
- Leben und Werk eines Tomboys
Die fast vergessene Schrifstellerin Jane Bowles ist in einer Neuausgabe ihrer Werke wiederzuentdecken. Nicht nur eine Schriftstellerin für Schriftsteller
Truman Capote lobte den «völlig neuen, herben Ton», und die österreichische Schriftstellerin Margit Schreiner fasziniert das Fehlen jeglicher moralischen Wertung: «Im Grunde lässt sie den Leser so allein, weil alle ihre Figuren es sind.» Lange galt Jane Bowles als «a writer‘s writer» und war vor allem als Ehefrau des Autors Paul Bowles bekannt. Der Schöffling-Verlag gibt dem schmalen Werk der fast vergessenen Autorin jetzt mit zwei Bänden in Neuübersetzung und einem biografischen Beiheft eine verdiente neue Chance.
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Die Fotos im bebilderten Biografieband zeigen die 1917 in New York geborene Jane Auer als strahlenden «tomboy» in Kleidern, unterwegs zwischen Europa, Asien und Afrika. Als sie 1938 den Schriftsteller und Komponisten Paul Bowles heiratet, beginnt ein kräftezehrendes Bohemienleben. Die marokkanische Hafenstadt Tanger macht das Paar ab 1948 zum Schriftsteller-Mekka mit ausschweifenden Festen. Jane Bowles, die sich nach einem Reitunfall als «verkrüppelte jüdische Lesbe» bezeichnete, verbindet mit ihrem homosexuellen Ehemann eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung. Eine klare, kühle Zeitlosigkeit prägt die sieben Stories im Band «Einfache Freuden».
Mit bissigem, hintergründigem Humor protokolliert Bowles in bizarren Dialogen die Beziehungslosigkeit ihrer Protagonisten, die beflissen aneinander vorbeireden. Hinter jedem Satz lauert eine überraschende Wendung, wenn ihre meist weiblichen Figuren erfrischend frei von allen konventionellen Zwängen ihr persönliches Glück suchen. Mit dramaturgisch exaktem Timing erzählt die Titelgeschichte «Einfache Freuden», wie der gemeinsame Abend von zwei Einzelgängern tragisch-skurril entgleitet. Als sich der gutwillige Mr. Drakes endlich zum erhofften Heiratsantrag aufrafft, treibt Mrs. Perrys unterschwelliger Groll wundersame Sprachblüten: «Ich nehme an, dass Sie gerne eine Frau hätten, die Ihnen dreimal am Tag Ihren Kartoffelbrei stampft. Aber ich bin keine Kartoffelbrei-Stampferin und bin es nie gewesen.»
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Die Widersprüchlichkeit unserer Wünsche, ungelenke Dialoge, falsche Erwartungen und trügerische Selbstbilder sind die Themen von Jane Bowles. Die Kurzgeschichte «Alles ist nett» wirft ein Schlaglicht auf die kulturellen Gegensätze zwischen den Einheimischen in Tangers arabischem Kasbah-Viertel und den US-Expatriates, die zwischen Orient-Idylle und Neustadt pendeln. Es lässt den Beigeschmack kolonialer Überheblichkeit ahnen, mit dem Jane Bowles und ihr Ehemann sich zwischen beiden Welten bewegten. Ein Leben im ständigen Aufbruch, wechselnde Beziehungen und Wohnorte, Schreibblockaden, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch belasten die Autorin zunehmend. «Ich bin tatsächlich zerstört, und das habe ich mir seit Jahren gewünscht», sagt Frieda Copperfield in Bowles’ einzigem Roman «Zwei ernsthafte Damen». «Ich weiß, ich bin so schuldig, wie man es nur sein kann, aber ich habe mein Glück, das ich wie eine Löwin verteidige, und ich habe Autorität und ein gewisses Maß an Wagemut.» Das hellsichtige Frühwerk der 26-jährigen Jane Bowles summiert ihre Lebensphilosophie.
Der Roman ohne eigentliche Handlung begleitet Mrs. Copperfield und Miss Goering auf einer Selbstfindungsreise mit scheinbar erschreckendem Ergebnis. Mrs. Copperfield bricht in Panama aus ihrer behüteten Ehe aus und lebt mit einer jungen farbigen Prostituierten zusammen. Mit ihr hat sie bei einem Bad im Meer zum ersten Mal sinnliche Freuden erfahren. Miss Goering, eine wohlsituierte New Yorker Erbin, verkauft ihr Anwesen, zieht mit einem lethargischen Mann und einer narzisstischen Freundin in eine ärmliche Unterkunft und prostituiert sich für wechselnde Männer. Immer geht es darum, die anfängliche Angst zu bannen und einen weiteren Schritt auf unbekanntes Terrain zu wagen. «Sie sehen ein bisschen heruntergewirtschaftet aus», bemerkt Miss Goering beim Treffen mit der abgemagerten Mrs. Copperfield, aber die ist «absolut zufrieden und glücklich».
Der Roman, die Kurzgeschichten und ein eigens für diese Ausgabe zusammengestellter Biografie-Band machen Lust, den Sinn von Konventionen zu hinterfragen. Vergleiche mit der Biografie von Virginia Woolf und den Texten der mit Bowles befreundeten Carson McCullers treffen allerdings nicht wirklich die Eigenart dieser Schriftstellerin, die um jeden Satz ringen musste. Die Übersetzung von Brigitte Walitzek orientiert sich am schnörkellosen Stil der amerikanischen Vorlage und zeigt auch Mut zu lautmalerischen Neuschöpfungen, wenn etwa die Sonnenschirme im Wind «flappen» statt zu flattern.
Im April 1957 erlitt die 40-Jährige einen Schlaganfall, von dessen Folgen sie sich nicht mehr erholte. Paul Bowles brachte seine kranke Frau 1967 in eine psychiatrische Klinik nach Málaga, wo sie, gelähmt und blind, am 4. Mai 1973 starb.
Jane Bowles: Gesammelte Werke, Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, Schöffling, Frankfurt a. M. 2012, 584 S., 44 €
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