- Galsan Tschinag: Die Rückkehr. Roman meines Lebens
Wieder hat das Leben einen Roman geschrieben. Darin hat ein Nomadenjunge aus dem Altai-Gebirge zu DDR-Zeiten in Leipzig Germanistik studieren müssen, um im Alter als Häuptling und Schamane heimzukehren: «Das ist die Bergsteppenwelt des Hohen Altai im sanften Westen der Mongolei. Er ist unsere große Jurte. Ist sie noch in Ordnung, fühlen wir uns wohl in unserer Haut.
Wieder hat das Leben einen Roman geschrieben. Darin hat ein Nomadenjunge aus dem Altai-Gebirge zu DDR-Zeiten in Leipzig Germanistik studieren müssen, um im Alter als Häuptling und Schamane heimzukehren: «Das ist die Bergsteppenwelt des Hohen Altai im sanften Westen der Mongolei. Er ist unsere große Jurte. Ist sie noch in Ordnung, fühlen wir uns wohl in unserer Haut. Hier irgendwo, in einer windgeschützten, sonnenbeschienenen Falte der Schwarzen Berge, liegt meine Nabelschnur begraben.» Hier liegen auch seine Eltern begraben, und nun sagt er ihnen, wie Philip Roths «Everyman», dass er selbst längst nicht mehr jung ist: «Euer Kind steht gerade im Dschingis-Khan-Alter. Ob es noch älter werden wird?» Der Eroberer Dschingis Khan wurde 72 Jahre alt. Der Schriftsteller Galsan Tschinag wurde Anfang der 1940er Jahre geboren. Die Zeit läuft und gibt Anlass zum Lebensrückblick, aber «Die Rückkehr» ist keine wirkliche Autobiografie. Zu kurz und verstreut sind die Reminiszenzen an die Jahre in Deutschland, an Begegnungen mit dem Dalai Lama, an die Karawane, mit der Galsan Tschinags Volk in seine Nomadenheimat zurückkehrte. Zu wenig Zeit und Raum widmet dieses Buch der Erklärung
einer Welt der Schamanen und Owoos, in die der Erzähler behende zurückschlüpft, während der nicht jurtengeborene Leser sich verlegen umschaut. Der «Roman meines Lebens» beginnt mit einem Vorspiel, mit der «Geschichte eines hartnäckigen Traums» und der Vermutung, dass jeder Mensch der Traum eines höheren Wesens sei. Traum- und naturverloren ist auch immer wieder das Erzählen, und das sind die schönen Passagen. Kein Traum aber ist der Lastwagen, der Galsan Tschinag samt Ehefrau, Enkel und komplettem Hausstand an einen Fluss gebracht hat, wo er auf eine Karawane seiner Tuwa-Nomaden wartet, die ihn in seine alte Heimat bringen wird. Natürlich wird die Rückkehr gehörig gefeiert, doch schon bald fallen Wermutstropfen in die Tee- und Schnapsschalen. Seine Schamanen-Schülerinnen haben sich zerstritten, und ein besoffener Tagedieb provoziert ihn während einer feierlichen Weihe-Zeremonie. Überhaupt liegen die Nomadenwelt von gestern, in die Galsan Tschinag seine Tuwa zurückführen wollte, und die postsowjetische Gegenwart im Clinch miteinander, sodass der eher kleingewachsene Erzähler von Glück sagen kann, einen der stärksten Ringer des Altai auf seiner Seite zu haben. Ihnen gegenüber stehen «solche Typen», wie sie schon in Tschingis Aitmatows Roman «Der Schneeleopard» als Repräsentanten einer korrupten neuen Ordnung aufmarschiert waren. Je weiter man darin nach oben schaue, auf desto «schlimmere Typen» werde man treffen, warnt man den Erzähler: «Mit noch längeren Krallen, schärferen Reißzähnen, noch weiteren Hälsen und größeren Bäuchen!» Gemildert wird diese erschreckende Perspektive dadurch, dass einige der größtbäuchigen Typen entschieden haben, den Heimkehrer zum «Verdienten Kulturschaffenden der Mongolei» und zum Ehrenbürger des Kreises zu erklären. Ist das nun positiv oder negativ? Zunächst einmal ist es ein weiterer Anlass zum Feiern. «Die Rückkehr» schwankt zwischen Jugenderinnerungen eines alten Mannes, Heimkehrer-Romantik und einem naiven Blick auf die Gegenwart, in der der reiche Onkel aus dem Westen die streitenden Schamaninnen versöhnt, Kranke heilt und die Frauenquote bei religiösen und sonstigen Zeremonien anhebt. Aber viel ist an dem nicht, und Galsan Tschinags subjektive Perspektive liefert ein eher folkloristisches als analytisches Bild seiner Heimat und seines Volkes. Von den begehrten Bodenschätzen des Altai ist hier die Rede, doch bleibt unklar, wovon dessen Viehzüchter heute eigentlich leben und womit sie künftig ihre Festbankette finanzieren könnten. Angesichts der eindrucksvollen Naturschilderungen kann man gut verstehen, dass der Erzähler froh ist, wieder daheim zu sein. Aber wie es dort weitergehen soll, erfährt man nicht.
Galsan Tschinag
Die Rückkehr. Roman meines Lebens
Insel, Frankfurt a. M. 2008. 256 S., 19,80 €
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