Kurz und Bündig - Heinrich-August Winkler (Hg.): Griff nach der Deutungsmacht

«Griff nach der Weltmacht» lautete der Titel des Buches, mit dem der Hamburger Historiker Fritz Fischer zu Beginn der sechziger Jahre seine deut­schen Kollegen und Teile der Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte. Fischer vertrat die These, Deutschland sei keineswegs – wie bis dato in der Regel behauptet – in den Ers­ten Weltkrieg «hineingeschlittert», sondern habe den Krieg bewusst riskiert. Damit eröffnete er ein wichtiges Kapitel in der Geschichte deutscher Geschichtspolitik.

«Griff nach der Weltmacht» lautete der Titel des Buches, mit dem der Hamburger Historiker Fritz Fischer zu Beginn der sechziger Jahre seine deut­schen Kollegen und Teile der Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte. Fischer vertrat die These, Deutschland sei keineswegs – wie bis dato in der Regel behauptet – in den Ers­ten Weltkrieg «hineingeschlittert», sondern habe den Krieg bewusst riskiert. Damit eröffnete er ein wichtiges Kapitel in der Geschichte deutscher Geschichtspolitik. Auf welchen weiteren Feldern sich der Streit um die Interpretation historischer Ereignisse und der damit verbundene «Griff nach der Deutungsmacht» abspielte, kann man nun in einem verdienstvollen Sammelband nachlesen. Er enthält Beiträge jüngerer Historiker zu bislang eher wenig beachteten The­men. Dabei konzentriert sich das Buch auf Deutschland, weil, so Herausgeber Heinrich-August Winkler in der Ein­leitung, Geschichtspolitik auch hierzulande bislang fast ausschließlich im nationalen Rahmen betrieben worden ist. Zu Recht unterstreicht Winkler die Rolle der akademischen Forschung, wenn es darum geht, Geschichtspolitik zu forcieren und Mythen zu schaffen. Einzelne Aufsätze hervorzuheben fällt angesichts der konstanten Qualität schwer. Hilmar Sack analysiert,  wie die Erinnerung an den Dreißig­jährigen Krieg während der Revolution von 1848/49 politisch relevant wurde. Vor allem jene, die sich gegen Veränderungen stellten, warnten vor einem neuen Dreißigjährigen Krieg. Nachdem die 48er Revolution gescheitert war, wur­de sie selbst zum historischen Argument. Daniel Bussenius untersucht das zwiespältige Verhältnis der Weimarer Linken zu diesem Ereignis. Und Sebastian Schubert legt in einem materialreichen Beitrag dar, wie sich im geteilten Deutschland das Gedenken an die Reichsgründung von 1871 gestaltete. Er betont die große Bedeutung der Rede, die Bun­despräsident Heinemann zum 100. Jahrestag der Kaiserkrönung hielt. Scharf kriti­sierte Heinemann damals das obrigkeitsstaatliche Erbe der Bismarck-Zeit – und erhob den Anspruch, Geschichte zu deu­ten: «Hundert Jahre Deutsches Reich», sagte er, «dies heißt eben nicht einmal Versailles, sondern zweimal Versailles, 1871 und 1919, und dies heißt auch Auschwitz, Stalingrad und bedingungslose Kapitulation von 1945.» Wer ange­sichts aktueller Debatten mehr über den Zusammenhang von Geschichtswissenschaft und öffentlicher Erinnerung wissen will, sollte zu diesem Band greifen.

 

Heinrich-August Winkler (Hg.)
Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichts­politik in Deutschland
Wallstein, Göttingen 2004. 267 S., 34 €

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