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() Das Moulin Rouge zu Zeiten der Valadon
Jede Frau ist ihre eigene Insel - Ein Künstlerleben am Fuße des Montmartre
Vom Aktmodell zur postimpressionistischen Legende: Der Lebensweg der Pariser Künstlerin Suzanne Valadon war so schillernd, dass er Stoff für einige abendfüllende Filme böte.
Der blaue Stoff mit dem weißen Rankenmuster ist einladend zur Seite geschlagen, aber die Frau auf dem Bett blickt in die Ferne. Eine Zigarette klemmt zwischen ihren Lippen, unangezündet. Der füllige Leib ist nur mit einer grün gestreiften Pyjamahose und einem losen Unterhemd angetan, und weil der Aprikosenton des Hemdes dem ihrer Haut sehr nahekommt, wirkt fast der ganze Oberkörper seltsam nackt. Zwei Bücher liegen auf dem Bett. Wahrscheinlich würde sie lieber lesen, als sich mit dem nächsten Kunden zu befassen. Denn dass es sich bei der Porträtierten um eine Dame aus der Demimonde handelt, ist kaum zu bezweifeln. Schon die Zigarette ist ein Hinweis. Im Jahr 1923, als die Künstlerin Suzanne Valadon dieses Bild malte, war das Rauchen noch den Männern vorbehalten. Unter Frauen galt es als eine Angewohnheit, die Prostituierte pflegten.
Valadons melancholisches Gemälde trägt den Titel „La Chambre bleue“ und hängt heute im Pariser Centre Pompidou. Inspiriert ist es von den marokkanischen Interieurs, die im Paris der zwanziger Jahre in Mode waren und die etwa auch in die verträumten Akte von Henri Matisse Eingang fanden. Valadon allerdings unterzieht das Motiv einem reality check: Der Putz bröckelt von den Wänden, und die Kurven des Modells gehorchen der Schwerkraft.
Als "La Chambre bleue" entstand, hatte die Malerin schon mehr als ein halbes Leben hinter sich, so prallvoll mit Geschichten, dass es Stoff für einige abendfüllende Filme böte. Als uneheliches Kind einer Wäscherin geboren, verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt zunächst als Serviererin und Gemüseverkäuferin in den Pariser Markthallen. Im Alter von 15 Jahren wurde sie Zirkusakrobatin, stürzte jedoch bei einem riskanten Sprung vom Trapez. Von da an verbrachte die Göre viel Zeit in der Künstlerszene des Montmartre. Sie diente Puvis de Chavannes, Auguste Renoir und Henri Toulouse-Lautrec als Modell und lernte en passant das malerische Handwerk. Renoir hat sie als hübsches, pausbackiges Mädchen festgehalten, Toulouse-Lautrec als müde, desillusionierte junge Trinkerin. Auch Edgar Degas war ein wichtiger Freund und Mentor.
So bunt wie ihre postimpressionistische Palette soll auch Valadons Liebesleben gewesen sein. Als junges Mädchen etwa hatte sie eine lange Affäre mit Toulouse-Lautrec. Er war es auch, der ihr vorschlug, ihren brav klingenden Namen Marie-Clémentine in Suzanne umzuwandeln. Sie war gerade 18 Jahre alt, als sie 1883 einen Sohn zur Welt brachte. Maurice Utrillo sollte später ein noch berühmterer Künstler werden als seine Mutter. Wer sein Vater gewesen ist, verriet Valadon nie. Den Nachnamen erhielt er von einem befreundeten spanischen Kunstkritiker.
Stillleben, Landschaften und Porträts stammen aus ihrer Hand, vor allem aber Akte: Frauen im Grünen oder auf einer Hängematte, auf dem Sofa oder einem Leopardenfell. Jahrelang war es Valadon selbst gewesen, die als Modell den forschenden Blicken der Maler standhalten musste, und vielleicht liegt es an dieser Erfahrung, dass die Frauen auf ihren Leinwänden, auch wenn sie unbekleidet sind, immer in sich zu ruhen und eine gewisse Distanz zum Betrachter aufzubauen scheinen. Oft legte sie schwarze Konturen um die Silhouetten ihrer Figuren und grenzte sie so von der Umgebung ab. Achtung, scheinen sie zu sagen: Jede Frau ist ihre eigene Insel.
Valadon musste sich nicht nur in einer Männerwelt behaupten, sondern, wie sie selbst sagte, in einer „Welt von Giganten“. Und sie war eine der wenigen Frauen, denen es gelang, diesen Giganten etwas Respekt abzuverlangen. Viele hielten ihr sogar über den Tod hinaus die Treue. Als die Malerin 1938 im Alter von 72 Jahren nach einem Schlaganfall starb, kam fast ganz Montmartre zu ihrer Beerdigung, darunter Georges Braque, André Derain und Pablo Picasso.
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