- Konsumenten können die Gesellschaft nicht verbessern
Können Konsumenten die Märkte zähmen? Nein, sagt Caspar Dohmen in seinem neuen Buch "Otto Moralverbraucher". Verbraucher konsumierten hauptsächlich für ihre persönliche Gesundheit oder ihren Status. Menschen mit solchen Beweggründen könnten die Gesellschaft kaum nachhaltig verändern
Die Politikverdrossenheit ist groß. Der Versuch, das Geschehen mit dem Einkaufswagen zu beeinflussen, erfreut sich steigender Popularität unter den Bürgern. Das weit verbreitete Misstrauen gegenüber der politischen Gestaltungsmacht der Regierungen kann niemanden überraschen, schon gar nicht die Politiker selbst. Sie schüren selbst gehörig die Zweifel an ihren eigenen Möglichkeiten, wenn sie die Verantwortung für Krisen anonymen Kräften in die Schuhe schieben. Das machen sie regelmäßig, indem sie von versagenden Märkten oder fehlenden Regulierungen sprechen, oder gleich das System oder die Zwänge der Globalisierung für bestimmte Fehlentwicklungen verantwortlich machen.
Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr traut Konsumenten die Zähmung der Märkte zu. Zwei Trends hält er in diesem Zusammenhang für besonders wichtig: Aufgrund des rasanten Anstiegs des Lebensstandards habe sich der Handlungsspielraum der Konsumenten erhöht, da die Durchschnittsausgaben eines europäischen Haushalts für Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft seit Anfang des 20. Jahrhunderts von 80 Prozent auf weniger als 33 Prozent gesunken seien. Außerdem seien die Menschen so gut informiert wie noch nie. Diese Sicht des Wissenschaftlers korrespondiert mit der Selbsteinschätzung der Konsumenten.
Fragt man Verbraucher, ob sie heute mehr Macht gegenüber Unternehmen haben als früher, bejahen dies 57 Prozent (Trendstudie des Otto-Konzerns). Und nach einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach halten sich 71 Prozent der Verbraucher für eine der „wichtigsten Instanzen“, um eine bessere Lebensmittelqualität zu schaffen. Bei vielen Gelegenheiten werden Konsumenten in dieser Sichtweise gestärkt, beispielsweise durch das Scheitern des Kopenhagener Weltklimagipfels 2009, einem traurigen Tiefpunkt der kollektiven Umweltpolitik. Zwei Tage später sagte die damalige Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, nun müsse eben „jeder Einzelne vorangehen. Jeder Einzelne macht jetzt bei sich zuhause Kopenhagen.“
"Die Politiker verstecken sich fast vor den Bürgern"
Die Politiker „verstecken sich fast vor den Bürgern“, so fassen es die Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann, Joachim Kleves und Christina Rauh in der DEUPAS-Studie zusammen. Diese Studie zeigt, dass Parlamentarier ohne Selbstvertrauen in den Parlamenten die Verantwortung für die Gestaltung des politischen Wandels am liebsten den Bürgerinnen und Bürgern zuschieben wollen. Was ist die Ursache dieses politischen Offenbarungseids? Bei den einen sei es eine Ausweichstrategie, um zu verschleiern, dass sie etwas nicht durchsetzen könnten, und bei den anderen diene es dazu, zu verschleiern, dass man etwas nicht regulieren wolle, sagt Politikberater Geden. Er glaubt nicht, „dass es viele Politiker oder Parteien gibt, die ernsthaft glauben, dass die Veränderungen über den Konsum kommen“.
Es ist jedoch kein Zufall, dass der einzelne Marktteilnehmer eine besondere Konjunktur im Zeitgeschehen hat. Es liegt an einer gesellschaftlichen Entwicklung, die zunächst in der Wissenschaft und dann in der Politik stattgefunden hat: Einer generellen Ökonomisierung des Denkens und Handelns –sie begann in den Hörsälen der Universitäten. Immer mehr individuelle und gesellschaftliche Vorgänge bewerteten die Ökonomen durch ihre Brille. Der Wirtschaftswissenschaftler Gary Becker stellte sogar die Heirat als einen Berührungspunkt der individuellen ökonomischen Nutzenfunktionen von Mann und Frau dar. Für seine Arbeiten erhielt der Amerikaner 1992 den Nobelpreis für Wirtschaft. Außerdem trieben die Ökonomen einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel voran: weg vom Keynesianismus mit seinem großen Staatseinfluss, hin zu neoliberalem Wirtschaftsreformen.
Seit dem Siegeszug des neoliberalen Gedankenguts gab es erneut ein Umdenken in der Politik. Den Prozess und seine Folgen beschreibt der Politologe Colin Crouch: Der Wettbewerb wurde nicht mehr als Prozess betrachtet, der eine Vielfalt konkurrierender Anbieter, nahezu perfekte Märkte und reichhaltige Wahlfreiheit für die Konsumenten garantieren sollte. Stattdessen sollten Gesetzgeber und Ökonomen ihn ergebnisorientiert betrachten.
An die Stelle der liberalen Idee der Wahlfreiheit der Konsumenten trat damit die paternalistische Sorge um seinen Wohlstand, der zufolge der Verbraucher vor allem von sinkenden Preisen profitiere, „die natürlich eher von Großkonzernen als von kleinen und mittleren Unternehmen gewährleistet werden können“. Diese Entwicklung förderte die Konzentration bei den Unternehmen. Je weniger Anbieter es für ein bestimmtes Produkt gibt, desto weniger Einfluss haben logischerweise Konsumenten. Im Extremfalls des Monopols hat der Konsument nur noch eine Wahl: Kaufen oder nicht kaufen.
In der Realität ist es zu einer gehörigen Konzentration in vielen Wirtschaftsbranchen gekommen und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. International tätige Konzerne kontrollieren allein zwei Drittel des Welthandels. Ihre Umsätze übersteigen die Staatshaushalte vieler Länder. Solche Firmen sind so mächtig, dass es vielen Staaten schwer fällt, ihnen Grenzen zu setzen. Selbst den USA oder der EU fällt es beispielsweise schwer die Finanzkonzerne zu bändigen.
In den neunziger Jahren wurde erstmals erheblicher Widerstand gegen die Art und Weise der wirtschaftlichen Globalisierung sichtbar. Aktivisten forderten neue Regeln für die globale Wirtschaft. Fälschlicherweise sprechen viele von Globalisierungsgegnern, besser wäre es von Altermondialisten zu sprechen. Ein Höhepunkt erreichte die Bewegung mit den Protesten gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle 1999. Es entstanden ganz neue Organisationen wie Attac, zur Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen. Der politische Widerstand der Zivilgesellschaft gegen die Entwicklung des Wirtschafts-und Finanzsystems verebbte jedoch nach einiger Zeit auf der Weltbühne und flammte erst wieder nach dem Ausbruch der Finanzkrise für einige Zeit auf. Die Krise ist auch ein Resultat der falschen Politik, die einseitig auf die Verheißungen des neoliberalen Paradigmas ausgerichtet ist. Wer auf eine andere Politik setzt, der muss sich politisch betätigen. Der Konsument ist machtlos, wenn es um die Gestaltung der gesellschaftlichen Regeln geht.
Wer heute strategisch einkauft, denkt an seinen persönlichen Vorteil
Wer gezielt einkaufte oder Waren boykottierte, der wollte ursprünglich politische Änderungen erreichen: das Ende der Sklaverei, eine bessere Bezahlung für Arbeitnehmer, gleiche Bürgerrechte für Schwarze oder schärfere Umweltgesetze. Wer heute strategisch einkauft, verbindet damit oft kein politisches Anliegen, sondern denkt an seine persönliche Gesundheit oder seinen Status.
Wissenschaftler beobachten erstaunliche Verhaltensweise: So greifen Verbraucher eher zu korrekten Waren mit Signalcharakter für ihr Umfeld wie den Wagen mit Hybridantrieb oder die Solaranlage auf dem Dach statt zu fairen Produkten, die im Kühlschrank für niemand sichtbar landen. Verbraucher greifen auch eher im Laden zu grünen Produkten als online, weil sie beobachtet werden. Verkaufsfördernd kann es sogar wirken, wenn die grüne Alternative teurer ist als das konventionelle Produkt. Wer es kauft, demonstriert damit, dass er es sich leisten kann. Mit solchen Verbrauchern lassen sich gute Geschäfte machen, zumal sie oft auch noch überdurchschnittlich verdienen. Allerdings ist es mehr als fraglich, ob sich die Gesellschaft mit diesen Leuten nachhaltig verändern lässt.
Caspar Dohmen: Otto Moralverbraucher. Vom Sinn und Unsinn engagierten Konsumierens. Orell Füssli Verlag, Zürich 2014.
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