- Gut gemacht und gut gemeint
Zwei Versionen von «Die Buddenbrooks» in einer monumentalen DVD-Edition
Die kleine Tony sitzt auf dem Schoß ihres Großvaters und soll das Glaubensbekenntnis aufsagen. Das gelingt ihr zwar nicht auf Anhieb, sie braucht Hilfe, aber dann schnurrt sie «glückstrahlend und unaufhaltsam, den ganzen Artikel daher, getreu nach dem Katechismus, wie er soeben, Anno 1835, unter Genehmigung eines hohen und wohlweisen Senates, neu revidiert, herausgegeben war». Als das kleine Mädchen schließlich ankommt bei «Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh», bricht der alte Buddenbrook in Gelächter aus, «in sein helles, verkniffenes Kichern, das er heimlich in Bereitschaft gehalten hatte».
Carl Raddatz als Monsieur
Johann Buddenbrook macht das virtuos und im besten Sinn
buchstabengetreu, er kichert gerade so, wie Thomas Mann es
geschrieben hat – zumindest so, wie wir es uns beim Lesen
vorstellen.
Mit dieser Familienszene beginnt nicht nur der Roman, sondern auch
die aufwändige Fernseh-Adaption aus dem Jahr 1978. «Die
Buddenbrooks» in elf Teilen, das war damals ein großes TV-Ereignis,
ausgestattet mit einem millionenschweren Produktionsetat, belohnt
von regem Zuschauerinteresse. Regisseur und Co-Drehbuchautor Franz
Peter Wirth hatte hochkarätig besetzt: Ruth Leuwerik, Martin
Benrath, Günter Strack, Karl Maria Schley, Michael Degen, Klaus
Schwarzkopf und eben Carl Raddatz. Wie Raddatz angesichts der
finanziellen Ansprüche seines Sohnes aus erster Ehe sich jede
Sentimentalität verbittet, das ist ein ebenso ergreifender
Augenblick wie der, als er ratlos am Totenbett seiner Frau sitzt.
Wenn er da «kurios» sagt, jenes Wort, das dem alten Kaufmann fortan
zum Lieblingsausspruch wird, erfüllt Raddatz die Szene mit
Tragik.
Diesen Darsteller-Höhepunkt erlebt man schon am Anfang der 617 «Buddenbrooks»-Minuten. Danach aber werden sie doch sehr lang: Die ausladende Literaturverfilmung kommt heute allzu gediegen daher. Die teure Ausstattung, die Kamerafahrten, der sonore Erzähler, die Wellen, die beim Kuss zwischen Tony und Morten heftig branden – all das zieht einen nicht in den Bann. Das liegt nicht zuletzt an den Hauptdarstellern; vor allem Reinhild Solf ist die große Leerstelle in diesem Fernsehfilm. Sie ist sichtlich bemüht, eine freche Tony Buddenbrook zu geben, bleibt aber sanft und langweilig. Michael Degen als Grünlich sieht aus, als käme er vom Maskenball und spielt so affektiert, als stünde er auf einer Laien-Theaterbühne; Ruth Leuwerik als alte Konsulin ist ganz und gar keine «glänzende Erscheinung», die das reiche Elternhaus fürs Leben geprägt hat. Man wird der Schauspieler vor allem deshalb überdrüssig, weil sie Vorbilder haben, die einem nicht aus dem Kopf gehen. Und von deren Intensität man sich auf der neuen DVD-Edition auch gleich überzeugen kann.
Sie enthält neben der Wirth’schen Fernsehfassung nämlich die Kino-«Buddenbrooks» von Alfred Weidenmann aus dem Jahr 1959. Weidenmann setzte ebenfalls auf berühmte Namen: Lil Dagovers Konsulin vermittelt noch im Alter die Naivität und Eleganz der Tochter aus verschwenderischem Haus, Robert Graf spielt den Grünlich nicht nur affektiert, sondern er ist von Anfang an ein durchtriebener, kalter Liebesschwindler, und die junge Liselotte Pulver war – und ist es bis heute – die ideale Tony Buddenbrook-Besetzung: frech und überheblich, eingebildet und beschränkt, charmant und liebenswert.
Erika Mann hat damals am Drehbuch mitgeschrieben – und sich gar nicht erst um so etwas wie eine Ganzwerkinterpretation bemüht. Der Film beginnt mit der Begegnung zwischen Tony Buddenbrook und ihrem künftigen ersten Mann, Herrn Grünlich aus Hamburg. Statt auf elegische Breite setzte man auf einen Kino-Rhythmus; in den beiden Teilen (insgesamt immerhin auch 197 Minuten) ging weder der Mann’sche Ton verloren, noch wurde dem Roman durch Kürzungen Gewalt angetan.
Die Gegenüberstellung der beiden Verfilmungen läuft auf den Unterschied zwischen «gut gemacht» und «gut gemeint» hinaus. Anders als bei den Akteuren von 1978 überstrahlten die Schauspielheroen von 1959 ihre mittelmäßigen Kollegen. Hansjörg Felmy etwa als Thomas Buddenbrook bleibt blass, aber das enttäuscht nicht allzu sehr, weil an seiner Seite der wunderbare Hans Lothar den Christian Buddenbrook spielt. Wie dieser die Leiden, die Symptome des eingebildeten Kranken markiert, das allein macht diese Literaturverfilmung sehenswert. Und die Schönheit von Nadja Tiller, ihre dunkle Fremdheit, bleibt im Gedächtnis, weil Frauen mit einer solchen Leinwand-Ausstrahlung im deutschen Kino – damals wie heute – nicht häufig anzutreffen sind.
Die
Buddenbrooks Edition. Verfall einer Familie
813 Min., Arthaus 2007
Regie: Alfred Weidenmann, Franz Peter Wirth
Mit Nadja Tiller, Hans Lothar, Liselotte Pulver, Ruth Leuwerik,
Michael Degen, Claus Raddatz u. a.
Thomas Mann
Die Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Roman
Fischer TB, Frankfurt a. M. 2005. 758 S., 10,95 €
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