin zu neuen Märkten und Möglichkeiten. Doch die Neuen Medien waren im Jahr 2000 längst da, und es wirkte schon damals kühn, noch mit einem uralten Medium an den Start zu gehen, mit Buchstabendruck auf Papier, selbst wenn es rosa schimmerte.
Die FTD fiel auf als Mahnerin für Veränderungen aller anderen Branchen an der Schwelle des digitalen Jahrhunderts. Dort wähnte sie ihre Käufer, die eine neue Wirtschaft leben – und lesen – wollten. Doch es waren nie genug, um diese Zeitung am Leben zu halten. Die FTD wollte die Medien-Moderne der Nuller Jahre sein, so wie es die „Woche“ für die Neunziger versucht hatte. Statt Moderne wurde es Mode, und Mode vergeht.
Auch die FR war im Grunde das Kult-Blatt nur einer Generation. In den sechziger Jahren wies es den Anti-Adenauer-Deutschen aus, der die FAZ für so vorgestrig wie deren Frakturschrift hielt und Springers Welt für schlicht spießig. Das waren viele und wurden immer mehr. Es soll Jahre gegeben haben, in denen die FR Abo-Bestellungen zurückwies, weil sie mit dem Druck der Zeitungen nicht hinterherkam. Einen Teil ihrer Leser begann die FR schon vor 30 Jahren zu verlieren an die 1979 neu gegründete taz. Den Garaus machte ihr schließlich der Niedergang ins Provinzielle.
Wie alle anderen Zeitungen hatten auch diese zwei noch versucht, irgendwie online Fuß zu fassen. Doch eben nur irgendwie, was nicht reicht. So ganz genau weiß noch kein Zeitungshaus, wie es sich dort aufstellen soll, im Netz, um neues Geld zu verdienen. Immerhin wagen alle den Schritt, sehen „das Internet“ nicht mehr als „Phase“, die wieder vorübergeht. Sie sehen es als bedrohliche Konkurrenz ihrer eigenen Produkte; leider aber auch intern. Dort, wo Print und online nebeneinander arbeiten, hindern sie sich gegenseitig am Wachsen.
So ist es bisher immer gewesen: Ganze Branchen sind erloschen, weil sie unfähig waren, sich selbst in die Moderne zu transferieren. Vor 125 Jahren lachten die Kutschenhersteller über Leute wie Carl Benz und Gottfried Daimler und deren Kutschen ohne Pferd. Später werden sie die Vorteile ihrer Gefährte ähnlich romantisch beschrieben haben, wie es heute Zeitungsmacher tun: das Haptische, man braucht doch was zum Anfassen, das Neue gibt doch nie das alte Gefühl wieder, etwas in der Hand zu haben…
Doch kaum eine dieser Firmen, die mit dem Bau von Kutschen Vermögen machten und denen es blendend ging, als 1886 der erste Kraftwagen vorgeführt wurde, hat den Sprung in das Motorenzeitalter geschafft. Genau genommen gab es nur einen Kutschenhersteller, der hinterher mit dem Bau von Autos Geld verdiente: Karmann, später Karmann-Ghia. Der ist zwar inzwischen auch pleite, doch müssen sich die Zeitungsverleger heute trotzdem fragen, wer unter ihnen der Karmann der Printmedien sein wird.
Die Zeitungen stehen, verglichen mit der Geschichte von Kutsche und Auto, heute etwa im Jahr 1910. Die ersten zwanzig Jahre des Internets haben sie schlecht genutzt. Jetzt muss sehr schnell umsatteln, wer weiter leben will als Unternehmen.
Herausgeber, Geschäftsführer und Verleger suchen nun neue Geschäftsfelder. Mit der Autorität der einen Zeitung ließe sich vielleicht eine Business-School gründen, die Geld in die Kasse bringt; und mit dem Ansehen der anderen eine Tourismusbörse? Zeitungen werden womöglich quersubventioniert werden oder am Ende so viel kosten wie die ganzen anderen guten alten Dinge – und nur noch Kunden haben, die ihre Qualität zu schätzen wissen. Im Idealfall wird die feine Printzeitung ein Bei-Produkt sein, das zwar Geld kostet, aber wie edler Lack auch andere Produkte des Verlags glänzen lässt.
Der Zeitenwandel im Journalismus wird jedenfalls rasant an Tempo zunehmen. Es dauerte gut 50 Jahre, bis die Kutschen von den Straßen verschwunden waren. So viel Zeit ist dem Printjournalismus nicht vergönnt.
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