- Import-Bräute packen aus
Necla Kelek polemisiert gegen türkische Heiratsgewohnheiten in Deutschland und richtet eine harsche Kritik an den Islam
Die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek möchte uns, und ganz besonders den Gutmenschen unter uns, die Augen öffnen mit ihrem «Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland». Genauer gesagt, mit einem Bericht über «Import-Bräute» aus der Türkei. Kelek spricht damit ein in der Tat weit verbreitetes und der Integration oft abträgliches Phänomen an: die türkische Heiratsmigration.
42 Prozent der türkischen Berliner haben einen aus der Türkei zugezogenen Partner, Männer doppelt so oft wie Frauen. Die typische «Import-Braut» ist ein 18-jähriges Mädchen vom anatolischen Dorf, das von den Eltern an einen fremden Verwandten in Deutschland verheiratet wird. Dort lebt sie in Familie und türkischer Gemeinde, aber ohne deutsche Außenkontakte, spricht mit ihren Kindern Türkisch, weil sie nie Deutsch gelernt hat, und erzieht sie nach der Tradition ihrer Heimat – was die hier geborene zweite Generation nicht gerade aufs Leben in einer modernen Wissensgesellschaft vorbereitet.
Zu diesem Typus wäre einiges zu sagen. Doch Kelek holt weit aus, bevor es dazu kommt: In der ersten Hälfte des Buches schwelgt sie in Erinnerungen an den tscherkessischen Urgroßvater, ihre Kindheit in Istanbul, den moderneversessenen Traum vom amerikanischen Leben und den Alptraum der Ankunft in Deutschland. So weit, so packend. Die Ehedramen von Eltern, Bruder und Schwester könnten Romane füllen und führen ein in das Phänomen, das auch dem Import zugrunde liegt: Die arrangierte Ehe, wie in vormodernen Gesellschaften üblich, ist uns, die wir auf Liebe und Selbstwahl bestehen, völlig fremd.
Wenn andere den Mann auswählen
Mit der Lektüre von Keleks Fallstudien beginnt dann ein Wechselbad der Gefühle. Die Autorin deckt echte Missstände auf und prangert sie zu Recht an – sie vereinfacht jedoch in ihrer Analyse derart polemisch, dass man fast die Geduld verliert. So hält Kelek arrangierte Ehen grundsätzlich für Zwangsheiraten. Nach einer von ihr zitierten Studie des Familienministeriums haben für die Hälfte der türkischen Frauen die Eltern die Wahl getroffen, drei Viertel waren damit einverstanden, acht Prozent fühlten sich gezwungen. Das heißt: die Betroffenen differenzieren, aber Kelek will davon nichts wissen.
Das ist umso ärgerlicher, als die von ihr selbst befragten Frauen die differenzierende Perspektive bestätigen: Sechs Schicksale zeigt sie, eines faszinierender als das andere. Schicksale, die Zwang mit tragischen Folgen vorführen oder Liebe seit der Hochzeitsnacht oder auch ein durch Religion gewonnenes Selbstbewusstsein samt nachträglicher Kritik an der Verheiratung – das ist die schwarzweißgraue Realität. Arrangierte Ehen können scheitern oder gelingen, wie Liebes-Ehen auch. Doch verwerflich und schon heute strafbar ist nur der Zwang, die Nötigung. Die schon verabschiedete Strafverschärfung allein, da hat Kelek Recht, wird es nicht richten. Die eleganteste Lösung wäre, das Mindestalter für die Familienzusammenführung aufgrund von Eheschließung, wie in Holland und Dänemark, auf 21 oder 24 Jahre hinaufzusetzen: Packen wir’s an!
Damit sind die vielfältigen und durch beiderseitige Versäumnisse verursachten Integrationsdefizite allerdings noch nicht behoben. Denn diese haben auf türkischer Seite ihren Grund ja nicht darin, dass die eingewanderten Bräute kein Deutsch können, sondern darin, dass viele von ihnen es nicht lernen wollen, weil sie sich für ein Leben nur unter Türken entschieden haben.
Ist «der» Islam schuld?
Zu diesem Rückzug in eine eigene Welt bietet Kelek eindeutige Originaltöne, aber keine Zahlen. Nun denn: In überwiegend mono-ethnischen Wohnvierteln lebt ein Fünftel der Türken. Den Wunsch nach Abschottung – nach dem Motto: «Wir Türken müssen unter uns bleiben!» – hegen aber nur 15,4 Prozent, drei Viertel sind anderer Auffassung. Von einem Rückzug auf breiter Front kann also nicht die Rede sein. Auch kann man die Schuld an dieser desintegrativen Einstellung nicht einfach «dem» Islam in die Schuhe schieben, wie es Kelek tut. Denn selbst stark religiöse Muslime stimmen der Abschottung nur zu einem Drittel zu, die Hälfte widerspricht.
Der Islam, genauer gesagt, ein starker Glaube kann, muss aber kein Integrationshindernis sein. Das unterschlägt Kelek. Sie ist überzeugt: Eine dem freien Individuum gegenüber feindlich gestimmte islamische Leitkultur prägt das Handeln der Migranten «bis in den letzten Winkel des Alltags». Und weiter: «Wer glaubt, dass sich diese Haltung im Laufe der Generationen gleichsam ‹auswächst›, der irrt.»
Gut gebrüllt, Löwin! In Keleks Dissertation über türkische Jugendliche allerdings, die im Jahr 2002 unter dem Titel «Islam im Alltag» erschien, stand noch das Gegenteil: «Ihre Lebensentwürfe und ihre soziale Praxis sind längst stark geprägt von Orientierungsmustern der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Zusammenfassend ist perspektivisch eine weitgehende Anpassung an die Lebensweisen der westlichen Moderne festzustellen.» Es ist betrüblich, wie wenig die eigene Erkenntnis beim Schritt zur politischen Streitschrift gilt. Necla Keleks stramm kemalistischer Übereifer – sie zitiert Atatürk: «Der Islam ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet» – schadet einer guten Sache.
Necla Kelek
Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des
türkischen Lebens in Deutschland
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 270 S., 18,90 €
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