- "Ich stand in dir"
Paul Celans poetisch-erotischer Briefwechsel mit Ilana Shmueli, seiner letzten Geliebten
Ich will Dir Jerusalem zeigen», schrieb Ilana Shmueli am 11. September 1967 an Paul Celan, der ihr sein Gedicht «Denk dir» mit einem knappen Gruß aus Paris geschickt hatte. Die Jerusalemer Soziologin kannte Paul Antschel noch aus der Zeit, bevor er als Paul Celan weltberühmt wurde. Die beiden hatten sich während der deutsch-rumänischen Okkupation ihrer Geburtsstadt Czernowitz regelmäßig getroffen. Das war 1941. Damals, erinnert sich Shmueli heute, schafften sie es im Kreis der Freunde mitunter, auf eine andere Wirklichkeitsebene überzuwechseln. Sie erlebten Tage, an denen die von Celan später immer wieder beschworenen «Gegenworte» tatsächlich zur Geltung kamen. Und ausgerechnet die deutsche Literatur war für die jungen, hochbegabten Czernowitzer Juden das wirksamste Zaubermittel gegen die antisemitische Barbarei: «Wir trafen uns in dem schönen und hellen Raum von Jakob Silbermann … mit einer umfangreichen Bibliothek und wunderbaren Kunstalben. Am Rande der Vernichtung, unfaßbarer Bedrohung und ständiger Demütigung gelang es uns, eine eigene Gegenwelt zu schaffen.»
Dies schreibt Shmueli ein Menschenalter später, im Anhang der von ihr und Thomas Sparr sorgfältig edierten Ausgabe ihrer Korrespondenz mit Paul Celan. In dessen letztem Lebensjahr hatten die beiden eine kurze, stürmische Liebesbeziehung. Vor diesem Hintergrund auch ist es verständlich, dass Ilana Shmueli die philologische Sünde beging, einige besonders intime Details ihrer eigenen Briefe in der Edition zu streichen. Aber dank ihres ebenso persönlichen wie instruktiven Nachworts fällt der dadurch entstandene Textverlust vermutlich kaum ins Gewicht. In ihrem Rückblick gelingt es Ilana Shmueli, die Botschaften der Liebenden in ihre Lebensgeschichten einzubetten und einige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen – vor allem die hartnäckige Vorstellung, Celans Leben sei durch und durch von Tragik gezeichnet gewesen.
Der melancholische
Tenor vieler seiner Gedichte und Briefe spiegelt nur eine Seite in
Celans Existenz wider. Shmueli betont, dass er über «einen
unglaublichen Humor» verfügte, der «oft über schwere und traurige
Stunden hinweghalf». Einerseits lässt sie keinen Zweifel an der
Großartigkeit des Geliebten. Andererseits hebt sie sich aber auch
wohltuend vom üblichen Geniekult kratzfüßiger
Literaturwissenschaftler ab.
Nach den Jahren der Verfolgung trafen sich Paul Celan und Ilana Shmueli erstmals 1965 in Paris wieder. Einen Nachmittag und eine Nacht lang streiften die beiden durch Celans Wahlheimat und erzählten sich ihre Lebensgeschichten. Viel mehr geschah vermutlich nicht. So wird Shmuelis Wunsch, Celan Jerusalem zu zeigen, auf ihn 1967 wie eine Geste der Höflichkeit gewirkt haben. Zumindest fehlt seiner Antwort jeder erotische Unterton: «Es ist richtig, daß ich einen Israel-Besuch plane, hoffentlich läßt er sich recht bald verwirklichen; auch hier bin ich Deiner Zeilen zu ‹Denk Dir› eingedenk.»
Bis zur nächsten Nachricht verging über ein Jahr, und sie fiel denkbar knapp aus. Bereits in Tel Aviv eingetroffen, übermittelte Celan die Termine seiner Lesungen in Israel. Er hatte offenbar nicht einmal eine Ahnung davon, dass sich das Wiedersehen mit Ilana Shmueli am 16. Oktober 1969 zu einem der wichtigsten Ereignisse seines Lebens entwickeln sollte. Schließlich aber lernte er Jerusalem doch noch durch sie kennen, und der Tag mit Ilana Shmueli war so intensiv, dass die Hauptstadt Israels für ihn fortan untrennbar mit ihr verbunden war. «Daß Jerusalem eine Wende, eine Zäsur sein würde in meinem Leben – das wußte ich. Aber ich wußte nicht, daß ich dort beschenkt werden sollte mit Dir», schrieb er am 21. Oktober 1969 aus Paris.
Damit hatte für Celan nicht nur ein ungewöhnlich dichter Briefwechsel begonnen, sondern auch die Arbeit an seinem Jerusalem-Zyklus, der in den aus dem Nachlass veröffentlichten Band «Zeitgehöft» einging. Noch am Tag seiner Rückreise entstand ein fast prosaisches Gedicht, das Celan der Geliebten umgehend schickte:
ES STAND
der Feigensplitter auf deiner Lippe,
es stand
Jerusalem um uns,
es stand
der Hellkiefernduft
überm Dänenschiff, dem wir dankten,
ich stand
in dir.
Das weibliche Du der Gedichte «Ich stand in dir» – das ist zum einen ein erotisches Bild von obszöner Einfachheit und zum anderen die Chiffre für eine ganze Weltanschauung. Das Subjekt kann sich nur in der Beziehung zum anderen konstituieren: Ich stehe in dir wie in einem Buch verzeichnet, ich entziffere mich selbst in dir. Erkenntnis und Dichtung sind für Celan ohne die Begegnung zweier Menschen unvorstellbar. Nicht zufällig erinnert seine Poetik, die er 1960 in der legendären Büchnerpreis-Rede «Der Meridian» ausbreitete, an jüdische Gelehrte wie Emmanuel Levinas oder Franz Rosenzweig – und natürlich auch an das dialogische Dichtungsverständnis jenes russisch-jüdischen Schriftstellers, den er Ilana Shmueli inständig ans Herz legte: «Lies die Mandelstamm-Gedichte, sie sind mir am nächsten von den übersetzten.» Es gehört zu den landläufigen Vorurteilen, dass Celans Lyrik hermetisch sei und sich durch Verrätselung dem Verstehen entziehe. Zutreffend ist aber – und das wird durch diesen Briefwechsel besonders deutlich – eher das Gegenteil: Celan begibt sich mit seinen Gedichten auf die fortwährende Suche nach einem Gegenüber. Ihm ging es nie um esoterische Verdunkelung, sondern darum, einen angemessenen künstlerischen Ausdruck für sein schwieriges, immer wieder gefährdetes Dasein zu finden. Das Gegenüber, das Du seiner Gedichte war für ihn dabei wohl nie eine abstrakte Größe. Das macht Ilana Shmueli in ihrem Nachwort klar: «Ich wußte noch von früher her, daß Celan in seinen Gedichten immer wieder ein konkretes Du brauchte, meistens war es ein weibliches Du, ein wechselndes Du, das er ansprach und von dem er gehört werden wollte.»
«Wahnlast» und «Wirklichkeitslast» In den wenigen Monaten bis zu Celans Selbstmord in der Seine unternahm Ilana Shmueli alles, um dem Geliebten ein solches weibliches Du zu bleiben. Das war alles andere als leicht. Zwar machte Celan aus seiner Zuneigung keinen Hehl: «Ein Fleisch mit dir bin ich, / uns zu erbeuten», heißt es unzweideutig in einem der Ilana Shmueli gewidmeten Gedichte. Aber er kannte auch seine Bindungsschwierigkeiten, nicht umsonst lebte er getrennt von seiner Frau und seinem Sohn. Er litt seit gut zehn Jahren unter schweren Depressionen: «Dein Gesicht, Ilana. Dein jüdisches Gesicht. Dein Gesicht. Jerusalem hat mich aufgerichtet und gestärkt. Paris drückt mich nieder und höhlt mich aus. Paris, durch dessen Straßen und Häuser ich soviel Wahnlast, soviel Wirklichkeitslast geschleppt habe all diese Jahre.»
Diese «Wahnlast» belastete die Beziehung zu Ilana Shmueli, dafür ist die Korrespondenz der beiden ein erschütterndes Zeugnis. Wer in diesen Briefen Beschreibungen des Alltags eines der größten Lyriker des 20. Jahrhunderts sucht, den werden sie enttäuschen. Sie sind eher beschwörend als erzählend, sie leben von Wiederholungen, Anspielungen und intimen Code-Wörtern. Ilana Shmueli wurde das auch oft bewusst. So stellte sie am 17. November 1969 fest: «Rückblickend scheint es mir, als würde ich fast in jedem Brief dasselbe schreiben, denn ich fühle immer in dieselbe Richtung hin, u. scheine es immer zu wiederholen.»
Celan fehlte für solche Momente der Selbstreflexion die Kraft. «Du kennst meine Verfassung», erklärt er der Geliebten in seinem Geburtstagsbrief vom 6. März 1970. «Du weißt, wie es dazu gekommen ist, die Ärzte haben da viel zu verantworten, jeder Tag ist eine Last, das was Du ‹eine› – genauer: ‹meine eigene Gesundheit› nennst, das kann es wohl nie geben, die Zerstörungen reichen bis in den Kern meiner Existenz hinein. Aber gewiß: ich stehe noch, ich werde – ich will – stehen, eine ganze Weile noch. Deine Briefe, Dein Zu-mir-Sein bedeuten mir viel, sehr viel.»
Die zermürbende Monotonie der Depression griff auf Celans späte Liebesbriefe über. Und doch wird auch durch sie deutlich, dass der Prosa-Schriftsteller Celan vor allem ein Briefautor war. Im Vergleich zu
den mittlerweile veröffentlichten großen Korrespondenzen mit seiner Frau Gisèle, mit Nelly Sachs, Hermann Lenz und Ilana Shmueli wirken seine Reden und das «Gespräch im Gebirg» inhaltlich und stilistisch beinahe nebensächlich. Briefe waren für Celan mehr als ein Medium der Mitteilung, er nutzte sie als sprachliches Experimentierfeld. Wie in seiner Lyrik neigt er hier zu einer vielschichtigen, radikal poetischen Diktion. Und selbstverständlich erweitern die Briefe auch die Interpretationsmöglichkeiten der Lyrik Paul Celans: Zukünftig wird man die erotischen Bilder im zweiten Teil von «Zeitgehöft» nicht mehr übersehen können. Der Arbeitstitel dieses Zyklus lautete «Ilana» – es wurde ein verzweifeltes Hohelied im Zeichen von Auschwitz daraus.
Jan Bürger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Literaturarchiv in Marbach.
Paul Celan, Ilana Shmueli
Briefwechsel
Hg. von Ilana Shmueli und Thomas Sparr.
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004. 250 S., 20,80 €
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